Sind die sozialen Arbeitsfelder wirklich noch sozial?
... so macht man doch wirklich keine Schule

Vertretungslehrer braucht das Land. Allerorts sind die "normalen" Lehrer zu wenig. Jahrelang hat man keine Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, weshalb sich viele Lehrer in andere Berufe "gerettet" haben. Zwei Beispiele seien hier genannt, Thomas Gottschalk und Dieter Nuhr. Nicht auszudenken, die wären tatsächlich im Klassenzimmer geblieben...

Im Jahre 2020 allerdings ist es längst gängige Praxis, dass die Schulen sich auch mit Menschen rekrutieren, die beruflich geeignet sind. Das erinnert beinahe an die Zeit nach dem Krieg, als z.B. Steiger zu Lehrern umsatteln konnten, oder Lehrkräfte aus anderen Berufszweigen gekommen waren. 

Mittlerweile bin ich persönlich auch seit über 17 Jahren mit wechselnden Anstellungen als Vertretungslehrer tätig. Sport, Deutsch, ev. Religion und Gesellschaftswissenschaften, habe ich zumeist unterrichtet. Mit Zeitverträgen bis zu den nächsten Sommerferien - in denen ich dann erwerbslos war - bis ich nach den Ferien wieder eine Anstellung als Lehrer gefunden habe. Mit meinen Zeugnissen kein Problem, weil ich immer gute bis sehr gute Leistungen "abgeliefert" habe. Schüler, Eltern und Kollegen erreiche ich mit meiner direkten Art nach kurzer Zeit, reagiere auch flexibel auf die wechselnden Anforderungen. So steht es in meinen Arbeitszeugnissen zu lesen.

Aber dann ist etwas passiert, was ich bisher nur gelesen habe - in den Medien. Nie zuvor erlebt.
Vertreter der Gewerkschaft und ein Arbeitsrechtler meinen jedoch, es musste schließlich auch mir mal passieren. So etwas ist kein Einzelfall. Die Details darf ich hier auch nicht haarklein beschreiben. Dennoch habe ich bereits in anderen Beiträgen hier durchblicken lassen, dass ich exakt - also auf den Tag genau - ein halbes Jahr einen VU-Vertrag erfüllt habe. So will ich einen groben Abriss liefern... 

Jedenfalls bin ich eine Zeit für diese Schule als Lehrer für Sport und Schwimmen eingeteilt. Ich habe einen gültigen Arbeitsvertrag unterschrieben, bis zu den anstehenden Sommerferien 2020. Was ich noch unterschrieben habe, lerne ich später in diesen Tagen.

Die Herzen der Kinder fliegen mir zu, ich bin schnell ein beliebter Lehrer bei den Schülerinnen und Schülern. Das ist mir nicht neu. Ich lasse keine Arbeiten schreiben, verteile keine Hausaufgaben. Als Sportlehrer ist man schneller beliebt bei den Kindern, als wenn man ein ebenso engagierter Lehrer beispielsweise für Mathematik oder Englisch ist. Die Kinder malen mir Bilder, vertrauen sich mir an - und erzählen so einiges. 

Normalerweise unterrichte ich als Schwimmlehrer meine Klassen alleine - organisiere mir dabei gerne an den wechselnden Schulen von mir sogenannte "Fönmuttis". Eltern, die den Kindern nach dem Schwimmen beim Umkleiden und Haartrockner helfen. Auch an dieser Schule klappt das so. Zudem habe ich noch den Luxus einer weiblichen Begleitung, damit ich als männliche Kraft nicht die Umkleiden der Mädchen betreten muss. Das finde ich gut, angesichts der sich verändernden Zeiten...

Schlussendlich nach dem halben Jahr voller Erfolg und Freude, in meiner letzten Woche als Schwimmlehrer an der betreffenden Schule, erfahre ich von dem Schulleiter zwischen Tür und Angel, Ende Februar sei dann Schluss. Die Probezeit endet nach sechs Monaten exakt auf dem 28. Februar. Da kann man mich noch ohne Angabe von Gründen entlassen, teilt er mir mündlich mit. Das meine Arbeitsleistung auch dort einwandfrei gewesen ist, belegt mir anschließend mein Arbeitszeugnis. Ich war also nur Spekulationsware Arbeitskraft an einer Schule, die doch eigentlich Bestandteil sozialen Lebens sein sollte. Wie man sich denken kann, haben auch einige Eltern und Schüler in meinem Fall versucht, die Entscheidung von Schulleiter und -Träger zu beeinflussen. Ohne Erfolg.

Das war aber nicht alles ...

Einen Monat zuvor zeichnete sich eine Kündigung der Kollegin ab, die seit etwa sechs Monaten Französisch an der Schule unterrichtet hat. Sicher ist die Kollegin nicht bei allen Kindern gleichermaßen gut angekommen, weshalb der Aufschrei bei Eltern und Schülern in diesem Fall in Grenzen geblieben ist. Aber auch diese Kollegin wurde exakt mit Ablauf der Probezeit gekündigt. 

