Auf welcher Basis entscheidet Politik - Teil 2
TAG DER OFFENEN TÜR IN MARIUPOL

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Meinung von Stephan Leifeld

Die NATO scheint völlig von einer diplomatischen Lösung der aktuellen Konfliktlage in der Ukraine abgekommen. Das liegt aber auch in ihrer "Natur": Die NATO ist ein Militärbündnis und kein Ausbildungsverein für Diplomatie und Frieden. Stoltenberg, Biden und andere Köpfe berechnen seit Wochen fieberhaft, wie sie mit welchen Waffen dem russischen Feind begegnen können. Ein echter Stellvertreterkrieg ist längst eskaliert, der bereits seit 1996 dafür trainiert worden ist. Die Medien finden kaum zur Sachlichkeit zurück, bei den Politikerinnen sieht es ebenso entgleist aus. Alles wird interpretiert, was der ausgemachte "Feind" noch so nebulös formuliert. Man befindet sich bereits mit einem Bein im nächsten Weltkrieg. Dabei bietet das Völkerrecht seit deutlich vor dem "Ersten" eine Lösung, die so einfach ist, dass nur patriotisch Verblendete, diesen Weg zur Deeskalation nicht sehen können: es ist die Haager Landkriegsordnung. Ein wichtiger historischer Meilenstein, neben der Genfer Konvention. 

Die Börsenwerte von Kraus-Maffei und Rheinmetall wachsen aktuell in lange nicht mehr gekannte Regionen. Wir befinden uns in einer Hochkultur der Kriegsindustrie. Beinahe, wie vor 1914 ... als Europa in den ersten Weltkrieg unaufhaltsam reingestolpert ist. Zum Vortag sind es alleine bei Kraus-Maffei 5,10 plus. Aber der "Treppenwitz" der deutschen Rüstungsindustrie kommt im nächsten Satz: Das in München vor fast 200 Jahren gegründete Unternehmen hat mittlerweile seinen Hauptsitz in China. "Made in China" steht also Strenggenommen unter deutschen Panzern... das ist ja fast wie in den meisten deutschen Kinderzimmern, mit den Spielzeugpanzern.

Etwa aus derselben Zeit, als die Rüstungsindustrie gegründet wurde - die in den Weltkriegen gute Geschäfte machen konnte - und auch seit 1945 weltweit immer REICHE Ernte einfährt, stammen die heutigen Grundlagen für das Völkerrecht. 

Genfer Konvention und Haager Landkriegsordnung bilden noch heute die Grundlage für Diskussionen, in denen wechselseitig Staaten anderen Staaten den Bruch von Völkerrecht vorhalten. So wenig ist jedoch davon bekannt, wie es funktionieren könnte, auch in diesen Tagen - um auch damit eine weitere Kriegseskalation abzuwenden.

Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) ist dabei die Anlage zu dem während der ersten Friedenskonferenz in Den Haag beschlossenen zweiten Haager Abkommen von 1899. Im Jahre 1907 im Rahmen einer Nachfolgekonferenz wurde es als sogenanntes "viertes Haager Abkommen" in leicht geänderter Fassung erneut angenommen. Die Haager Landkriegsordnung enthält für den Kriegsfall Festlegungen zur Definition von Kombattanten, zum Umgang mit Kriegsgefangenen, zu Beschränkungen bei der Wahl der Mittel zur Kriegsführung, zur Verschonung bestimmter Gebäude und Einrichtungen von sozialer und gesellschaftlicher Bedeutung, zum Umgang mit Spionen, für Kapitulationen und Waffenstillstandsvereinbarungen sowie zum Verhalten einer Besatzungsmacht in einem besetzten Territorium. Zum Umgang mit verletzten und erkrankten Soldaten verweist die Haager Landkriegsordnung bekanntermaßen auf die erste Genfer Konvention von 1906.

Der Haupttext der Landkriegsordnung umfasst fünf (1899) beziehungsweise neun (1907) Artikel, in denen neben anderen verfahrensrechtlichen Aspekten die Anwendbarkeit sowie die Umsetzung reguliert sind. Vertragspartei der Fassung von 1899 wurden zunächst 51 Staaten, der Fassung von 1907 traten dann 38 Staaten bei. Insgesamt sind 53 Länder mindestens einer der beiden Fassungen beigetreten. Depositar aller Haager Abkommen sind die Niederlande. Laut meiner Recherchen haben bis dato nicht alle Staaten diese Abkommen unterzeichnet, wenngleich sie international immer wieder als Grundlage für Vorhaltungen und Streit herhalten. Papier ist eben geduldig. 

