Zum 50. Mal...Die Mülheimer Lesebühne hatte Jubiläum am 07.07.17 (von Rolf Blessing)

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Eine Stadt wie Mülheim an der Ruhr darf sich glücklich schätzen, dass auf ihrem Gebiet - von den großen Events nahezu unbemerkt – eine Veranstaltung zum 50. Mal stattfindet, die einfach „Kultur“ macht, anstatt nur darüber zu reden. Hier kann jeder, der sich berufen fühlt, einen Beitrag einbringen, ohne dass er befürchten muss, von einer „abgehobenen Szene“ verrissen zu werden. Hier findet Kultur für alle Geschmäcker statt und das Wort „Toleranz“ wird ganz groß geschrieben.

Nicht alles, was vorgetragen wird, lässt wie bei Goethe und Schiller eine Hinwendung zur Antike als höchstem künstlerischen Ideal erkennen und es schlummert auch nicht in jedem ein Bob Dylan; nein, es darf auch geschmunzelt, mitgesungen oder sogar gelacht werden. Auch wird nicht, wie bei den vorgenannten Vorbildern, eine Literatur- und Kunstauffassung im Sinne der „Weimarer Klassik“ verlangt oder orchestermäßige Musik bevorzugt – es reicht vollkommen, einen normalen Geschmack zu haben, der sich auch an der reinen „Klangerzeugung“ oder an rhythmischen Genüssen erfreuen kann.

Dass die Veranstaltung mit dem Feuerwerk der Stadthallenkirmes konkurrierte, war nicht von Belang, da der Saal im Handelshof schon aus allen Nähten platzte und die anwesende Presse mit einem „Katzentisch“ vorlieb nehmen musste.

Durch das Programm führte Christiane Rühmann aus Burscheid mit leicht rheinischem Akzent, die sich gelegentlich selbst als nicht „DIN“, sondern als verrückt bezeichnet. Mit ihrer bekannt lockeren und ungezwungenen Art hielt sie zunächst eine kleine Laudatio und überreichte ein „Riesenlebkuchenherz“ an Manfred Wrobel, dem Urheber (zusammen mit der Autorin Sabine Fenner aus Schleswig-Holstein und Anna Maria Ladage) und verantwortlichen Veranstalter der Lesebühne.
Dieser zeigte mit einem kleinen Rückblick den Werdegang und die Reichweite dieser Veranstaltungsreihe auf. Sicherlich waren einige überrascht, von den vielen internationalen Kontakten (Schwerpunkt Polen) und der vielfältigen Zusammenarbeit mit „Gleichgesinnten“ seit dem Jahr 2009 zu hören.

Das Programm startete mit einem absoluten Highlight. Klaus Märkert, längst ein gern gesehener Gast mit phantasievollen und schrägen Themen und an diesem Wochenende bereits ausführlich in der überregionalen Presse „besprochen“, nahm mit seiner Lesung aus „Wie wir leuchten im Dunkeln, geben wir so verdammt gute Ziele ab“ vielen Zuhörern die Angst vor dem Tod bzw. vor den Toten. Allein seine professionelle Art zu lesen und die Stoffdichte seiner Werke, sind schon das Zuhören wert. Was er alles als Kind gedacht hat und was mit „Onkel Otto“ passierte, der in seinem blaugrauen längs gestreiften Morgenmantel verblichen ist, sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Antje Koller liebt den Strand, die Sonne und das Meer. Sie ist Autorin von drei Büchern, die sich alle mit dem Thema „gestrandet“ beschäftigen und vermittelte auf ruhige und sehr einfühlsame Art ihre diesbezüglichen Wahrnehmungen. Die in Reimform verfassten Texte gehen sehr tief, sind zum Teil sehr persönlich und nachdenklich und mündeten in ihrer Überzeugung, dass Liebe nicht blind macht, sondern sehend.

Mit sehr präzisen und detaillierten Beschreibungen erzählte Bruno Woda von „Theo“, der Hauptfigur seines Romans „Mistelernte“. Dessen amouröses Abenteuer mit zunächst katastrophalem Ausgang könnte dem einen oder anderen bekannt vorkommen, die Art und Weise der „Berichterstattung“ aber sicher nicht. Denn Bruno Woda kokettierte bei seinem Vortrag geschickt mit seinem enormen Wissen, seiner weltmännischen Erfahrung und seinen Sprachkenntnissen und brachte mit einer ausgewählten Barszene die Atmosphäre so gekonnt rüber, dass man glauben musste, selbst anwesend zu sein. Keine ganz leichte Kost, da bei der Verfolgung der kontinuierlichen Perspektive die Orte schnell wechselten und damit eine gewisse Zuhör-Konzentration erforderlich war.

Es ist guter Brauch, dass im Programm der Lesebühne auch musikalische Elemente enthalten sind, die sowohl der Auflockerung dienen, als auch Künstlern die Gelegenheit bieten, sich zu präsentieren.
Björn Nonnweiler, Liedermacher und Sänger mit gut ausgebildeter Stimme, die doch sehr stark an Reinhard Mey erinnert, begleitete sich selbst mit der Schlaggitarre. Mit eigenen, eher griffarmen Werken („Ich bin kein Wetterprophet“) und sehr gelungenen Interpretationen, beschränkte er sich auf das, was er auch kann, nämlich Publikum begeistern und mit einzubeziehen. Er vermied bewusst Ausflüge in gefährliche Regionen und das, was zu hören war, war sehr sicher und gekonnt. Zum Schluss seiner kleinen musikalischen Reise gab es das vom Publikum gewünschte „Lalala“ von Klaus Hoffmann, einem Liedermacher und Jaques-Brel-Interpret, bei dem alle die Aufforderung zum Mitsingen wahrnahmen.