Als die Kollegin gegangen wurde, sagte sie mir, ich solle auf der Hut sein. Der Schulträger sucht auch parallel nach Sportlehrern:

Die wollen Dich auch loswerden.

Also ging ich zu dem besagten anderen Schulleiter in sein Büro, um diesen Vorwurf dort vorzutragen. Der Schulleiter mit dem Vornamen eines der Erzengel, schaute mich über seine Brille freundlich an. Natürlich würde man immer nach entsprechenden Pädagogen suchen, die noch besser ins Team passten. Aber der Arbeitsvertrag mit mir wird sicher bis zu den Sommerferien erfüllt, hat er mir ins Gesicht gelogen. Weil ich das nicht wusste, aber doch zumindest verunsichert war, ob der Art und Weise, wie die Schule mit der Kollegin umgegangen war, hakte ich nach. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch die Chance, zeigte mir ein spezielles Vertretungslehrer-Portal des Landes, kurzfristig an eine andere Schule zu kommen. Es waren auch Schulen ausgeschrieben, bei denen ich bereits gute Zeiten erlebt hatte. Der andere Schulleiter blieb bei seiner Aussage, ich könne ganz sicher bleiben. Allerdings nach den Sommerferien würde man sicher eine andere Besetzung für die Stelle finden. Mit dieser Aussage konnte ich leben, habe ich als Beruf-Seiteneinsteiger schon zu hören bekommen. Zurück bei den Kollegen - auch der soeben entlassenen - berichtete ich kurz von der Unterredung "mit dem Chef".

Die Halbwertzeit der von ihm gemachten Aussage sollte sich jedoch nach wenigen Tagen als unwahr herausstellen. Schülerinnen und Schüler sprachen mich an. Freitags, also an meinem freien Wochentag, habe eine Sportlehrerin sich den Kindern vorgestellt und so komische Spiele mit ihnen gemacht. Der Schulleiter war auch dabei. Die Kinder äußerten in diesem Zusammenhang ihren Unmut, dass sie mich lieber "behalten" wollten. Ich fühlte mich geschmeichelt, zumal manche Kinder an diesen Tagen die bereits erwähnten selbstgemalten Bilder schenkten, um ihre Gefühle quasi zu untermauern. Diese Bilder legte ich gerührt in mein Schließfach ins Lehrerzimmer.

Anfang Februar, an einem Donnerstag, hat mich dann der Schulleiter angesprochen. Ob ich kurz Zeit hätte, zwei Minuten in sein Büro zu kommen. Ich bin dem Anliegen gefolgt. Im Schulleiterzimmer wurde mir dann eröffnet, dass ich Ende Februar arbeitslos sei.

Und heute brauchst Du auch nicht mehr zur Konferenz dazu kommen

, teilte er mit. Ich entgegnete, dass ich mir gegenüber meiner Schule und den Kindern nichts habe zu schulden kommen lassen. Da log der Schulleiter mich an, dass sei einzig die Entscheidung der Geschäftsführung der Trägergesellschaft. Dorthin soll ich mich wenden, wenn ich nicht einverstanden sei. Auch er würde noch einmal ein Wort für mich einlegen. 

Ich ging in meinen Sportunterricht, ließ die Kinder nichts merken. Am nächsten Tag, Freitag, war dieses Mal nicht mein freier Tag. Es war Elternsprechtag an der Schule. Obwohl ich nur Sportunterricht und Schwimmen dort unterrichtet habe, wollten mich einzelne Eltern sprechen. Ich wollte anschließend kämpfen für meine Arbeit. Auch weil ich alleine erwerbstätig bin, für eine relativ große Patchworkfamilie, kann ich hinter keiner Kündigung einfach so ein Häkchen machen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich auch nicht, dass anschließend Corona-Virus und Shutdown, für mich Erwerbslosigkeit bedeuten würde. 

Am nächsten Morgen sind dann also mehrere Eltern bei mir gewesen. Völlig unüblich habe ich in einem fremden Klassenzimmer diese Gespräche geführt. Es waren Eltern bei mir, deren Kinder plötzlich Spaß am Sportunterricht finden konnten. "Sport ist auf einmal Lieblingsfach", "Sie sind Lieblingslehrer", teilte man mir mit. Wobei die Kinder am Anfang eine gehörige Portion Respekt hatten, konnte ich mehrfach hören, weil ich doch sehr männlich auftreten würde. Viele Kinder kennen heute nur noch Frauen, führten die Eltern aus. An meinem eigentlich freien Tag hatte ich Gespräche bis zum Mittag angenommen. Dann war es vorbei. Noch im Klassenzimmer schrieb ich an den Schulträger, um ihn zu bewegen, mich weiter zu beschäftigen.

Noch binnen Stunden erhielt ich eine Antwort, die im Anfangswortlaut Hoffnung aufkeimen ließ. 
Der Schulträger wollte mit mir einen Aufhebungsvertrag machen, mich zumindest bis Mai noch zu beschäftigen. Ich hätte weiter mein Gehalt bezogen und meine Projekte mit den Kindern abschließen können. Aber... aber stand weiter in der email zu lesen, der kommissarische Schulleiter "würde keinen Sinn sehen, in der Weiterbeschäftigung". Knallhart hatte mich also der Schulleiter regelrecht fallenlassen. 

