Ehemaliger Oberhausener Profi-Turner spricht im Interview mit dem Lokalkompass über seinen Trainerposten

Sydnee Ingendorn (31) strahlt, Michael Donsbach (17) sammelte zahlreiche Titel. Dann ereilten den talentierten Nachwuchsturner mehrere wachstumsbedingte Verletzungen. Aktuell befindet er sich im Aufbautraining. | Foto: privat
  • Sydnee Ingendorn (31) strahlt, Michael Donsbach (17) sammelte zahlreiche Titel. Dann ereilten den talentierten Nachwuchsturner mehrere wachstumsbedingte Verletzungen. Aktuell befindet er sich im Aufbautraining.
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Entspannt rührt Sydnee Ingendorn (31) in seinem Kaffee. Dass der 31-Jährige Oberhausener mit seinem Verein trotz der frühen Phase der Saison schon gegen den Abstieg kämpft, merkt man ihm nicht an. Christian Schaffeld, Volontär beim Wochenanzeiger, traf den ehemaligen Profi-Turner und heutigen Trainer des Kunstturnteam Oberhausen (KTTO) vom TC Sterkrade 69 zum Interview. Ausführlich erzählt er, wie er zum Sport gekommen ist, was das Besondere am Turnen ist und warum ein Abstieg auch sinnvoll sein kann.


Herr Ingendorn, wie reagieren Sie, wenn jemand zu Ihnen kommt und sagt, dass Turnen eine Randsportart sei?

Da reagiere ich ganz human. Turnen ist im Großen und Ganzen eine Randsportart und erfährt außerhalb von Olympia keine Bedeutung. Im Lokalen sieht das aber ganz anders aus. Bei unseren Heimwettkämpfen ist die Halle der Heinrich-Böll Gesamtschule zu 75 bis 80 Prozent gefüllt. Das ist eine sehr gute Entwicklung, zumal die Quote der Zuschauer steigt.

Wie finanziert sich der Sport?

Der TC Sterkrade ist sehr bereit, den Leistungssport zu fördern. Das ist ein maßgeblicher Anteil. Dazu haben wir auch Sponsoren und Partner im Boot. Wichtig ist mir, dass wir mehrere kleine Partner haben, als auf einen Mäzen angewiesen zu sein. Denn wenn der aussteigt, wird es für den Verein schwierig. Zwei aktuelle Bundesligisten mussten wegen fehlender Gelder Insolvenz anmelden und die Mannschaft vom Turnbetrieb abmelden.

Was machen Sie, damit Sie nicht das gleiche Schicksal ereilt?

Der große Kostenapparat entsteht bei uns nicht, da wir in unserem Konzept auf die Nachwuchsförderung setzen und junge Talente an den Kader heranführen. Das ist das Einzige, was langfristigen Erfolg bringt.

Ist das auf Dauer nicht riskant?

Nein! Es bringt nichts, einen prominenten Turner zu holen, den man sich dann nach einem Jahr nicht mehr leisten kann und der dann wieder weg ist. Außerdem schädigen wir damit unsere eigene Jugend, die dann nicht zum Zug käme. So würde das ganze Ökosystem unseres Vereins zusammenbrechen.

Aber würde sich das nicht positiv auf den Zuschauerschnitt auswirken?

Doch! Allerdings nur für den Zeitraum in dem der Turner da ist. Geht er wieder, gehen auch die Zuschauer. Außerdem könnten wir uns einen wirklichen Superstar sowieso nicht leisten. Die Stars, die jeder kennt, kann man an einer Hand abzählen.

Das heißt, beim Turnen ist auch schon viel Geld im Spiel?

In der ersten Liga schon, bei uns nicht. Gelder für Ablösen werden bei uns nicht gezahlt. Und auch sonst machen die Turner das zu 90 Prozent aus Leidenschaft.

Wie kann man sich die Jugendarbeit beim KTTO vorstellen?

Bei uns darf jedes Kind ein Jahr in der Turnschule mittrainieren. Dann schauen wir, wie sich das Kind entwickelt hat und ob Potential für mehr besteht. Wichtig ist aber, dass jedes Kind auf seinem Level abgeholt wird und wir niemanden überfordern.

Gibt es in Oberhausen viele Kinder, die turnen möchten?

Wir hatten bis vor Kurzem bei den Anmeldungen in der Turnschule einen Aufnahmestopp. Die Nachfrage ist groß und zum Teil sind auch wirklich talentierte Kinder dabei.

