Ewald Lienen warnt im Interview vor dem Basisverlust im Fußball
"Wir können nicht alles vermarkten"

Volontär Christian Schaffeld (r.) traf bei der lit.Ruhr auf Zeche Zollverein Ewald Lienen (l.) zum Interview und sprach mit ihm auch über seine Zeit im Ruhrgebiet. | Foto: Matthias Krüger
  • Volontär Christian Schaffeld (r.) traf bei der lit.Ruhr auf Zeche Zollverein Ewald Lienen (l.) zum Interview und sprach mit ihm auch über seine Zeit im Ruhrgebiet.
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Ewald Lienen sagte schon immer seine Meinung und scheut sich auch heute nicht davor, diese deutlich zu machen. Der technische Direktor vom FC St. Pauli blickt im Interview mit unserem Volontär Christian Schaffeld auf seine Zeit beim MSV Duisburg zurück, spricht über die Entwicklung im Fußball generell und verrät warum es ihm so wichtig ist, soziale Projekte zu unterstützen.

Herr Lienen, Sie waren fast acht Jahre beim MSV Duisburg tätig. Heute kehren Sie ins Ruhrgebiet zurück. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Region?

Die Zeit in Duisburg war einfach wunderschön. Ich habe mit den Aufstiegen tolle Jahre beim MSV verbracht und es war für mich ja auch der Übergang vom Spieler zum Trainer. Ich habe in der Zeit meine Trainerscheine gemacht und auch die Amateurmannschaft des Vereins trainiert. Das war eine wahnsinnig intensive Zeit, in der ich und meine Familie viele Freundschaften geschlossen haben die bis heute Bestand haben. Das Ruhrgebiet ist ein Teil meiner Heimat geworden.

Wie bewerten Sie denn die aktuelle Situation beim MSV?

Es ist generell für Absteiger nicht einfach das Niveau zu halten. Das sieht man in der zweiten, aber auch in der dritten Liga. Es ist einfach mit ganz vielen Schwierigkeiten verbunden.

Welche sind das?

Du hast als Verein viel weniger Geld zur Verfügung und kannst oft die Spieler nicht halten. Die Mannschaften, die mal unten waren und wieder aufsteigen, haben oft die größten Schwierigkeiten die Klasse zu halten. Das schaffen wirklich nur die finanzstärksten Vereine für die der Abstieg wirklich mal ein Ausrutscher ist. Leider ist der MSV jetzt auch abgestiegen. Ich wünsche ihm natürlich, dass er auf Dauer wieder zurückkehrt. Es ist einer der Traditionsvereine in Deutschland und ich hoffe, dass er langfristig gesehen kontinuierlich in der zweiten Liga bleibt - mindestens!

Was hat sich denn im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit im Fußball verändert?

Da reichen einige Stunden nicht aus um das alles aufzuzählen. Es hat sich wahnsinnig viel verändert, zum Glück auch vieles zum Positiven. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir die Basis vom Fußball behalten.

Was ist denn die Basis?

Die Basis sind die kleinen Vereine und die Freude und der Spaß am Fußball und nicht immer nur die Vermarktung. Wir können nicht alles im Fußball vermarkten. Das ist eine generelle Denkweise in unserer Wirtschaft, die uns in eine Situation gebracht hat, die mir nicht gefällt.

Wie meinen Sie das?

Das Denken in der Wirtschaft hat dazu geführt, dass wir jetzt schauen müssen, wie wir die Erde retten. Wir haben sie so rücksichtslos behandelt, wir hätten den Klimawandel aufhalten können. Das müssen wir alles korrigieren. Dafür brauchen wir eigentlich nur die Werte, die immer gegolten haben und zu denen müssen wir wieder zurückkehren, um Generationen übergreifend eine gerechte Welt zu entwickeln. Das gilt im Fußball, wie im Rest der Gesellschaft.

Sie und der FC St. Pauli generell unterstützen schon lange soziale Projekte. Warum ist Ihnen das Engagement so wichtig?

