Frauenrechte
Tote Frauen sind nur Besitz und Sachen

So entschied der BGH 2008.

Worum geht es?

Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch häusliche Gewalt. Nicht immer schaffen es diese Fälle in die Presse. Oftmals liest man in Regionalzeitung was von „Beziehungstat“, was nichts anderes ist als Mord. Aber ist es Mord?

Überregional machte folgender Fall auf sich aufmerksam: 

„Der 59-jährige Mitarbeiter des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (LKA) hatte seine von ihm getrennt lebende Frau vor ihrem Arbeitsplatz, einem Biomarkt in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen), am Mittwochabend mit seiner Dienstwaffe erschossen. Danach erschoss er sich selbst.“

Dieser Fall zeigt die Unsäglichkeiten, die Frauen passieren. Drohungen ihres Mannes, der angab, sie erschießen zu wollen, wurden nicht ernst genommen. Frauen werden oftmals bei häuslicher Gewalt nicht ernst genommen. Zeigen sie Stalker an, werden sie nicht ernst genommen. Wie soll Frau sich da schützen können und Vertrauen in den Polizeiapparat haben?

Der Hinweis, dass die Frau von ihrem Mann getrennt lebte, war jedoch ein Impuls für mich, mal auf der Facebookseite vom SWR, der diesen Artikel veröffentlichte, auf eine Sache aufmerksam zu machen.

„Wieder ein Femizid, der auf Totschlag hinauslaufen würde, lebte der Täter noch. Wieso? Das BGH entschied 2008, dass die Frau als "Sache" und "Besitz" des Mannes zu sehen ist:
"Wenn die Trennung vom Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt fühlt, was er eigentlich nicht verlieren will, entfallen die Mordmerkmale".“

Das Urteil

Aufmerksam wurde ich auf dieses Urteil in der Dokumentation vom ZDF „Femizid - Wenn Männer Frauen töten“ (Verfügbar bis 15.11.2023)  . Ich konnte es nicht wirklich fassen, also recherchierte ich und fand das Urteil. Dort heißt es:

„Nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der (frühere) Partner vom Täter abwenden will oder abgewandt hat, beruht zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen. Vielmehr können in einem solchen Fall auch Gefühle der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit tatauslösend und tatbestimmend sein. Diese können eine Bewertung als "niedrig" namentlich dann als fraglich erscheinen lassen, wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und sich daher der Angeklagte durch die Tat gerade dessen selbst beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will.“

Indem eine Frau einen (oftmals vorher gewalttätigen) Mann verlässt, darf sich dieser als beraubt fühlen. Also einer Sache entwendet. Eine Sache, die ihm mal gehörte. Diese Ausführung des Urteils zeigt ganz klar, welch patriarchische Strukturen auch bei Gericht vorherrschen mögen.
Wir leben im 21. Jahrhundert und die Frau wird per Gesetz noch immer als Besitz des Mannes gesehen.

Während dessen

Während ich diesen Artikel schreibe und meine Recherchen tätige, sehe ich auf meiner Facebook-Timline, dass der Verein Campact genau zu diesem Thema eine Petition mit auf den Weg gebracht hat.

Ziel ist:

Deshalb fordern wir:

  • Frauen sind kein Besitz: “Trennungstötungen” müssen als Femizide anerkannt werden. Die vermeintlichen Besitzansprüche an Frauen dürfen nicht durch die deutsche Rechtsprechung legitimiert werden, indem sie sich strafmildernd auswirken.
  • Femicide Watch: Die Regierung muss eine unabhängige Beobachtungsstelle einrichten, die alle Fälle von Femiziden in Deutschland erfasst, untersucht und Maßnahmen zur Prävention erarbeitet.

Um entsprechende Gesetze zu schaffen, brauchen wir Frauen Unterschriften. Hier geht es zur Petition: "Femizide in Deutschland stoppen". 

