Noch ein langer Weg

V.l. Welat, Jouan und Roni sowie Kumrie (r.) hören der Dolmetscherin zu. Heinz Lison (2.v.l.) interessieren die Berufswünsche der jungen Menschen. Im Hintergrund Dezernent Ulrich Ernst (l.) und Klaus Konietzka, Leiter der Sozialagentur. Foto: Wieczorek-Auer
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  • V.l. Welat, Jouan und Roni sowie Kumrie (r.) hören der Dolmetscherin zu. Heinz Lison (2.v.l.) interessieren die Berufswünsche der jungen Menschen. Im Hintergrund Dezernent Ulrich Ernst (l.) und Klaus Konietzka, Leiter der Sozialagentur. Foto: Wieczorek-Auer
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Im Moment kommen nur wenige neue Flüchtlinge in der Ruhrstadt an, da Mülheim seine Quote im Gegensatz zu anderen Städten bereits erfüllt hat. Eine Atempause, nicht viel mehr. Sie erlaubt es, die Planungen des Baus neuer Unterkünfte "mit Augenmaß" anzugehen, wie Sozialdezernent Ulrich Ernst vor Vertretern der Mülheimer Wirtschaft betont. Drei bereits begonnene Baumaßnahmen am Blötter Weg, an der Oberheidstraße und am Klöttschen werden bis Sommer gebaut, danach wird geprüft, ob bereits genehmigte Standorte noch notwendig sind. Gleichzeitig wird eine Frage immer drängender: Wie integrieren wir die Angekommenen?

Diese Frage brennt auch der lokalen Wirtschaft auf den Nägeln. Bei einem Besuch im Saarner Flüchtlingsdorf informierten sich Vertreter des Unternehmerverbandes, der IHK, der Kreishandwerkerschaft und der Wirtschaftsförderung, wie Firmen bei der Integration der Flüchtlinge mit einbezogen werden können.
Das größte Problem, so Ulrich Ernst, sei die Tatsache, dass Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, bis eine Anerkennung vorliege. Das dauert immer noch zwischen 12 und 15 Monaten. Möglich seien in dieser Zeit Praktika oder auch der Beginn einer Ausbildung.

Bevor man versuchen kann, eine Beschäftigung für Flüchtlinge zu finden, müsse man aber zunächst wissen, welche familiären und sozialen Hintergründe, Fähigkeiten oder Ausbildungen die meist jungen Männer mitbringen. Dafür wird zurzeit von der Sozialagentur ein Prozess ausgearbeitet, anhand dessen ein "Profiling" von jedem Flüchtling erstellt werden kann. Das erst mache es möglich, für die Flüchtlinge passende Beschäftigungen, Ausbildungen oder Arbeitsverhältnisse in den Mülheimer Betrieben oder in den Programmen der Arbeitsagentur zu finden. Bis Ende Mai soll dieses System der qualifizierten Zuweisung anwendungsreif sein.

Gemeinsam mit der Hochschule Ruhr West wurde außerdem ein Clearing-Verfahren entwickelt, um festzustellen, welche Flüchtlinge eine Hochschulzugangsberechtigung haben. Inzwischen studieren bereits 40 Flüchtlinge an der HRW.

Das Flüchtlingsdorf in Saarn will die Verwaltung zur kommunalen Ersteinrichtung ausbauen. In Zukunft werden hier alle neu angekommenen Flüchtlingen registriert. Vertreter der beteiligten Ämter arbeiten dann direkt vor Ort.
Was aber kann die Wirtschaft zur Integration beitragen? Diskutiert wurde an diesem Tag die Einrichtung einer überbetrieblichen Werkstatt, in der Flüchtlinge angelernt werden können, womöglich auch in Kooperation mit den Nachbarstädten Duisburg und Oberhausen. Auch die Mitarbeiter der Sozialagentur arbeiten daran, mit kommunalen Mitteln Menschen Übungsmöglichkeiten zu schaffen, die schon im Asylbewerberstatus genutzt werden können. Heinz Lison, Sprecher der regionalen Wirtschaft, ist sich sicher: "Der Arbeitnehmerverband wird Firmen finden, die bereit sind, bei solchen Programmen mitzumachen."

