Was Margarineschachteln mit Freundschaft zu tun haben. (4)

Am nächsten Morgen war sie schon sehr früh auf. Sie lief durch alle ihre Zimmer und schien irgendetwas zu zählen. Dann deckte sie den Tisch im Esszimmer. Für 10 Personen! Die hatten nur hier Platz. Sie ging zum Bäcker und kaufte alle möglichen Sorten Brötchen ein und noch ein paar Liter Milch. Dann bereitete sie Aufschnittplatten mit Wurst und Käse vor, stellte Butter, Honig, selbstgemachte Marmelade und Pflaumenmus hin. Kontollierte alles nochmal, setzte Kaffee auf und warf ihre Schürze in die Ecke.
An der Türe schaute sie nochmal in den Spiegel, zupfte ein wenig an den Haaren und trug ein kleines bisschen Lippenstift auf, zur Feier des Tages.
Dann nahm sie ihren Stock und lief zur alten Grundschule.
Es war 6.55 Uhr, als sie ankam. Alles war noch ruhig, nur ein paar Duschen plätscherten.
Sie lief direkt in das Zimmer mit den Betreuern. Vier Gesichter sahen auf. Eine ältere Frau kam auf sie zu. „Helga Förster?“: fragte sie lächelnd.
„Ja, ja, hm, ja“: stammelte sie nervös und ergriffe die Hand, die sie auch nicht mehr losliess, als brauche sie ihren Halt. °Das bin ich! Helga Förster“.
Verlegen liess sie die Hand los.
Die Frau, die sich als Flüchtlingsbeauftragte vorstellte, fragte nun, ob sie sich sicher sei, das sie so viele Kinder aufnehmen wolle. Kinder hätten das Recht, früher aus den Unterkünften raus zu können. Sie müssten und sollten in die Schule und hätten ein Recht auf Sprachunterricht. Aber diese Kinder seien erst kurz hier, sprächen kein Deutsch, hätten Schreckliches erlebt und würden sicher sehr viel Zeit und Kraft brauchen.
Sie nickte nur. Als dann ein ja aus ihrer Kehle kam, kratzte es im Hals. Das wisse sie genau. und sie habe Zeit genug, und Kraft auch. Sie hätte die Kinder gestern genau beobachtet. So fürsorglich, wie sie miteinander umgingen, wäre die anfallende Arbeit auch gut zu bewältigen, und Platz hätte sie mehr als genug, auch Geld sei da, und ein riesiger Garten, der nur auf Kinder warte. Und sie spräche französisch und englisch, was die Kinder ja auch sprechen würden. Bis zum neuen Schuljahr wären es noch 3 Monate, und bis dahin würden sie sich verständigen können.
Ob sie auch wisse, das sie und die Kinder Anfeindungen ausgesetzt wäre.
Sie meinte nur, das ihre Grosseltern im zweiten Weltkrieg Juden versteckt hätten. Dafür wären sie erschossen worden, hätte man es gemerkt. So schlimm würde es sicher nicht kommen, und ausserdem habe sie den hier! Dabei klopfte sie an ihren Stock und lachte. Sie würde schon gut auf die Kinder achten, da solle man sich keine Sorgen machen. Aber bei dem ganzen Ämter-und Papierkram würde sie sicher Hilfe brauchen. Zumindest am Anfang.
Hilfe würde sie bekommen, solange und soviel sie brauche, war die Antwort.
Bis alle Kinder zu ihr könnten würden ja sicher noch einige Tage vergehen. Es müsste ja alles hergerichtet werden, aber solange könnten sie schon am Tage zu ihr kommen.
Die Stadt würde auch Geld dazu geben.
Doch das wollte Helga nicht. Sie habe genug, meinte sie. Und die Kinder sollten sich ihre Möbel aussuchen können.
Dann bliebe nur noch die Hausbesichtigung, und natürlich die Frage an die Kinder. Also gingen sie die Kinder wecken. Aber sie sassen schon fertig gewaschen und angezogen auf ihren Betten.
Nadira, Latifa und Malak kämmten den kleinen Brüder grade die Haare, bzw. sahen nach ihren Fingernägeln, was die Jungs mürrisch über sich ergehen liessen. Als Adnan Helga sah, sprang er auf und lief ihr in die Arme. Dabei zog er eine triumphierende Grimasse in Richtung Malak, die mit der Bürste in der Hand lächelnd da stand.
Helga drehte sich mit Adnan in den Armen herum und fragte:“Sind sie nicht prachtvoll?“
Sie erklärten den Kindern, das sie alle zusammen zum Frühstück gehen würden bei Helga. Schon standen alle parat, und suchten ihre Schuhe zusammen. Dann standen sie da. Lächelnd, frisch gekämmt und beschuht und die grossen hatten jede ein kleines Geschwister an der Hand.
Die beiden Betreuer und die Flüchtlingsbeauftragte sahen sich an, und nickten sich zu.
dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Adnan hing stolz an Helgsa hand, und ging mit ihr voran, den Kopf stolz erhoben. ein fröhliches Geplapper plätscherte leise um die Gruppe herum, wie ein Frühlingsbach.
Im Haus angekommen standen die Kinder staunend vor dem riesigen Tisch mit all den leckeren Dingen. Auf jedem Teller lag eine Marzipanfigur, und Helga zündetet Kerzen an Sie hiess alle Platz nehmen und verschwand in der Küche. Nadira kam sofort hinterher, und ging ihr ungefragt zur Hand. Sie trug Krüge mit Milch und Kakao an den Tisch, Helga den Kaffee und Malak und Latifa übernahmen das eingiessen. Dann sassen alle Kinder still da, und warteten. Helga fragte Adnan worauf sie warteten, und er antwortete, sie müssten ein Dankgebet sprechen. Helga nickte Nadira zu und dann kam ein Gebet, das nur die Kinder verstanden, aber jeder wusste welchen Inhalt es hatte. Und ganz zuletzt kam der Name Helga.
Die Erwachsenen hatten Tränen in den Augen, als sie nun anfingen zu reden.

