Bericht über die 48. MÜLHEIMER LESEBÜHNE von Rolf Blessing...

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48. Lesebühne am 03.03.2017
Die Veranstaltungsreihe „Mülheimer Lesebühne“ in Mülheim an der Ruhr kann sich zwar noch nicht ganz mit den großen Literaturfestivals (z. B. lit.cologne in Köln, Harbour Front in Hamburg oder Fiesta Literária Internacional de Paraty in Brasilien) vergleichen. Aber sie hat sich mittlerweile auf ein sehens- bzw. hörenswertes Niveau begeben, das auf jeden Fall Beachtung finden sollte.

Wie schon berichtet, kommt sie nicht nur ohne Eintrittsgeld, sondern auch ohne Schirmherren, Sponsoren oder Kuratorien bestens aus.
Die 48. Veranstaltung wurde durch ein überaus umfangreiches und vielfältiges Programm geprägt, dessen Organisation – wie immer – bei Manfred Wrobel in den besten Händen lag.
Er ließ es sich auch nicht nehmen, selbst vorzutragen und über Gitarrenklänge aus Warschau zu sinnieren.

Unkompliziert und flexibel moderierte Peter Roßkothen den Abend und führte das gespannte Publikum kompetent in die sehr unterschiedlichen Spektralfarben der überaus bunten Vorträge ein.

Den Anfang machte die in diesem Kreis bereits bekannte Dagmar Schenda aus Mülheim an der Ruhr mit einer Premierenlesung von Auszügen aus ihrem neuen Buch „Die unvermutete Hoffnung“. Die ganz in „Schwarz“ gekleidete Künstlerin verhalf ihrer Fortsetzung, einer mit farbigen Dialogen aufgelockerten Vampirgeschichte, durch ihr Outfit und passenden Musikauszügen zur richtigen Einstimmung und verstand es, den Anwesenden die Lust auf mehr schmackhaft zu machen.
Kirsten Pecoraro aus Hochscheid, ebenfalls keine Unbekannte und darüber hinaus Spezialistin auf dem Gebiet des Bewusstseinscoachings, schockte mit einer Geschichte über die Entwicklung einer Beziehung, und zwar vom Traumpaar bis zum Rosenkrieg aus der Sicht der betrogenen Frau. Das stark autobiographisch wirkende Buch „Lebenswende … und plötzlich ist alles anders“ wurde in Auszügen vorgestellt, in denen einerseits alle bekannte Klischees verarbeitet sind, aber andererseits Ansätze deutlich werden, die helfen können, auch alte Denkmuster aufzuknacken.

Über sehr überraschende Wendungen wußte Karin Büchel mit zwei Kurzgeschichten aus ihrem Buch „Mordstaten“ zu berichten. Die gut komprimierten Handlungen sind mit viel Fantasie „gestrickt“ und wurden so überzeugend vorgetragen, dass sich jeder Zuhörer bildlich vorstellen konnte, wie es ist, auf Wolke W533 sitzend den eigenen Witwer fremdgehen zu sehen oder den nicht champagnertrinkenden ehebrechenden Traummann zu vergiften.

Man stelle sich vor, man sitzt mit geschlossenen Augen am Silberfluß im Nepal und hört einfach nur zu, welche Geräusche sich vernehmen lassen. Ist es ein Krokodil, das sich gerade im Wasser bewegt, sind es Elefanten die sich das Wasser auf den Körper spritzen oder patscht ein Rhinozeros am Ufer entlang? Diese Klangwelt vermittelte Moni Marie Domin aus Münster, mit einem Instrument, was man nicht alle zu Gesicht bekommt: ein Cimbalom, auch Hackbrett genannt! Die vielen Möglichkeiten, die Saiten erklingen zu lassen, entsprechen fast dem Spektrum eines Klaviers. Erzeugt wird die Klangwelt aber durch Berührung oder das Anschlagen mit zwei „Plömmeln“, wie z. B. bei den Xylophonen. Zwei weitere Stücke, die eine Abendstimmung und den Klang der Hufe einer Richtung Oase wackelnden Karawane folgten. Zum Schluss versetzte das Stück „Rolling oder das Leben rollt“ das Publikum sehr überzeugend in eine auf zwei Ebenen angespielte Klangwelt.