Als Verein und Unternehmen empfinden wir eine soziale Verantwortung dort, wo wir leben und arbeiten, in erster Linie natürlich in unserem Stadtteil. So wie viele Menschen sich mit uns und unseren Werten identifizieren, fühlen wir uns mit ihnen verbunden und möchten insbesondere diejenigen unterstützen, die in irgendeiner Weise in Not geraten sind oder eine wie auch immer geartete Hilfe benötigen. Dafür leiten wir insbesondere Spenden an Initiativen und Projekte weiter, und unterstützen damit auch finanziell viele Projekte innerhalb unseres Stadtteils, die oftmals auch aus unserer Anhängerschaft heraus initiiert wurden. Diese soziale Verantwortung ist für uns und auch für mich eine Selbstverständlichkeit.

In Ihrem aktuellen Projekt geht es darum, einen E-Wald zu pflanzen. Was bedeutet das?

Der Klimawandel mit all seinen bedrohlichen Konsequenzen stellt uns vor große Herausforderungen. Ein totales Umdenken in unserer Art zu wirtschaften und mit den Menschen und der Natur umzugehen, ist erforderlich, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Dazu gehört auch, unseren Ausstoß an Treibhausgasen wie CO2 radikal zu verringern, um die schon lange existierende Erderwärmung in der Höhe soweit zu begrenzen, wie das überhaupt noch möglich ist. Ein weiterer Weg besteht darin, einen nicht unerheblichen Teil des schon ausgestoßenen Kohlendioxids durch das Pflanzen einer riesengroßen Menge neuer Bäume aus der Atmosphäre herauszufiltern, da Bäume bekanntlich CO2 aufnehmen können. Unser aktuelles Projekt geht genau in diese Richtung und unterstützt die Kinderorganisation ‚Plant for the Planet‘, die es sich zum Ziel gesetzt hat, so schnell wie möglich 1.000 Milliarden Bäume weltweit zu pflanzen.

Wie soll das funktionieren?

Dazu kann man in der App der Organisation in einer der vielen Aufforstungsprojekte mit wenig Spendengeld Bäume pflanzen lassen. Wir nennen unser Projekt E-Wald, da es elektronisch erfolgt, bevor es vor Ort auf der Halbinsel Yucatan in Mexiko auf der großen Anbaufläche von ‚Plant for the Planet‘ umgesetzt wird.

Abschließende Frage: Was planen Sie in der Zukunft? Können Sie sich vorstellen, noch einmal auf die Trainerbank zurückzukehren?

Darüber denke ich überhaupt nicht nach. In meiner Funktion als Repräsentant und Wertebotschafter unseres Clubs FC St. Pauli habe ich momentan sehr viele und wichtige Aufgaben, die mich ausfüllen und mir zur Zeit wichtiger erscheinen, als weiterhin für Tore und Punkte zu sorgen. In zehn Jahren, wenn wir hoffentlich einige Schritte weiter sind, und das nicht nur beim Klima, sondern auch beim Plastik, bei Hunger, Wasser, Bildung und Frieden, könnte die Sache schon wieder anders aussehen. Mit noch mehr Lebenserfahrung und Weitsicht zurückzukehren, könnte durchaus reizvoll sein.

Zur Person Ewald Lienen:

-> Ewald Lienen begann das Fußballspielen in seiner Heimat beim VfB Schloß-Holte. In der Bundesliga spielte er unter anderem für den MSV Duisburg und Borussia Mönchengladbach
-> Insgesamt kommt Lienen auf 333 Bundesligaspiele (49 Tore) und 171 Partien in der 2. Bundesliga (27 Tore).
-> Neben der Deutschen Vizemeisterschaft 1978 gelang ihm im Jahr 1979 mit den Fohlen der UEFA-CUP-Sieg.
-> Als Trainer begann er seine Laufbahn bei den Amteueren des MSV Duisburg. Später trainierte er unter anderem den 1.FC Köln, CD Teneriffa, Borussia Mönchengladbach, Hannover 96, 1860 München, Olympiakos Piräus, Arminia Bielefeld, AEK Athen und den FC St. Pauli. Bei letzterem hat der 65-Jährige seit 2017 die Position des Technischen Direktors inne.

Autor:

Christian Schaffeld aus Oberhausen

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