lernen, mit der Gefahr zu leben, statt sie zu negieren ...
TANZ AUF DEM VULKAN

Vulkane sind faszinierende Naturphänomene. Sie sind aus gesunder Entfernung schön anzuschauen, wenn sie wie ein Feuerwerk in den Himmel "schießen". Wenn sich die Magma aus dem Inneren des Vulkans nach außen, wie dickflüssiges Blut als Lava den Kegel herab, ins Tal oder Meer ergießt. Niemand möchte dann in unmittelbarer Nähe sein. Die Ruinen von Pompeji erinnern eindrucksvoll daran, welche katastrophalen Auswirkungen so ein Vulkan für uns Menschen haben kann. Der sprichwörtliche Tanz auf dem Vulkan sollte deshalb auch erst stattfinden, wenn so ein Vulkan nicht mehr aktiv ist, um vergleichbare Folgen zu vermeiden. 

Einer der gefährlichsten Vulkane der Weltgeschichte liegt dabei "direkt vor der Haustür". Es ist der Ätna. Quellen dokumentieren bereits Ausbrüche aus dem Jahr 693 vor Christus. Seitdem erschüttern immer wieder Eruptionen die Insel Sizilien. Dabei werden Häuser zerstört und der Himmel von Aschewolken verdunkelt. Zuletzt ist der Ätna 2019 aktiv gewesen. Der Ätna hat aktuell vier Gipfelkrater: einen Hauptkrater, den direkt daneben liegenden Krater „Bocca Nuova“ (neuer Schlund) von 1968 sowie den Nordostkrater von 1911 und den Südostkrater von 1979, die etwas abseits des Hauptkraters liegen. Wenn der Ätna seine Lava ausstößt, erfolgt das aber an den Flanken des Bergkegels, statt aus den großen Kratern. Im Laufe der Jahrtausende haben sich mittlerweile etwa 400 Nebenkrater gebildet, wie z. B. 1892 die Silvestri-Berge. Die dicht besiedelte Landschaft um den Ätna ist durch die verwitternde Lava, die einen ausgeglichenen pH-Wert hat, äußerst fruchtbar. Aufgrund der Höhe des Ätna, folgen verschiedenste Vegetationsgürtel aufeinander: In den unteren Bereichen bis etwa 1500 Meter gedeihen Orangen-, Zitronen-, Oliven-, Feigen- und Pistazienbäume. Auch Getreidefelder und Weinberge gibt es dort, als wichtige wirtschaftliche Grundlage der Region. Es sterben bei jedem seiner Ausbrüche auch deshalb immer wieder einige Menschen. Dennoch ist niemand seriös auf die Idee gekommen, Opfer der Vulkanausbrüche vom Ätna mit Verunglückten von Lawinen beispielsweise in Galtür (Tirol) zu vergleichen, um das Risiko zu verharmlosen. Diese Menschen am Fuße des Vulkans haben selten eine Alternative, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie versuchen sich mit der Gefahr zu arrangieren.  
C a r p e  d i e m. 

Seit Tagen steigen die Fallzahlen der Neuinfektionen mit dem SARS-Covid19-Virus erneut stärker an. Vergleichen wir den Ätna mit diesem neuartigen Virus, wird schnell klar, dass im übertragenen Sinn die "Magma" der tödlichen Gefahr nicht ruht. Dieses veränderte Virus, welches in der Stammform seit Jahren bekannt ist, ist aktiv. Unsere Gesellschaft weiß das eigentlich auch. Im März diesen Jahres, als die tägliche Neuinfektionsrate bei etwa 400 Menschen gelegen hat, folgte der sogenannte Shutdown. Wäre Covid19 eine Lawine gewesen, die unser Dorf von der Außenwelt abgeschottet haben würde, sollten wir für einige Wochen ausharren können - und überleben. Mir ist nicht bekannt, dass bei Lawinenunglücken überproportional die Menschen in Tirol mehr häusliche Gewalt und Langeweile haben. Stattdessen habe ich jedes Mal das Gefühl, wenn ich zum Beispiel in Kitzbühel unterwegs bin, dass die Menschen dort mit der Gefahr täglich leben. Es gibt Schaufeln, Schneefräsen und Vorräte zum Beispiel. Keine Panik, keine Ignoranz, keine Hektik. In Tirol spricht man sogar langsamer, als bei uns... 

