Das Geheimnis

Der Blick durch das Schlüsselloch. Doch wo ist das Christkind. Foto: Markus Kräft/ pixelio.de
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von Heinrich Bücker

Es war in der schlechten Zeit Ende des Krieges. Zu kaufen gab es kaum etwas. So mussten wir uns zu Weihnachten Geschenke selber basteln. Mein Vater hatte eine Werkstatt. In der Zeit vor Weihnachten war sie immer abgeschlossen. Wir Kinder durften nicht hinein. Ich wollte aber wissen, was sich in der Werkstatt abspielte und fragte meinen Vater. Der antwortete: „Ich stelle in den Abendstunden die Werkstatt dem Christkind zur Verfügung. Es braucht ja einen Raum, um darin seine Geschenke herzustellen.“ Ich dachte, ob denn die Bomben des Krieges den Himmel zerstört haben, so dass das Christkind evakuiert werden musste?
Eines Abends schlich ich mich leise zur Tür der väterlichen Werkstatt und schaute durch das Schlüsselloch, um das Christkind bei der Arbeit zu sehen. Ich sah lange, farbige Holzlatten in Rot, Grün, Blau und Gelb. Und dann sah ich meinen Vater mit einer Säge in der Hand. Er sägte kurze Stücke von den Latten ab. Dann strich er die abgesägten Enden mit der jeweiligen Farbe an. Blitzartig wurde mir klar, dass es sich um die Bauklötze handelte, die wir Kinder jedes Jahr zu Weihnachten zu unserer großen Freude vom Christkind bekommen.
Doch jetzt hatte ich mich um das bezaubernde Weihnachtsgeheimnis gebracht. Ich war dahinter gekommen, dass es das Christkind gar nicht gibt, vielmehr machte mein Vater die Bauklötze. Enttäuscht blieb ich vor der Tür stehen. Dann ging sie plötzlich auf und mein Vater kam heraus. „Was machst du denn hier?“ fragte er. „Ich?“ antwortete ich, „Ich habe durch das Schlüsselloch geschaut und gesehen, dass du die Bauklötze machst. Das Christkind habe ich nicht gesehen.“
Ich muss meinen Vater ziemlich verstört angesehen haben. Tröstend legte er seinen Arm um mich und sagte: Das ist ja ganz klar: Das Christkind kannst du auch nicht sehen. Es ist nämlich unsichtbar. Aber glaube mir: Vor Weihnachten ist es immer das Christkind, das meine Hand beim Sägen und Anstreichen führt. Meinst du, die Bauklötze würden ohne ihn so schön?“ „Ach so“, sagte ich erleichtert, „Ich verstehe: das Christkind gibt es also doch.“ Ich weiß noch, dass dieses Weihnachtsfest eines der schönsten war. Ich freute mich, dass das Christkind die Menschen mit einbezog in sein Wirken und Werken.
Als die wunderschönen neuen Bauklötze Weihnachten unter dem Weihnachtsbaum lagen, habe ich sie als das Werk des Himmels angesehen. Heute noch geht es mir so, dass ich die unsichtbare Hand Gottes sehe, wenn ich Werke von Menschen betrachte.

Autor:

Lokalkompass Recklinghausen aus Recklinghausen

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