Reaktionen zum SWR-Artikel

Ich halte es auch für wichtig, Reaktionen im Netz zu analysieren. Denn die Qualität von Kommentaren wiederholen sich mit der Zeit, setzt man sich mit Leuten auseinander. Es gibt Leserschaften, die sich durch dumme Kommentare gehemmt fühlen, zu diskutieren. Das ist nicht gut. Ich möchte gerne ermutigen, dass man sich zum Thema Feminismus ruhig äußern kann. Und wir müssen es tun. Wir müssen uns mehr zeigen und sagen: „Stopp!“

Im Netz, besonders bei Facebook, versuche ich Informationen über Feminismus zu hinterlassen. Natürlich plane ich auch barsche Reaktionen von Männern und tatsächlich auch von Frauen mit ein. Denn wenn man als Frau nach außen zeigt, sich für Frauenrechte einzusetzen, kommen diese Personen ans Licht, die genau damit Probleme haben.

So fragte ein Marco Kaucher zu meiner Information zum BGH-Urteil:

„Zeig mal wo das steht. Quelle bitte.“

Solche Reaktionen einplanend, hatte ich die Quellen schon geöffnet. Es geht in diesen Fällen oftmals auch gar nicht darum, die Quellen zu lesen. Mann will nur vorführen. Dass dies so ist, zeigte auch die niveaulose Fortführung der Kommentare. So bemängelte er meine Zitiertechnik. Er hätte lieber den ganzen Text des Urteils im Kommentar gehabt. Das ist natürlich rechtlich nicht machbar und das versuchte ich ihm auch zu erklären. Darauf kam nur:

„Und wenn fu nicht diskutieren willdt wirst du frech.“

(Rechtschreibung original)

Ich gebe zu, Männer können manchmal auch lustig sein. Unfreiwillig, aber ja. Nur ist dies nicht der richtige Ort. Immerhin ging es um den Mord an eine Frau, dessen Mörder, würde er noch leben, bestenfalls mit Totschlag davongekommen wäre. Und zwar deswegen, weil ihm die Frau durch ihre Trennung seinen Besitz (sie selbst) geraubt hat.

Ein weiterer Kommentator ließ nicht auf sich warten. Holger Kaczmarek schreibt:

„Ziemlich weit hergeholt aus dem Zitat „Sache“ und „Besitz“ herauszulesen… Hobbyjuristin?
Kann es sich anstatt dem Verlust der Frau an sich nicht eher um den Verlust von Zuneigung und Liebe handeln?“

Eine typische Rhetorik von Männern, die eine Frau gleich kleinmachen wollen. Mit der Benennung „Hobbyjuristin“ will er meine Kompetenz klein reden. Ich habe also nur das Recht, über diese Angelegenheit zu schreiben, wenn ich ein Jurastudium abgeschlossen hätte. Alleine die Erkenntnis, ein Urteil lesen und verstehen zu können, wertet Holger Kaczmarek ab.

Er gibt sich jedoch auch nicht die Mühe, sich dem Thema zuzuwenden und die entsprechenden Quellen, die ihm geliefert wurden, anzuschauen. Es geht ihm einzig und alleine darum, sich zu erheben, ohne wirkliches Wissen erlangen zu wollen.

Meine Antwort darauf war nur:

Hier sind noch eine ganze Menge "Hobbyjuristinnen" vom Deutschen Juristinnenbund, die Dir das gerne noch mal erklären. Bitte nicht umfallen:

"Die in bisheriger höchstrichterlichen Rechtsprechung mehrfach erfolgte Infragestellung des Vorliegens niedriger Beweggründe, wenn „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“,[14] darf nach der Istanbul-Konvention nicht mehr erfolgen. Die Initiierung der Trennung durch das Opfer und der Verlust des Objekts der Beherrschungswünsche des Täters dürfen nicht als der Tat zugrundeliegende nachvollziehbare Gründe bewertet werden und damit zur Verneinung niedriger Beweggründe führen; sie sind vielmehr opferbeschuldigend und Ausdruck patriarchaler Besitzkonstruktionen. Abzulehnen ist auch Rechtsprechung, wonach „der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, [...] als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden“ darf."