Wenn ich mich daran erinnere, dass ich mal eine beeindruckende Forschungsstation besuchen durfte, die seismologische Werte erfasst, springe ich gedanklich mal eben vom Ätna zum Timanfaya, nach Lanzarote. Dieser Vulkan dort gilt nur noch als leicht aktiv, wobei sein letzter Ausbruch etwa 200 Jahre zurückliegt. Ich nehme an, dass aber auch auf Sizilien und anderswo, entsprechende Beobachtung vulkanischer Aktivität erfolgt. Das sehe ich auch als ein Arrangieren mit der Natur. Lanzarote ist geprägt durch derartige Anpassung. Ein köstlicher Wein entsteht sogar in dieser wasserarmen Region, inmitten von Basalt und Geröll. ...Niemand dieser oft sehr einfach lebenden Menschen pflegt momentan die Idee, im Timanfaya Nationalpark ein Einfamilienhaus zu errichten, oder auf dem Vulkan "tanzen zu wollen"...  El Diablo, "der Teufel" (der Name von dem Hauptkrater), wird respektiert. 

Seit Wochen nun werden die Schutzmaßnahmen gegen Covid19 nach und nach gelockert. Mehr und mehr nähern wir uns aktuell also - übertragen geschrieben - dem "Corona-Vulkan" wieder an. Viele Menschen haben das Bedürfnis, so kann ich hören, lesen und sehen, wieder Kaffee zu trinken, einkaufen zu gehen, oder es auch nur zu können - und sie wollen tanzen. Meines Erachtens haben wir in diesen Tagen damit aber nicht genug Geduld bewiesen. Die Fallzahlen liegen mit durchschnittlichem Zuwachs von circa 348-375 Menschen pro Tag wieder ähnlich hoch (400 Menschen), wie vor dem Shutdown bei der ersten Welle der Pandemie. Was ist, wenn wir gerade Zeuge werden, für die zweite Welle...? Ein Vulkan, dessen Lava und Rauch man nicht sieht, bleibt schließlich auch ein Vulkan...

Der Vesuv gilt ebenfalls als ein aktiver Vulkan - und befindet sich auf dem europäischen Festland. Er liegt am Golf von Neapel in der italienischen Region Kampanien, neun Kilometer von der Stadt Neapel entfernt. Hier wurde Pompeji regelrecht lebendig begraben. In der Antike. Das ist weltgeschichtlich nicht lange her. Das ist aber auch geografisch nicht wirklich weit weg. Der Berg ist heute übrigens etwa 1281m hoch. Er besteht aus den Resten eines früher wesentlich höheren, älteren Schichtvulkans, des Somma, dessen Spitze bei seinem letzten Ausbruch 79 n. Chr. zu einer Caldera eingestürzt ist, und dem im Inneren des Einsturzbeckens neugebildeten Kegel des „eigentlichen“ Vesuv. Die Aktivität des Vesuv löst wiederkehrende Eruptionen aus. Typische Kennzeichen dieser explosiven Vulkanausbrüche ist das Aufsteigen einer kilometerhohen Eruptionssäule und der schnelle Ausstoß großer Mengen vulkanischen Materials. Die großen Ausbrüche sind zudem von sogenannten pyroklastischen Strömen begleitet, die zu den gefährlichsten Formen des Vulkanismus zählen. Diesen Großereignissen folgen aktive Phasen mit stetigen Lava-Austritten. Sein vermeintlicher Ruhezustand kann mehrere hundert Jahre andauern, endet dennoch irgendwann mit einem erneuten Ausbruch. Ich kann nicht beurteilen, ob das in Italien allen Menschen auch wirklich klar ist.

Bezogen auf die aktuelle Phase der sogenannten Corona-Pandemie finde ich spannend, dass ausgerechnet eine Gesellschaft, die mit Vulkanen zu leben gelernt hat, auch als erste Gesellschaft mit mehreren Millionen Einwohnern geschafft hat, Covid19 regelrecht "auszuhungern". Damit meine ich nicht die zweimal erwähnten "Schwalben-Könige" vom Mittelmeer. Ich meine ein Land am anderen Ende der Welt: Neuseeland hat gezeigt, was wir alle lernen können. Sieben Wochen echter Shutdown - also Geduld und Spucke - und niemand braucht über einen Impfstoff zu hadern, der vermutlich immer langsamer entwickelt sein wird, als die Anpassung der nächsten SARS-Covd-Viren. Für einen Tanz auf dem Corona-Vulkan - also weitere Lockerungen der Schutzmaßnahmen - halte ich den Zeitpunkt für viel zu früh. Dann kann man auch hoffen, mit einem Jetpack über den indonesischen Anak Krakatau schadlos "surfen" zu können. Dieser Vulkan zeigt jedes Jahr ein anderes Gesicht, mit allen Aktivitäten.  
M e m e n t o   m o r i. 

Dabei nehme ich für mich mit diesem Kommentar nicht in Anspruch, mit dem Themen Vulkane oder Virus besonders vertraut zu sein. Ich werde nur einfach nicht müde, davor zu warnen, aus Langeweile übermütig zu werden... Unser Shutdown in Deutschland war nicht annähernd so effektiv, wie der in Neuseeland, ... weil er halbherzig gewesen ist. Kopflos und hohl. Wie ein ausgebrannter Krater... 

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Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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