Durch Kerker und Kasematten

Der Torwächter Heinz Wellmann ist auch in Besitz des Schlüssels für das Gefängnis am Weißen Turm. Die Gruppe hat sich gut benommen, keiner bleibt hier.
(Foto: Dirk Kleinwegen)
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  • Der Torwächter Heinz Wellmann ist auch in Besitz des Schlüssels für das Gefängnis am Weißen Turm. Die Gruppe hat sich gut benommen, keiner bleibt hier.
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Auf den Spuren der Reeser Befestigungsanlage

Früher war die Stadt Rees komplett von einer Stadtbefestigung umgeben. Bei einer Tour kann man über noch erhaltene Teile der Stadtmauer und Wälle laufen und lernt dabei Keller, Kerker und Kasematten kennen.

Heinz Wellmann gibt als Gästeführer in Rees rund zehn verschiedenen Rollen, heute ist er als Torwächter zu Rees unterwegs. Seine Gäste sind die Mitglieder der „Selbsthilfegruppe Schlafapnoe Rees“ und deren Angehörige. Der Torwächter ist gekleidet wie ein Landsknecht im Mittelalter, dazu gehört ein großer Hut und eine Lanze. „Landsknechte waren früher etwas bunter“, so erklärt Heinz Wellmann, warum er zwei verschiedenfarbige Socken trägt.
     Zu Beginn gibt es etwas Theorie über die Stadt Rees. Im Jahre 600 wurde Rees gegründet, es fing mit einem Bauernhof an, dann kamen mehrere dazu. Im Jahr 700 entstand eine erste hölzerne Kapelle. Als die Stadt dann weiterwuchs, wurde zum Schutz ein Wall mit Toren errichtet, ein bis zwei Meter breit und drei bis vier Meter hoch. 1079 erhielt die Stadt Markt- und Münzrecht und schließlich 1228 die Stadtrechte. „Damit verbunden war das Recht eine Stadtmauer zu bauen“, erläutert Heinz Wellmann, „das Recht aber nicht die Pflicht!“ „Die haben erst einmal 69 Jahre überlegt“, so Wellmann, „da ist der Neumarkt in Emmerich ein Witz dagegen.“ Ende des 13. Jahrhunderts begann der Bau der fast zwei Kilometer langen Befestigungsanlage. In den nachfolgenden Jahren wurde die Anlage immer wieder erweitert und verbessert und erst im zweiten Weltkrieg zum größten Teil zerstört.
     Los geht die über zwei Kilometer Wanderung in der Empfängergasse. Den Namen hat die Straße, weil am Ende früher das Zollhaus untergebracht war. Schiffer mussten ins Zollhaus kommen und die Zöllner konnten das Geld empfangen.
     Von der Empfängergasse geht es zur Stadtmauer. Am Pegelturm kann man noch die Spuren sehen, die frühere Pferdefuhrwerke mit ihren Radnarben im Mauerwerk hinterlassen haben. Direkt daneben ist der 1299 erbaute Zollturm. Von dort aus agierten die Zöllner und ruderten auf den Rhein hinaus und kassierten den Zoll ein.
     Hier hat der Torwächter eine gruselige Geschichte parat. 1590 wollten die Spanier die Stadt einnehmen und ein Reeser Bürger wollte ihnen verraten, dass dort am Zollturm die Mauer sehr dünn sei. Doch der Reeser hatte sich verplappert, wurde angezeigt und für Verrat verurteilt. Und die Strafe für Verrat war damals die Todesstrafe. Der Scharfrichter aus Kleve vierteilte ihn auf dem Markt und die vier Teile wurde zur Abschreckung an die vier Stadttore genagelt.
     Weiter führt die Route entlang der Stadtmauer bis zum Mühlenturm. Das Gebäude wurde Ende des 13. Jahrhunderts erbaut, befindet sich innerhalb der Stadtmauer und war früher Kornmühle, Wehranlage und Eisbrecher. Ein weiteres Bauwerk innerhalb der Stadtmauer ist das Haus Schaeling, 1332 erstmals urkundlich erwähnt. Die Stadtwache hatte früher das Recht bei Wachgängen das Haus zu durchqueren.