Es gibt sicher nicht viele Eheleute, die ihr Kind „Geflügel“ nennen. Anke Müller hat dies jedoch in ihrem äußerst lebendigen, dialogstarken und überzeugend auszugsweise vorgetragenen Debütroman „Mama, bleib mal im Slip“ getan und erlebte damit, nach einem offenbar ausschweifenden langen Abend einen „Kopfschmerzenmorgen“ der besonderen Art. Noch nicht mal in der Lage, den Pfannkuchenwunsch ihres „Federlings“ zu erfüllen, wurde sie von den folgenden Ereignissen, wie zum Beispiel Schwimmen gehen und die Schlappen vergessen, einfach überrollt. Der Tag endete damit, dass es „Geflügel“ vom vielen Essen schlecht war und eine offenbar in der Kaffeetasse vergessene Spinne in Aktion trat.

In Südengland spielt die Geschichte, die Bettina Münster aus ihrer Novelle „Mein Traum von Deinem Meer“ auszugsweise vorlas. Wenn man von Schatzkisten, die im Mondlicht auf dem Meeresgrund zu erkennen sind träumt und in einer dem einheimischem Publikum vorbehaltenen Fischerkate nach Tauchern sucht, erlebt man Ungewöhnliches. Aufgrund vieler Dialoge fühlte das Publikum intensiv mit der Hauptfigur „Sylvia“ mit und konnte das drohende Unheil kombiniert mit verheißungsvollen Ansätzen schon beinahe selbst aufziehen sehen.

Der Mülheimer Autor und Künstler Rolf Blessing las an diesem besonderen Tag erstmalig auf der Mülheimer Lesebühne. Er bot dem Auditorium einen kleinen Streifzug durch fast vier Jahrzehnte. Seine Lyrik überzeugte das Publikum. Er trug unter anderen Gedichten auch „Ein rotes Blatt „vor, welches Ende des vergangen Jahres in der Frankfurter Bibliothek der Brentano-Gesellschaft veröffentlicht wurde. Auch sein Gedicht „Ein entfernter Bekannter“, was mit seiner Geburt im Hinblick auf den berühmten Musiker John Lennon bis zu dessen Erschießung im Kausalzusammenhang mit seinem eigenen Leben einherging, entlockte dem Publikum großen Applaus.- Manfred Wrobel 11.07.2017

Wer als kleiner Junge im Gilbachland Schlitten fahren möchte und dabei auf einem Kobold trifft, hat es nicht leicht. J.Heinrich Heikamp erzählte zweistimmig die Geschichte von Oliver, der - mit den klugen Ratschlägen seines Vaters ausgestattet - gar nicht dazu kommt und trotzdem auf dem Weg zum verschneiten Ziel einiges erlebt. Logischerweise endete der Vortrag mit dem Satz: Schlittengefahren ist er jedenfalls nicht!

Die Diplom Literaturwissenschaftlerin Gabriele Pluskota, eine Erich-Kästner-Expertin, berichtete unter dem Motto „Der letzte Wagen ist immer ein Kombi“ über die Teilnahme an einem Workshop in Wien, bei dem es u. a. um die Anfertigung von schlichten Holzsärgen inklusive Probe liegen ging. Sie schilderte sehr glaubhaft die Ängste einer in diesen Dingen noch unerfahrenen Zeitgenossin und die Probleme, die vor allem die „Architekten der letzten Bleibe“ jedem einzureden versuchen.

Heltu Besgen und Peter Tigges; Gegensätze ziehen sich offenbar an. Auf der einen Seite die esoterisch aufgemachte und ebenso anmutende, weise erscheinende Grande Dame mit überlegenden Gedankenspielen; auf der anderen Seite der Förster und Bankkaufmann mit populären Erotikphantasien eines Unverstandenen. Größer könnten die Gegensätze nicht sein und das ist es, was die Lesebühne ausmacht: ein Spektrum von infrarot bis ultraviolett.

Ein in diesem Kreis oft gehörter Schriftsteller, Wolfgang Brunner, rundete den Abend als letzter „Buchstabenvortragender“ ab und fasste in sich abwechselnden Reimformen die Aktivitäten der Lesebühne gekonnt und launig zusammen.

Mit einem irisch anmutenden Gitarrenstück beschloss Mitchel Summer in gewohnt souveräner Manier nun den überaus gelungenen Abend. Man merkte, dass die Gitarre von der Laute abstammt und anders als der zuvor gehörte Björn Nonnweiler benutzte er sie nicht als Schlaginstrument sondern wählte die Zupftechniken, ergänzt durch Fingerpicking.

Der Abend endete im kleinen Kreis noch lange nicht, denn es erschien, ob zufällig oder nicht, ein alter Klassenkamerad von Manfred Wrobel, nämlich Helge Schneider; „auf eine Cola“, wie er zum Jubiläum gratulierend am Rande erwähnte.

Rolf Blessing 10.07.2017

Autor:

Manfred Wrobel aus Mülheim an der Ruhr

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