Dass das noch ein weiter Weg ist, wurde in einem Gespräch mit jungen Flüchtlingen deutlich. Omar (27 Jahre), Roni (22 Jahre), Welat (19 Jahre) und Jouan (18 Jahre) aus Syrien sowie die 21-jährige Kumrie aus Albanien wollen sich gerne weiterbilden oder ihre Schulausbildung vervollständigen, sitzen aber meist ohne Beschäftigung im Flüchtlingsdorf. Die drei jüngeren Männer, die über die Balkanroute nach Deutschland gelangt sind, haben die neunte Klasse abgeschlossen, können nähen oder Haare schneiden. Eine Ausbildung wünschen sie sich, aber wissen noch nicht, welche. Bis auf Roni, der möchte Fußballer werden und hat schon das Training in einem Mülheimer Verein aufgenommen.

Sprachbarriere ist hoch

Kontakt zu Deutschen gibt es wenig, die Sprachbarriere ist zu groß. Sprachkurse aber gibt es nicht für alle, in die Berufsschule dürfen die jungen Männer noch nicht. Genau das aber wünschen sich die jungen Leute: Dass sie zur Schule gehen dürfen. Omar war Ingenieur in der Ölindustrie, seine Papiere aber wurden ihm abgenommen. Belegen kann er diese Ausbildung nicht. In Deutschland möchte der 27-jährige eine Weiterbildung zum Übersetzer machen und dann hier arbeiten. Seit vier Monaten wartet er auf einen Platz in einem Sprachkurs, solange lernt er alleine - und vermisst die Kontakte zu den Deutschen. Auch Kumrie, die mit ihren Eltern im Flüchtlingsdorf lebt, will eine Ausbildung. Sie geht in einen Sprachkurs, einfache Sätze klappen schon gut.

Die Vertreter der Wirtschaft fragen die Flüchtlinge nach ihren Wünsche oder Zielen, gerade die Jüngeren sind aber noch orientierungslos. Erst mal Ankommen ist da wohl wichtiger. Und die deutsche Sprache zu lernen - da sind sich alle einig, sowohl Flüchtlinge als auch Besucher. Sozialdezernent Ulrich Ernst. Foto: PR-Foto Köhring/KP Im letzten Jahr lebten insgesamt 3700 Flüchtlinge in Mülheim, inklusive der Anerkannten und Geduldeten

Zahlen

>>45 Prozent der Mülheimer Flüchtlinge sind in Wohnungen untergebracht
>>Mit 2000 Flüchtlingen hat man dieses Jahr gerechnet, die Zahl wird wohl nicht erreicht. Wegen zurzeit erfüllter Quote wurden in den letzten beiden Monaten nur 50 Menschen Mülheim zugewiesen
>>Das Flüchtlingsdorf Saarn beherbergt zurzeit rund 390 Flüchtlinge, ausgelegt ist es für maximal 670
>>75 Prozent der Flüchtlinge werden voraussichtlich länger bleiben
>>51 Prozent der Mülheimer Flüchtlinge kommen aus Syrien, 13 Prozent aus dem Irak, rund 10 Prozent je aus Afghanistan und Nordafrika, der Rest aus den arabischen Staaten, dem westlichen Afrika und Eritrea. Nur 4,5 Prozent kommen aus dem Westbalkan und gelten als "Wirtschaftsflüchtlinge" Zahlen

V.l. Welat, Jouan und Roni sowie Kumrie (r.) hören der Dolmetscherin zu. Heinz Lison (2.v.l.) interessieren die Berufswünsche der jungen Menschen. Im Hintergrund Dezernent Ulrich Ernst (l.) und Klaus Konietzka, Leiter der Sozialagentur. Foto: Wieczorek-Auer
Autor:

Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr

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