Die Haager Landkriegsordnung ist für die Vertragsparteien und ihre Nachfolgestaaten weiterhin gültiges Vertragsrecht. Ihre Prinzipien gelten darüber hinaus seit einigen Jahrzehnten als Völkergewohnheitsrecht, weshalb m.E. auch sämtliche Staaten diese Abkommen ratifizieren sollten. Sie sind damit zwar für Staaten und nichtstaatliche Konfliktparteien bindend, die dem Abkommen nicht explizit beigetreten sind, sollten aber allgemein bekannter werden - damit auch in Zeiten wie diesen, mehr Leute wirklich informiert sind, welche Möglichkeiten es gibt, Eskalation von Krieg einzudämmen. Teile der Haager Landkriegsordnung wurden später in vier weiteren Genfer Abkommen von 1949, zwei Zusatzprotokollen 1977 sowie der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 präzisiert. Die Haager Landkriegsordnung ist damit neben ihrer gewohnheitsrechtlichen Bedeutung auch der historische Ausgangspunkt wesentlicher vertragsrechtlicher Teile des gegenwärtigen humanitären Völkerrechts. Daher finde ich es außerordentlich traurig, dass unsere politische Kaste in der westlichen Welt - die zum großen Teil aus juristisch gebildeten Menschen besteht, ausgerechnet diesem Teil von Recht so wenig Wert und Bedeutung beimessen. Eher scheint es diesen Juristen nur um den Streit an sich und das Gewinnen zu gehen... als um eine Lösung.

Der erste Versuch, Regeln zur Kriegsführung in Form eines völkerrechtlichen Vertrages festzulegen, war die Brüsseler Konferenz von 1874. Zehn Jahre zuvor war mit der ersten Genfer Konvention von 1864 ein verbindliches Abkommen abgeschlossen worden, das Krieg führende Staaten zur Behandlung und Versorgung von verwundeten Soldaten verpflichtete. Krieg wurde zur damaligen Zeit beim Vorliegen eines Kriegsgrundes noch als gerechtfertigtes Mittel zur Lösung von zwischenstaatlichen Konflikten angesehen, ein als „ius ad bellum“ bezeichnetes Recht zum Kriege galt als unbestritten.

Darüber hinaus herrschte damals allgemein die Auffassung, dass die nähere Zukunft eine Reihe von unvermeidbaren Kriegen bringen würde. Aus dem Erfolg der Genfer Konferenz von 1864 resultierte bei vielen führenden Persönlichkeiten in Politik und Militär in Europa aber auch die Haltung, dass – auch unter militärischen Gesichtspunkten – eine Regulierung und „Humanisierung“ des Krieges durch ein „ius in bello“, ein Recht im Kriege, sinnvoll wäre. Man rechnete seinerzeit - nach den napoleonischen Kriegen - offenbar mit Weltkrieg I und II - wenn man schriftlichen Ergüssen der damaligen Zeit folgen möchte. Auch die Stellvertreterkriege in den Kolonien "mussten" demnach sein.

Anton Hofreiter und andere Politikerinnen der Ampelkoalition, die vor einiger Zeit noch für Frieden und Abrüstung auf die Straße gegangen sind, können aktuell anscheinend ebenfalls nicht genug bekommen, von Waffenlieferungen und Gründen, mit denen sie Krieg als geheiligten Mittel zum Zweck erheben konnten. Dabei stelle ich mir vor, wie der Hofreiteranton seine Haarpracht unter einen Stahlhelm zwingt... oder wie er wohl aussehen würde, mit 3mm-Kurzhaarschnitt. Jedenfalls sehe ich hier die Zeitenwende. Nicht eine Wende zur Zukunft wurde vollzogen, sondern ein Salto Mortale in Nationalstaatlichkeit und Territorialkriege.

