Hauptsache Antibakteriell oder - Wie habe ich es geschafft, inmitten von Keimen zu überleben?

„Die Gesundheit unserer Kinder beginnt mit hygienisch sauberen Händen“ behauptet der Werbeslogan für ein Desinfektionsmittel und will uns einreden, dass man auf gar keinen Fall den Seifenspender berühren darf, auf dem es von Keimen ja nur so wimmelt! Ja, man suggeriert uns gar, dass die lieben Kleinen sogar unterwegs die Fingerchen desinfizieren müssen! Glaubt man dem heutigen Werbefernsehen, so gibt es nichts Wichtigeres, als in einem sterilen, absolut keimfreien Haushalt zu leben.

Wie einfach war es da doch früher. Damals musste die Hausfrau nur ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nicht den richtigen Weichspüler genommen hat und sich die Familie über kratzige Pullis beschwerte. Die Wäsche musste weißer als weiß sein – von steril war nicht die Rede. Und beim Spülen waren die rauen Hände das größte Problem. Dank Tilly allerdings kein unlösbares.

Und heute? Antibakterielles Spülmittel, antibakterielles Waschpulver und antibakterieller Glasreiniger. Was soll der Unsinn? Will ich in meiner Küche etwa jemandem den Blinddarm herausnehmen? Mit Sicherheit nicht! Nicht mal im äußersten Notfall! Obwohl… wär vielleicht gar kein schlechter Nebenverdienst. ;-) Das Blut wäre nachher mit antibakteriellem Allzweckreiniger schnell wieder aufgewischt, anschließend Sagrotan versprühen - und fertig wäre die Küche für die nächste OP! Und wie entsorge ich den überflüssigen Appendix? Richtig! In einer antibakteriellen Mülltüte!

Aber Spaß beiseite. Mich nervt dieser „Alles-muss-keimfrei-und-steril-sein“ Hygienefimmel. Gut, die Küche sollte sauber sein. Auch im Bad kann ich es ja noch nachvollziehen, dass man gerne ein bisschen desinfiziert. Warum allerdings der Nachwuchs rund um die Kloschüssel spielen soll, statt draußen herumzutoben, das will mir nun wiederum überhaupt nicht in den Kopf. Es sei denn, man will ihn vor den ekligen Keimen in der frischen Luft bewahren.

Der Sinn von antibakteriell gereinigten Fensterscheiben erschließt sich mir auch nicht so recht. Ob das den Ausblick schöner macht? Wohl kaum!

Heute reicht es auch nicht mehr, sich nach dem Spielen mit dem Hund die Hände gründlich zu waschen - nein! Desinfizierende Ärzteseife (siehe oben) muss her. Gut - es muss ja nicht sein, dass Junior und sein pelziger Kumpel immer schön abwechselnd am Eis schlecken, wie ich neulich (mit leichtem bis mittelschwerem Schaudern) beobachten durfte.. Aber man kann halt alles übertreiben! ;-)

Ich frage mich jedenfalls ernsthaft, wie ich es geschafft habe ohne Vakuumverpackung das biblische Alter von 54 Jahren zu erreichen. Wir haben als Kinder draußen gespielt - und manchmal waren wir so schmutzig, dass meine Mutter erst einige Gesichter schrubben musste, um die Nachbarskinder herauszufiltern.

Und trotzdem sind wir groß geworden! Ich kannte damals kein Kind, das unter Asthma gelitten hat. Sicher, es gab sie auch, aber eben selten. Neurodermitis, Allergien.... Begriffe, die uns heute leider viel zu geläufig sind, waren damals noch relativ unbekannt.

Bitte nicht missverstehen, ich habe nichts gegen Hygiene.. ganz im Gegenteil. Auch der gute alte Brauch, dass samstags gebadet wurde - und nur samstags!- muss nicht wieder aufleben. Aber bitte, bitte, nicht übertreiben! Kinder sollen glücklich und fröhlich sein - nicht klinisch rein. Ein Haus soll auch ein Heim sein, gemütlich, einladend, kuschelig. Wer möchte schon in einem Operationssaal leben?

Ich jedenfalls nicht – und ich fühle mich immer äußerst unwohl, wenn ich irgendwo zu Besuch bin und ständig den Eindruck habe, die Hausfrau wartet nur darauf, dass ich endlich gehe. Damit sie mit der chemischen Keule die von mir kontaminierte Wohnung wieder steril bekommt!

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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