Ennepe-Ruhr-Kreis ruft Pflegenotstand aus

EN-Pflegegipfel: viele Bundes- und Landtagsabgeordnete kamen in der Geschäftsstelle der AWO EN mit den Leitern der Verbände und der Kreisverwaltung zusammen. | Foto: privat
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Immer weniger junge Menschen wollen eine berufliche Richtung im Pflegesektor einschlagen. Gründe dafür sind vor allem Schichtdienst, Arbeit an Wochenenden, hohe physische und psychische Belastungen und nicht zuletzt eine, gemessen an den immensen Anforderungen, schlechte Bezahlung. All diese Punkte machen den Pflegeberuf mehr als unattraktiv.

Der Mangel an Fachkräften wird in Pflegeheimen und bei den ambulanten Pflegediensten immer drastischer spürbar. „Patienten und Angehörige, die dringend auf der Suche nach ambulanter Hilfe bei der Pflege sind, muss unser Pflegedienst immer häufiger abweisen. Wir haben nicht mehr genügend Personal, um überall da zu helfen, wo Hilfe dringend nötig ist“, erklärt Jochen Winter, Geschäftsführer der AWO Ennepe-Ruhr und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege im Ennepe-Ruhr-Kreis.
Die Arbeitsgemeinschaft hatte Anfang April die Bundes- und Landtagsabgeordneten aus dem EN-Kreis eingeladen, um gemeinsam mit ihnen zu diskutieren, wie dem Fachkräftemangel in der Pflege wirksam begegnet werden kann. „Unsere Mitarbeiter sind hinsichtlich der Arbeitsbelastung am Limit. Und es kommt immer häufiger vor, dass frei gewordene Stellen nicht sofort wieder besetzt werden können“, beschreibt Esther Berg, Bereichsleiterin Soziale Dienstleistungen bei der AWO EN.

250.000 Kräfte fehlen bis 2030

Vor dem aktuellen Hintergrund sei es schwierig, junge Menschen für Pflegeberufe zu begeistern, so Berg weiter. Demgegenüber fehlten aber bis 2030 geschätzte 250.000 Fachkräfte bundesweit. 8000 zusätzliche Pflegekräfte versprechen Union und SPD im Koalitionsvertrag als Sofortmaßnahme gegen den Pflegenotstand. René Röspel und Ralf Kapschack, den direkt gewählten SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem EN-Kreis, genügt das nicht: „Angesichts der Schwierigkeiten, mit denen viele Einrichtungen kämpfen, werden die 8000 Stellen kaum ausreichen. Umso wichtiger ist es, die Attraktivität und die Arbeitsbedingungen des Pflegeberufes zu verbessern. Dazu dient die im Koalitionsvertrag vereinbarte `Konzertierte Aktion Pflege`. Sie enthält unter anderem eine Ausbildungsoffensive, Anreize für eine bessere Rückkehr von Teil- in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten sowie eine Weiterqualifizierung von Pflegehelfer/innen zu Pflegefachkräften. Wir werden uns für höhere Löhne einsetzen und dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Pflege flächendeckend zur Anwendung kommen.“
Auch ein Abbau der Bürokratie in der Pflege sei dringend nötig, unterstreicht Hartmut Claes, Geschäftsführer Caritas Witten: „Wer möchte, dass sich unsere Pflegekräfte wieder auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich auf die Pflege des Menschen, der muss sie von organisatorischen Aufgaben befreien.“

Eine gemeinsame Pflegeausbildung

Zumindest im Bereich der Ausbildung ist eine Besserung der Lage in Sicht. Ab 2020 werden die unterschiedlichen Pflegeausbildungen in eine gemeinsame überführt, nach der die Absolventen je nach Neigung ihren Beruf in allen Arbeitsfeldern der Pflege ausüben können. Mit der Verabschiedung des Pflegeberufereformgesetzes soll die Ausbildung, die heute teils von den Nachwuchskräften noch selbst finanziert werden muss, kostenfrei werden, so die beiden MdBs René Röspel und Ralf Kapschack. Skeptischer beurteilt Jürgen Kern, Geschäftsführer der Freien Alten- und Nachbarschaftshilfe die Ausbildungssituation auch für die Zukunft. So stünden den Fachseminaren für die Ausbildung der Altenpflegeschüler/-innen nur etwa die Hälfte des Betrages zur Verfügung, den die Krankenpflegeschulen erhielten. Er fordert die Integration der Ausbildung ins duale Ausbildungssystem mit staatlichen Schulen und einer entsprechenden Lehrervergütung. Verena Schäffer, NRW-Landtagsabgeordnete Bündnis90/Die Grünen ergänzt: „Konkret muss das Land bei der Altenpflegeausbildung nachlegen. In den letzten sieben Jahren wurden rund 8.500 zusätzliche Plätze geschaffen, jetzt muss eine höhere Finanzierung der Plätze an den Schulen ebenso sichergestellt werden, wie eine höhere Ausbildungsvergütung“. Der FDP-Landtagsabgeordnete Bodo Middeldorf hält darüber hinaus eine Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufes für dringend notwendig. Es müssten langfristige Aufstiegschancen, etwa durch die Förderung der akademischen Aus- und Weiterbildung geschaffen werden.

Die Politik steht vor vielen großen Aufgaben

Weitere Aufgaben, die dringend angegangen werden müssen, sieht Jochen Winter bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Pflegebereich, bei der Gewinnung von Männern für Pflegeberufe und vor allem bei der Entwicklung tragfähigerer Finanzierungsmodelle: „Pflege ist eine Beziehungsdienstleistung. Da kann nicht einfach gekürzt werden, ohne dass die Qualität sinkt. Es muss künftig mehr Geld in die Pflege fließen, für mehr und besser bezahltes Personal. Das bedeutet aber auch, dass die Kosten für Pflegeleistungen sowie die Beiträge für die Pflegeversicherung steigen.“

Autor:

Lokalkompass Schwelm aus Schwelm

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