Danach war Ruhe. Er scheint wohl doch umgefallen zu sein.

Ich kann nur jedem empfehlen, der sich für Feminismus stark macht, sich von diesen Trollen nicht einschüchtern zu lassen. Die wollen nur spielen. Sobald man sich zur Wehr setzt, kommt nichts mehr von diesen Männern.

Aber auch Frauen reagieren. So schreib: Sabine Emmely Joy:

„Größter Blödsinn ever“

Und unterstrich ihren Blödsinn noch mit Lach-Emojis. Auch darauf nur eine Reaktion von mir:

„Sabine Emmely Joy was jetzt genau? Der Mord, der in Fällen, wo der Mann überlebt, als Totschlag gewertet wird? Oder dass der Mann seine Frau tötete und diese Tat eine Vorgeschichte haben wird? Dass jeden Tag ein Mann versucht, eine Frau zu töten? Oder dass in Deutschland alle 45 Minuten eine Frau häuslicher Gewalt unterliegt? Das als Blödsinn zu bezeichnen ist ein wenig harmlos gedacht.“

Und auch hier: Ruhe. Somit konnte ich noch weitere Informationen platzieren. Und tatsächlich wurde ich in diesem Kommentarstrang von weiteren Frauen unterstützt. Zugegeben, das passierte mir in dieser Form bisher noch nie. Ich war hocherfreut, dass es Frauen gibt, von denen ich in dieser Auseinandersetzung auch noch gelernt habe.

Ich kann aber jeden ermutigen, sich diesen Diskussionen zu stellen. Die Trolle kommen stets mit der gleichen Qualität um die Ecke. Die kann man schnell ruhigstellen. Manchmal sind es auch einfach nur Bots, die auf bestimmte Schlagworte reagieren. Habt keine Angst, Euch zu wehren. Man lernt dazu und stellt fest: Man kommt auch weiter, findet Menschen, mit denen man sich über das Thema vernetzt. Und zuweilen ist es auch ganz lustig in die Gedankenschemata solcher Trolle zu schauen, die am Ende recht hilflos wirken. Wichtig für die Frauenrechte ist, Informationen zu teilen.

Ausblick:

Ein Ausblick kann nur sein, über diese Ungleichstellung der Frau immer und immer wieder aufmerksam zu machen. Es ist wichtig, dass Schulungen bei der Polizei vorgenommen werden, mit häuslicher Gewalt und Stalking vernünftig umzugehen. Frauen müssen Vertrauen in unser Rechtssystem und auch in die Polizei bekommen. Leider liest man derzeit jedoch was anderes. Denn in der Doku vom ZDF, die ich oben verlinkt habe, wird deutlich, dass einer Frau nicht unbedingt geholfen wird, hat sie gerade Gewalt erfahren.

Mittlerweile ist eine Studie zum Thema „Femizid“ ist geplant. 

„Deborah Hellmann ist Professorin an der Hochschule für Polizei NRW. Gemeinsam mit zwei Kriminologen aus Baden-Württemberg und Niedersachsen leitet sie die erste evidenzbasierte Studie zu Femiziden in Deutschland.“ (…) „Hellmann und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachen und vom Institut für Kriminologie der Universität Tübingen wollen über Partnerschaftsgewalt hinaus gehen und auch die bisherigen Grauzonen der Statistiken beleuchten, etwa frauenfeindliche Morde von Bekannten, Kollegen oder im Prostitutionsmilieu. Dazu werden sie die Strafverfahrensakten des Jahres 2017 aus den Bundesländern Berlin, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen analysieren."

Studien dieser Art sind maßgeblich wichtig, um auch Formulierungen in Gesetzen eine Basis zu geben. Und dass wir neue Gesetze für Frauenrechte brauchen, hat uns das BGH gezeigt.

Hinweis:

Das Familienministerium hat ein Hilfetelefon unter der Nummer 08000116016 eingerichtet. Dieses Angebot steht 24 Stunden zur Verfügung. Auch über die Homepage kann man mehr Informationen erlangen: Hilfetelefon

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

6 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.