Ein Jahr später sassen sie wieder alle zusammen am Tisch.
Das Haus hatte sich verändert. Es war heller und lauter, fröhlicher und chaotischer. Heute war schulfrei. An der Wand hing eine Tafel, auf der die Termine der nächsten Woche standen. Nadira hatte inzwischen einen Führerschein, und ein Auto. anders ging es nicht, mit den ganzen Einkäufen. Der Einkaufstag war rot umrandet. Termine beim Traumatherapeuten standen auf der Tafel, und Termine fürs Fussballtraining. Klavierstunden für Latifa und Reiten für Malak. Stundenpläne reihten sich um die Tafel. Irgendwer hatte seine Musikanlage angelassen, und Adnan hatte eine neue Lok vor seinem Teller stehen. Imad und Imano wollten das alle zu ihrem Fussballspiel kommen sollten, und zankten sich gleich danach darum, wer der bessere Torwart war.
Helga hatte sich verändert. Ihr Stock stand im Keller, und sie trug Jeans. Die Haare waren kurz geschnitten, denn für aufwendige Frisuren hatte sie keine Zeit mehr. Sie sah 10 Jahre jünger aus, und bewegte sich auch so.
Die ehemaligen Betreuer und die Flüchtlingsbeauftragte sahen nur staunend in die Runde. Als letzter polterte Saad die Treppe runter, küsste im vorbeigehen Helga auf die Wange, und liess sich auf seinen Stuhl fallen, die Hand schon an den Brötchen.
Helga legte ihre Hand auf die seine, und fing an zu reden.
Sie wollten sich bedanken, für die Hilfe, die sie bekommen hatten, und hätten sich gedacht, das dieser Tag ihr ganz persönlicher Feiertag wäre, und darum alle sich im nächsten Jahr wieder hier treffen wollten. Im nächsten Jahr würden auch ihre anderen Kinder dabei sein. dann wäre die ganze Familie dabei.
Ob sie denn genug Stühle habe, fragte ein Betreuer?
Alle fingen an zu lachen, und dann begann das Frühstück.

...und wenn sie nicht gestorben sind...

Autor:

Claudia Jacobs aus Mülheim an der Ruhr

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