Vor über 100 Jahren gab es bereits den Begriff der "offenen Stadt". In der Landkriegsordnung bezeichnete man damit eine Stadt oder Ortschaft, die nicht verteidigt wird und daher nicht angegriffen oder bombardiert werden darf. Das war sogar klar, in den beiden großen Weltkriegen. Unfassbar, wenn man dann aktuelle Bilder aus Mariupol und anderen Städten sieht, in denen ihre Soldaten einfach nicht kapitulieren wollen, um auf diese Weise emotional Pfund zu gewinnen, im schlechten Gewissen von Kriegsgegnern. Grundlage ist dafür eigentlich Artikel 25 der Haager Landkriegsordnung:

„Es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen.“

Wenn ich mir die Bilder von Mariupol anschaue, kommt mir wieder dieser akkurat gestutzte Kommandant in den Sinn. Man wird nicht aufgeben. Man erwartet eine Evakuierung durch Drittstaaten. Die Zivilisten könnten also menschliche Schutzschilde sein, für Truppen der Ukraine, die weder reguläre Einheiten sind - im Fall der sogenannten Azow-Brigaden - als auch könnten unter den Belagerern Tschetschenische Freischärler sein, die für Russlands Rubel kämpfen. Und was macht unser zivilisierter Westen derweil?

Unsere juristisch ausgebildete Elite, u.a. von ehemaligen Nerds und vielen Frauen angeführt, folgt panisch in den Sog des Krieges, verpulvert für nachfolgende Generationen unserer Kinder Massen von Steuergeldern zum Wohle von Großaktionären, die zum Teil den Stammsitz der betreffenden Unternehmen in Übersee und China haben. Ich vermisse eine diplomatische Initiative, die heute den ganzen Wahnsinn stoppt - und weder Öl noch Erdgas der Russen bezieht, noch Waffen jedweder Art in das Krisengebiet sendet. Es macht mich beinahe wütend, wenn ich sehe, wie blind unsere ganze Gesellschaft vor dem Abgrund stehend, sich einen Schritt nach vorne führen lässt. Nur damit Deutschland diesmal nicht alleine steht... 

Ich habe genug Alternativen zum Krieg genannt: 

1. Sofort Öl- und Erdgasembargo gegen Russland

2. Sofort Waffenembargo gegen Ukraine

3. Städte in Ukraine für offene Städte erklären

4. UNO übernimmt Vermittlung der Parteien

DIE WAFFEN NIEDER!

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Nachtrag:
Einige Städte, die während des Zweiten Weltkrieges als offene Städte deklariert wurden:

Brüssel     am 10. Mai 1940
Paris         am 13. Juni 1940
Bordeaux              am 20. Juni 1940

sämtliche französische Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern, Juni 1940

Rom                    Juni 1940
Kanalinseln       1940
Basel                   Ende Juni 1940

Athen                  am 28. Oktober 1940, Appell von Ministerpräsident Metaxas an Italien

Belgrad               Anfang April 1941, dennoch fand am 6. April 1941 der Luftangriff auf Belgrad statt

Manila                1942

Rom,                   am 14. August 1943 von Italien nach der Flucht Vittorio Emanuele III. aus Rom vor den anrückenden deutschen Truppen zur offenen Stadt erklärt

Rom,                   am 31. Juli 1943 von der italienischen Regierung
                            und erneut Anfang Juni 1944 von Albert Kesselring
                            zur offenen Stadt erklärt und am 4. Juni 1944
                            von westalliierten Truppen besetzt

Chieti                  am 24. März 1944

Assisi                   durch eine Zusammenarbeit zwischen dem
                             Stadtkommandanten Oberst Valentin Müller
                             und dem Bischof Giuseppe Placido Nicolini im Juni 1944 

Orvieto                am 14. Juni 1944

Florenz                 am 3. Juli 1944, von deutscher Seite verkündet 

Athen                    am 11. Oktober 1944

Ahlen                    im März 1945 durch Oberfeldarzt Paul Rosenbaum

Göttingen             am 8. April 1945 durch Otto Hitzfeld
Innsbruck             am 3. Mai 1945 mit Hilfe von Friedrich „Fred“ Mayer
Flensburg             wurde am 4. Mai 1945 vom OKW zur Offenen Stadt erklärt
                               und seit dem 5. Mai schrittweise besetzt.
                               Ohne Befehl entfernte die Bevölkerung am 6. Mai
                               die noch vorhandenen Straßensperren, um sie als Brennholz zu nutzen.
                               Unbesetzt blieb zunächst der Sonderbereich Mürwik, wo sich die letzte    
                               Reichsregierung unter Karl Dönitz aufhielt

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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