Den Höhepunkt des Abends erlebten die Zuhörer anschließend mit einer internationalen Komposition aus anspruchsvoller Lyrik und facettenreicher Gitarrenmusik.
Das vortragende Trio vermittelte die Botschaft, dass Lyrik und Musik auf jeden Fall dazu beitragen können, gegenseitiges Verständnis und Offenheit zu wecken. Die gestreiften Themen von Annette Gonserowski, die zeitweise in Spanien lebt und Christophe Bossu aus Frankreich, drehten sich intensiv um alles, was die Natur dem Menschen sagt oder sagen will, ihn erkennen oder vergessen läßt.
Andreas Koch erschien als ein passionierter Gitarrenkünstler von internationalem Rang, der seine hochwertigen, sehr alten Instrumente sichtlich liebt und es versteht, ihnen genau die eingängigen, etwas mystischen Melodien zu entlocken, die sowohl im Rhythmus als auch in ihrer klanglichen Sauberkeit nicht nur gefallen sondern sogar begeistern konnten.

Sein Abschluß des Abends auf der spanischen Gitarre ließ das Publikum noch einmal in eine Welt versinken, in die man sich einfach nur fallen lassen kann. Als Besonderheit sei an dieser Stelle seine Instrumental-Interpretation von „Estrellita“ erwähnt.

Etwas ganz anders Gelagertes folgte von Wolfgang Brunner, der sich diesmal nicht mit Geschichten für Kinder sondern mit dem Untergang der Titanic intensiv beschäftigt hat. Seine Lesung aus dem biografischen, in „Ich-Form“ geschriebenen Roman „Edward John Smith-Mein Leben bis zur Tragödie der Titanic“ ließ eindeutig erkennen, dass sich Brunner auf ein Thema gestürzt und darüber ein Buch geschrieben hat, welches als das erste Werk über den Titanic-Kapitän gelten darf. Brunner war sich dabei offenbar nicht zu schade, unter anderem bis tief in die Mannschaftslisten der Titanic zu recherchieren, um die den tatsächlichen Verhältnissen gerecht werdenden Dialoge zu kreieren. So entsteht ein Bild von dem, was im Kopf des an höchster Stelle Verantwortlichen vorgegangen sein muss, bevor er dem ehernen Gesetz auf See folgend, mit dem sinkenden Schiff unterging.

Köstliches in Versform trug Lisi Schuur aus Ratingen engagiert vor. Sie hatte neue Texte im Gepäck, die nach dem schwierigen Thema des Vorgängers wieder auflockerten und gefielen. Eines ihrer Motto‘s: Manchmal muss man sich selbst suchen, damit man sich nicht aus den Augen verliert.

Die „Große Freiheit 1973“ hatten wohl nur die älteren im Publikum persönlich miterlebt, aber Renate Rave-Schneider aus Münster ließen ihren Erinnerungen an Hamburg freien Lauf und gelangte über das nicht ungefährliche Trampen, Stuyvesant- und Renomenthol-Rauchen über Betrachtungen zur Reeperbahn und der Kiezszene zu einer regelrechten Hommage an ihre Lieblingsstadt. Auf ihre baldigen Beiträge in Antenne Münster und im Tiedenradio Hamburg werden sich sicher schon einige freuen.

Zum Schluss forderte Sabine Fenner aus Kölln-Reisiek mit Passagen aus ihrem neu erschienen Lyrikband „Und ich nähre mein Gemüt“ noch einmal etwas Konzentration, denn ihre sehr dichten Texte und auch ihre erklärenden Worte dazu gaben in vielerlei Hinsicht Anlaß zum Nachdenken. Sie hat hier eine Auswahl ihrer Kreativität in schriftstellerischer und künstlerischer Form gebündelt, woraus sie Auszüge vortrug. Ermunterungen, dass auch Frauen Ellbogen haben, folgten Wortspiele und Schilderungen über die sehr bedrückende Kriegsgräberpflege in Frankreich. Allein ihr schon an die Philosophie reichender Ansatz „Träume buhlen um ihr Dasein“ zeigt, welche Bandbreite sie beherrscht und worum sie sich kümmert.
Es ist faszinierend, einfach nur zu hören, was authentischen Künstlern so durch den Kopf geht, wie ihre Träume aussehen, welche Wahrnehmungen sie für wertvoll halten.

Rolf Blessing 04.03.2017

Autor:

Manfred Wrobel aus Mülheim an der Ruhr

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