Coronaleugner findet er schräg, stolz ist er auf NewPark und Berufskollegs
Interview mit Landrat Cay Süberkrüb

Cay Süberkrüb freut sich aufs Spielen mit dem Enkel, Radfahren und Doppelkopf. | Foto: Krusebild
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  • Cay Süberkrüb freut sich aufs Spielen mit dem Enkel, Radfahren und Doppelkopf.
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Die Sonne scheint in sein Büro. Geduldig und mit sanfter Hand befördert Cay Süberkrüb eine verirrte Biene zum Fenster hinaus. "Die kommen öfter rein. Dahinten ist unser Bienenhotel", erklärt der noch amtierende Landrat des Kreises Recklinghausen.

Stadtspiegel: Regiert es sich, seit Sie letztes Jahr bekanntgaben, dass Sie sich nicht mehr zur Wiederwahl stellen, etwas entspannter?
Cay Süberkrüb: Ich bin 66, da fängt laut Udo Jürgens bekanntlich das Leben an. Ich fand, es war Zeit, aufzuhören und die Aufgaben an Jüngere abzugeben. Aber von entspannter kann keine Rede sein. 2020 habe ich mir so nicht vorgestellt. Das Krisenmanagement wegen der Corona-Situation ist absolut fordernd.

Vor wenigen Wochen waren die Zustände in Schlachtbetrieben und der Umgang mit den dort Beschäftigten ein schwieriges Arbeitsfeld für Kreisbehörden. Maskenpflicht und Maskenverweigerer machen gerade Schlagzeilen. Nun wurde das Corona-Team des Kreises verstärkt, um beispielsweise Reiserückkehrer zu testen. Ist das Arbeitspensum für die Mitarbeiter zu schaffen?
Das Corona-Team leistet eine unglaubliche Arbeit. Es ist wirklich vorbildlich, was die Kollegen und Kolleginnen beispielsweise an der Hotline an Hilfe bieten. Gewöhnlich sind in der Kreisverwaltung fünf bis sieben Menschen mit Infektionslagen beschäftigt, beispielsweise bei Krätze in Kindergärten oder Legionellen im Wasser. Wegen Corona wurde des Corona-Team bis auf 150 Mitarbeiter aufgestockt. Zwischenzeitlich konnte das runtergefahren werden, aber wegen der Reiserückkehrer musste die Abteilung wieder auf 50 bis 60 Leute aufgestockt werden. Der Kreis Recklinghausen ist in Sachen Corona-Bekämpfung gut aufgestellt.

Sie haben sich schon kritisch zu Leugnern der Pandemie geäußert und appellieren an die Vernunft der Menschen, sich an die Schutzmaßnahmen zu halten. Gelingt es Ihnen, immer Ruhe zu bewahren, wenn Sie auf Verschwörungstheoretiker stoßen?
Ich finde es schon absolut schräg, was da manche von sich geben. Ich versuche, ruhig zu bleiben. Verwirrte brauchen Hilfe. Man muss ihnen Hilfe geben, keine Bühnen bieten. Beim Umgang mit Corona und der Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen- und verordnungen sind Transparenz und Informationen die richtigen Mittel. Man muss immer wieder erklären und beschreiben, was zu tun ist und warum es notwendig ist. Und für uns alle gilt: Wir müssen lernen, wieder strenger mit uns selbst umzugehen.

In den zehn Jahren, die Sie jetzt Landrat im Vest sind, hat sich die Finanzlage in den kreisangehörigen Städten etwas erholt. Befürchten Sie, dass es wegen der Corona-Folgen wieder zu wirtschaftlichen Einbrüchen kommt?
Es hat sich wirklich vieles verbessert. Die Wachstumspaktete aus Berlin haben unseren Städten geholfen. Der Kreis geriet 2007 in eine Überschuldung, die abgebaut konnte. Das sind positive Entwicklungen. Ich hoffe inständig, dass es zu keinem zweiten Lockdown kommt, denn das wäre wirtschaftlich wirklich eine Katastrophe.

Der Neubau des Kreishauses ließ sich nicht durchsetzen, er wurde von einem Bürgerbegehren gestoppt. Ärgert Sie das im Nachhinein oder haben Sie das weggesteckt?
Über verschüttete Milch muss man nicht reden. Der Kreistag hat sich gegen den Abriss und den Neubau des Kreishauses entschieden.

Sie haben sich sehr für das Industrieprojekt NewPark in Datteln starkgemacht. Der Kreis hat das Gelände 2015 erworben. Tut sich da was?
Aber ja! Straßen.NRW baut die Bundesstraße B 474n aus. Die Fertigstellung ist für 2022 vorgesehen. Datteln und Waltrop werden entlastet. Ich bin stolz und froh, dass der Kreis das Gelände gekauft hat. Für Investoren ist das hochinteressant, nicht nur wegen der ausgezeichneten Verkehrsanbindungen, sondern weil alles aus einer Hand ist. Grund und Boden gewinnen jedes Jahr an Wert.

