Kämpfen für Gleichstellung Behinderter

Kinder mit Handicaps, egal welcher Art, haben oft kaum eine Wahl, wenn es um den Besuch der Wunschschule geht. Auch wenn in Mülheim inzwischen sieben Grundschulen integrativen Unterricht möglich machen, reicht das noch lange nicht aus.
Bei den weiterführenden Schulen wird es noch schwieriger. Behinderte Kinder nehmen zur Zeit nur die Hauptschule Dümpten, die Realschule Stadtmitte und ab dem nächsten Schuljahr die Willy-Brandt-Schule auf. Die Gymnasien werden erst ab dem kommenden Jahr dabei sein. Im Gespräch sind die Otto-Pankok-Schule und die Luisenschule, die im Rahmen ihrer Sanierung barrierefrei wird. Den Politikern geht der Prozess zu langsam, das Thema Inklusion im Bildungsentwicklungsplan sei zu oberflächlich angerissen. „Wir sollten die Gelegenheit nutzen, bei der Schulentwicklungsplanung für die kommenden Jahre die Inklusion als pädagogisches Konzept aufzunehmen und auch die Rahmenbedingungen zu berücksichten“, betont Inge Göricke, bildungspolitische Sprecherin der Grünen.
Selten, dass sich Politiker aller Parteien so einig sind. Mit einem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, Grüne, FDP, MBI und der Ratsfrau Gabriele Rosinski entschloss der Rat am Donnerstag, dass die Verwaltung zeitnah einen Inklusionsplan erarbeiten und in den Bildungsentwicklungsplan einfließen lassen soll. Dazu sollen Öffentlichkeit, Eltern, Schulen und Kitas informiert werden. Die Ausweitung des Angebotes soll in enger Zusammenarbeit mit dem Land betrieben werden.
Was bedeutet eigentlich Inklusion, was unterscheidet inklusivem von integrativem Unterricht? „Die Inklusion geht noch weiter. Sie nimmt das Kind so an wie es ist, sucht seine Stärken - denn die hat jedes Kind - und fördert sie. Vorrangiges Ziel ist nicht das Erreichen eines Schulabschlusses, sondern die Teilhabe am normalen Leben“, erläutert Inge Göricke, bildungspolitische Sprecherin der Grünen.
Langfristiges Ziel der Politiker aller Parteien ist es, dass 80 Prozent aller Mülheimer Schulen inklusiven Unterricht anbieten. Mindestens zehn Jahre, so schätzt Renate aus der Beek (SPD), dauere ein solcher Prozess.
Der Bildungsentwicklungsplan, den die Verwaltung zur Zeit in allen Stadtteilen vorstellt und der die Entwicklung der Schullandschaft für die nächsten Jahre festlegen soll, hat das Thema aufgegriffen. Aber hier werden die Rahmenbedingungen vor allem da berücksichtigt, wo Baumaßnahmen oder Sanierungen anstehen oder wo die örtlichen Gegebenheiten inklusiven Unterricht ohne großen Aufwand möglich machen.
Das reicht den Parteien nicht. „Wir wollen keine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip“, betont Meike Ostermann, bildungspolitische Sprecherin der FDP. In jedem Stadtteil solle es möglichst schnell eine Grundschule mit inklusiven Unterricht geben, bei weiterführenden Schulen soll pro Schulform mindestens eine Schule in der Stadt behinderte Kinder aufnehmen.
Aber nicht nur die Verwaltung muss da mitziehen. Vieles hängt vom Land ab. Denn für behinderte Kinder werden zusätzliche Lehrkräfte bewilligt, die Stundenzahl hängt von der Art und Schwere der Behinderung ab. Die Pädagogen kommen zusätzlich zum Klassenlehrer in die Klasse. Diese Stellen werden vom Land finanziert. Kleinere Klassen und ein eventueller höherer Raumbedarf - abhängig von der Behinderung - müssten von der Stadt finanziert werden. Die wartet aber auf eine eindeutige Rechtslage, die das Land in Kürze im Schulgesetz festschreiben will.
Zurzeit kann keine Schule gezwungen werden, inklusiven Unterricht anzubieten. „Das erfordert schon Initiative seitens der Schulen. Wir wollen sie mit diesem Antrag motivieren, wir brauchen Schulen mit Visionen“, betont Katja Geißenhöner von den Grünen.
Aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft sei wichtig. „Viele Eltern haben noch Barrieren in den Köpfen und meinen, dass ihr gesundes Kind benachteiligt werden könnte. Dem ist aber nicht so. Sowohl gesunde als auch behinderte Kinder profitieren vom gemeinsamen Lernen, das weiß man aus Erfahrung. Und junge Menschen, die mit Behinderten in eine Klasse gegangen sind, gehen auch viel selbstverständlicher mit Handicaps um“, weiß Annette Klövekorn, MBI.
Natürlich bedeutet eine höhere Inklusion auch eine Reduzierung vorhandener Förderschulen. Vier gibt es zurzeit in Mülheim, die sich auf verschiedene Arten der Behinderungen spezialisiert haben. Förderschulen soll es zwar auch weiterhin geben, aber könne man bei einem Ausbau der Inklusion Räume oder Lehrer der Förderschulen einbinden, so dass die Kosten überschauber bleiben, schlagen die Politiker vor.

Hintergrund: Die Bundesrepublik hat 2009 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterschrieben hat, die unter anderem vorsieht, dass auch behinderten Kindern der Besuch einer Regelschule ermöglicht wird. Das Land wird einen Inklusionsplan nach der Sommerpause verabschieden. Erst dann gibt es eindeutige Richtlinien für die Kommunen.

Autor:

Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr

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