So wie Michael Donsbach?

Genau! Er ist mit 17 Jahren schon deutscher Juniorenmeister geworden. Das freut mich natürlich auch als Trainer.

Aktuell ist dieser aber verletzt, fällt mit Wachstumsproblemen aus... Ist es aus medizinischer Sicht nicht gefährlich zu früh mit dem Turnen anzufangen?

In meinen Augen ist da nichts gefährliches daran, da wir die Kinder langsam heranführen und am Anfang auch nicht an Wettkämpfen teilnehmen lassen.

Ist das nicht demotivierend?

Nein, wir belohnen die Kinder für Trainingsfortschritte mit Medaillen. Dabei kommt es aber nicht darauf an, besser als der Teamkollege zu sein, sondern dass man für sich selbst Fortschritte erkennt.

Ist ein Kind fertig entwickelt und strebt den Traum vom Profisportler an, muss es früh oder später in einen Bundesstützpunkt wechseln, wie es sie in anderen Sportarten auch gibt...

Das ist aus meiner Sicht Quatsch. Fabian Hambüchen hat auch nie in einem Bundesstützpunkt geturnt und ist trotzdem Olympiasieger geworden. Ich halte nichts von diesen Zentralisierungen.

Warum nicht?

Das schadet den Jugendlichen. Der Turnverein, in dem man fünf, sechs Mal die Woche trainiert, ist für viele Kinder wie eine zweite Familie. Werden sie hier herausgerissen, landen sie in einer neuen fremden Welt. Außerdem müssen die Eltern hohe Internatskosten zahlen. Am Ende muss man sich fragen, ob Opfer und Ertrag in einem Verhältnis zueinander stehen.

Wird es für Sie schwierig die Talente im Verein zu halten? Sie sind letztes Jahr fast abgestiegen und turnen aktuell auch dem Abstieg entgegen...

Ich könnte morgen den gleichen Kader für die 3. Liga melden, wie ich ihn auch für die 2. Liga melden würde. Die Kinder sind so verwurzelt, da will niemand weg.

Was würde ein Abstieg für den Verein bedeuten?

Vielleicht wäre ein Abstieg gar nicht so verkehrt. Die jungen Turner würden eine Menge lernen und an dem Abstieg wachsen. Zu meiner Zeit aktiven Zeit sind wir 2001 auch nach zehn Jahren Zweitligazugehörigkeit abgestiegen und sind kurze Zeit wiedergekommen.

Auf Ihrer Instagram-Seite haben Sie gemeinsame Fotos mit Olympiasieger Fabian Hambüchen. Woher kennen Sie ihn?

Mein Vater ist schon ewig mit Wolfgang Hambüchen, Fabians Vater, befreundet und auch Fabian und ich verstehen uns super. Als mein Vater in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag gefeiert hat, sind die Hambüchens auch bei uns in Oberhausen gewesen.

Ihr Vater, selbst ein ehemaliger Profi-Turner, war früher gleichzeitig auch ihr Trainer. Hat Ihnen das geholfen?

Mein Vater ist eine schillernde Persönlichkeit, weil er besessen von dieser Sportart ist. Er zerreißt sein letztes Hemd fürs Turnen. Das hat er mir auch mitgegeben. Unsere Gespräche drehen sich auch heute noch zu 90 Prozent ums Turnen.

Sie sind selbst auch früh Trainer geworden und haben schon früh Erfolge erzielt. Was sind Ihre persönlichen Ziele für die Zukunft?

Ich war mit 20 Jahren wahrscheinlich der jüngste Trainer, der einen deutschen Meister heraus gebracht hat. Allerdings muss man auch immer demütig bleiben und schätzen, was man hat. Zu dem Erfolg hat auch mein Vater einen riesen Teil beigetragen. Damals haben wir zusammen das Training geleitet. Was meine Ziele sind? Ich würde mich freuen auch in Zukunft nationale Talente zu entdecken und zu fördern, um den Bundesstützpunkten zu zeigen, dass Erfolg auch ohne diese Zentralisierung möglich ist.

Und wenn eines Tages doch der Anruf von einem Erstligisten kommt?

Das kommt nicht infrage. Ich kann mir nicht vorstellen, bei einem anderen Verein das gleiche Engagement wie beim KTTO zu investieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Autor:

Christian Schaffeld aus Oberhausen

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