In die Berufskollegs im Kreis Recklinghausen hat der Kreis viel investiert, sie wurden saniert und technisch aufgerüstet. Ist das eine Erfolgsgeschichte, die Sie mit in den Ruhestand nehmen?
Das will ich gar nicht. Da müssen der nächste Landrat und der Kreistag weiter machen. Dass der Kreis Träger alle acht Berufskollegs ist, ist schon ein Glücksfall. Die Lehrerkollegien sind sehr engagiert. Dass die Berufskollegs so viele Lehrerbewerbungen haben, ist ungewöhnlich und spricht für den Kreis Recklinghausen. Und dass es rund 500 junge Menschen gibt, die Jahr für Jahr das Abitur schaffen und Bestnoten vorlegen, spricht für die Qualität der Berufskollegs im Vest.

Freut es Sie als passionierten Fahrradfahrer, dass dieses Fortbewegungsmittel immer mehr an Bedeutung gewinnt?
Ganz sicher. Ich finde aber, die Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer muss das Ziel sein. Auch für Fußgänger und ÖPNV-Nutzer muss es Verbesserungen geben.

Bei den letzten Kommunal-, Landtags- und Europawahlen haben auch in unserer Region rechtspopulistische Parteien wie die AfD Wählerstimmen geholt. Stimmt Sie diese Entwicklung bedenklich?
Zwischen 1933 und 1945 sind in den Konzentrationslagern über sieben Millionen Menschen umgebracht worden. So etwas darf nicht vergessen werden. In der Nachkriegszeit hieß es: Nie wieder! Antisemiten, Neonazis und Reichsbürger sind eine Schande für Deutschland. Die AfD ist nicht wählbar, wenn sie nicht konsequent rechtsextremistische Mitglieder rausschmeißt.

Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger mit auf dem Weg als guten Rat?
Vorsicht. Ratschläge sind Schläge. Hier im Kreishaus hängt ein - wie ich finde - sehr schönes Plakat. Darauf steht: „Keep calm and carry on“. Ich würde das übersetzen mit "Ruhig Blut und warme Unterhosen" übersetzen.

Gibt es einen Menschen, dem Sie als Kämmerer in Herten oder als Landrat des Kreises begegnet sind, der Sie ganz besonders beeindruckt, der Sie zutiefst berührt hat?
Rolf Abrahamsohn aus Marl. Er hat während der Nazi-Zeit unendlich gelitten. Er ist traurig, humorvoll, gelassen und sehr witzig. Ich bin dankbar, dass ich ihn kennenlernen und Reden über ihn halten durfte, dass ich das Privileg hatte, zu erleben, wie er mit Schülern spricht und sie beeindruckt. Rolf Abrahamsohn ist Vestischer Ehrenbürger. Das war eine einstimmige Entscheidung des Kreistages. Auch darauf bin ich stolz.

Was haben Sie sich für Ihren Ruhestand vorgenommen?
Mit Jakob Quatsch machen. Er ist 17 Monate alt und mein Enkel. Wie er strahlt! Wenn er seinen Kopf an meine Schulter legt, schmelze ich sofort dahin, da kann ich nichts gegen tun. Und sonst? Natürlich Fahrradfahren und Doppelkopf spielen.

Zur Person

Cay Süberkrüb (Jahrgang 1954) wurde in Kiel geboren und wuchs in Bielefeld auf. Der SPD-Politiker ist Jurist.
Ab 1982 Rechtsamtsleiter bei der Stadtverwaltung in Herten, ab 1993 Fachbereichsleiter für Schule und Jugend.
Im Jahr 2000 wurde Süberkrüb Mitglied des Verwaltungsvorstandes und gleichzeitig zum nebenamtlichen Geschäftsführer der PROSOZ Herten GmbH (bis 2004) berufen.
Von 2002 bis 2004 war er Beigeordneter für Personal und Organisation. Ab 2004 war er Kämmerer und Erster Beigeordneter der Stadt Herten.
Seit 2009 ist Süberkrüb gewählter Landrat des Kreises Recklinghausen. Der Sozialdemokrat setzte sich damals direkt gegen Josef Hovenjürgen (CDU) aus Haltern durch. Er wurde damit zugleich auch Chef der Kreisverwaltung mit über 2000 Mitarbeitern (inklusive Jobcenter).
 2014 wurde Süberkrüb wiedergewählt. Er gewann gegen den Recklinghäuser Benno Portmann (CDU) die Stichwahl bei der Landratswahl.

Autor:

Kerstin Halstenbach aus Recklinghausen

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