Ich beschloss, nicht so einfach aufgeben zu wollen. Ich fühlte mich im Recht. Einerseits wollte ich weiter bis Vertragsende meinen Dienst ordentlich versehen, andererseits kontaktierte ich vorsorglich die GEW. 

Als ich an dem Montag nach der mündlich erklärten Kündigung zum Dienst an der Schule eintraf, wunderten sich einige Kolleginnen und Kollegen. Warum ich nicht krankfeiern würde, wie die anderen zuvor - denen man genauso gekündigt hatte, wurde ich gefragt. Ich entgegnete, dass mir die Kinder doch nichts getan haben. Ich bin gerne Lehrer, weshalb ich nun erst Recht meinen Unterricht noch besser und abwechslungsreicher machen wollte, als sonst. Genau das habe ich dann auch getan. Im Rahmen dieser Tage habe ich weiter versucht, den Schulträger zu erreichen. Per email und auch Telefonisch. Zu den Lehrerkonferenzen war ich ja unerwünscht erklärt worden, durch den Schulleiter. Kurz muss ich aber Thema gewesen sein, auf der Konferenz eine Woche zuvor. Denn es kamen plötzlich Schülerinnen und Schüler auf mich zu. Eine Kollegin habe erzählt, ich würde gehen. Die Jugendlichen weinten und waren sichtlich erregt. Diese Kollegin habe erzählt, ich würde gehen wegen der Kinder... Die Kinder haben sich so schlecht benommen, dass ich gehen würde, hat diese sogenannte Pädagogin den Kindern ins Gesicht gelogen. Diese Kinder gehörten einer Klasse 7 an, die gerade bei mir Sportunterricht haben sollten. Kinder, im Alter von 12-14 Jahren. Also beschloss ich, den Jugendlichen die Wahrheit zu erzählen...

Im Gesprächsverlauf wurden die Jugendlichen wieder ruhig. Ein Jugendlicher, dessen Mutter die Schule wohl schon länger kennt, meinte wie zuvor auch manche Kolleginnen, dass "die anderen Lehrer bei erhaltener Kündigung immer krank gemeldet werden". Ein anderer Schüler wollte mir weitere Geschichten erzählen. Solche Geschichten kannten die anderen Kinder auch, die immerhin seit Gründung an dieser Schule lernen. Ich wollte das mit den Kindern an dieser Stelle nicht weiter vertiefen, sondern bat die Kinder um Geduld, dass ich mich in der Sache einsetze. Wir haben dann lieber eine schöne Sportstunde gehabt. Parcours in der ganzen Halle. Es hat großen Spaß gemacht. Nach dem Unterricht versuchte ich erneut, den Geschäftsführer des Schulträgers zu erreichen. Dieses Mal mit dem Hinweis, dass ich ein vertrauliches Gespräch wünsche.

Am nächsten Tag war Freitag, also für mich schulfrei. Was nichts mit Greta zu tun hat... das habe ich immer so gehandhabt, all die Jahre. Um Zeit für meine Frau, meine Kinder und für Projekte zu haben. 

Montag morgen, ich befand mich soeben auf dem Weg zur Arbeit, ging mein Telefon. Die Personalabteilung des Schulträgers teilte mir mündlich mit, dass ich mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt bin. Die Schulleitung wünscht nicht mehr, dass ich die Schule betrete. Auf Nachfragen wurde mir versichert, dass mein Gehalt davon unberührt sei, da die Freistellung einseitig durch den Arbeitgeber erfolgt. Selbstverständlich könnte ich mein Eigentum an der Schule abholen, dabei die Schlüssel zurückgeben, alles in Abstimmung mit dem zuständigen Hausmeister. Das Schließfach im Lehrerzimmer hat nach Angaben des Hausmeisters der kommissarische Schulleiter geöffnet und gelehrt. Erst auf schriftliches Nachfragen habe ich irgendwann im März mein Eigentum zurück erhalten. Den Leser wird es nach diesen Zeilen vielleicht nicht wundern, dass ich heute meine noch im Februar geleisteten Überstunden nicht bezahlt bekommen habe. Ich sehe mich nun gezwungen, Verwaltungsgericht und Schulaufsicht einzuschalten. 

In 17 Jahren als Vertretungslehrer habe ich so etwas noch nicht erlebt. 

Da ich aber immer einen guten Job gemacht habe - mit Herzblut ausgeglichen, was mir als Pädagoge fehlte, hatte ich schnell eine neue Stelle als Lehrer für Sport, evangelische Religion und Englisch, in Aussicht. Alles war bereits geklärt. Da kam der Shutdown mit der Schließung aller Schulen. Die Bezirksregierung hat dem zufolge der öffentlichen Schule, wo ich nun anfangen wollte, die Vertragsunterzeichnung von meinem neuen VU-Vertrag untersagt. Schade einerseits.

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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