     Ungefähr da, wo jetzt der Rheinspielplatz ist, war früher der Reeser Hafen. Und die Hafeneinfahrt wurde von einer Kasematte, einem unterirdischen Gewölbe als Geschützstellung, bewacht. Seiner Rolle entsprechend ruft Heinz Wellmann: „Ihr da, nehmt gleich die Demutshaltung an!“ Das soll heißen, man muss sich tief bücken um den Eingang passieren zu können. Unten warten die ältesten Fundamente der Stadt, von 1290-1300. Die Schusslöcher der Kanonenstellungen sind noch genau zu erkennen. Teilweise sind die Gewölbe freigelegt, aber man ahnt, dass es früher noch erheblich weiterging. Eine weitere Ausgrabung ist aus statischen Gründen nicht möglich, denn die Stadtmauer ist auch gleichzeitig aktiver Hochwasserschutz. Wellmann erzählt von Gerüchten es gäbe von hier einen Geheimgang nach Haus Aspel oder auf die andere Rheinseite.
     Im Koenraad-Bosman-Museum erhalten die 25 Teilnehmer einen Blick von oben auf das mittelalterliche Rees. Anhand des Stadtmodells erläutert Wellmann noch einmal genau die Lage der früheren und heutigen Befestigungsanlagen. Unter dem Museum befindet sich die zweite Kasematte. Um 1500 erbaut, gab es hier vier Kammern mit Kanonenstellungen. Doch die Zeit hat sich geändert, jetzt hat Hausmeister Rainer van der Horst die Location für eine bevorstehende Hochzeit vorbereitet. Die Kasematte kann von der Stadt für Feiern oder anderen Veranstaltungen angemietet werden.
     Nur wenige Meter vom Museum entfernt beginnt der Kattenwall. Verborgen zwischen Häuserzeile und NIAG-Gelände ist er, selbst vielen langjährigen Reesern noch unbekannt. Auf dem Postgelände und der Dellstraße ist der Wall, die frühere Stadtbefestigung komplett entfernt worden. Nur die vier Bäume auf der Dellstraße in Höhe der Post zeigen, wo genau sich die vier Türme des Delltors früher befunden haben.
     Gegenüber der Post geht mit der Wallstraße, die alte Stadtbefestigung weiter. Am Ehrenfriedhof gegenüber der Realschule befindet sich eine weitere unterirdische Kasematte, erbaut 1583. Dieses Bauwerk war lange Zeit verschüttet und wurde erst 1920 wieder freigelegt. Nach einem kleinen Schnäpschen – vom Verein mitgebracht, zuvor ein Trinkspruch vom Torwächter, wird die Kasematte durchschritten. Durch das eine Tor rein und am anderen Ende wieder heraus.
     Am früheren Rinwicker Tor vorbei – nur einige Fundamentreste erinnern noch daran – geht es zum Weißen Turm. Dort war ab dem 17. Jahrhundert das Gefängnis untergebracht. Die über ein Meter dicken Wänden machten den Aus- oder Einbruch unmöglich. Über den Weißen Turm gelangt man auf einen kurzen noch erhaltenen Teil der Stadtmauer, der am anderen Ende mit dem jüdischen Friedhof abschließt.
     Jetzt sind es nur noch wenige Meter bis zum letzten Punkt auf der Route, die einzige Reeser Kasematte in Privatbesitz. Die Eigentümer der Wohnanlage Rheinpalais nutzen die alten Gewölbe als urigen Partykeller. Früher war hier auf jeden Fall Platz für drei Kanonenstellungen, einen weiterführenden Gang kann man auch erkennen, deren Verlauf kann aber nur vermutet werden.
     Damit endet die Führung. „Und ihr habt hoffentlich eine andere Seite von Rees kennengelernt, die ihr bisher noch nicht kanntet“, schließt Heinz Wellmann seine Ausführungen. Norbert Frericksen, Vorsitzender der Selbsthilfegruppe Schlafapnoe Rees bedankt sich: „Vielen Dank für die neuen interessanten Sachen, die man heute gehört hat und zwischendurch immer einen flotten, lockeren Spruch.“

Autor:

Dirk Kleinwegen aus Rees

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