Exklusiv-Interview - Extrembergsteiger Reinhold Messner live in der Stadthalle Unna
Auch gescheitert und trotzdem ein Überlebender

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Die Nähe zwischen Extremsport und Familientragödie bilden das Alleinstellungsmerkmal für Reinhold Messner. Der Südtiroler feierte kürzlich den 75. Geburtstag und blickt auf einzigartige Bergsteigeerfolge zurück. Ohne künstlichen Sauerstoff erklomm er als erster Mensch den Mount Everest (8848m) sowie alle 14 Achttausender der Welt. Am 17. April 2020 berichtet er in der Stadthalle Unna live aus seinem Leben, Gipfelerfolge aber auch Erlebnisse des Scheiterns in Grenzsituationen. 

"Nanga Parbat - Mein Schicksalsberg" spannt den Bogen von Bergsteigern der Vergangenheit, die bei Expeditionen an Grenzerfahrungen scheiterten, aber auch entgegen landläufiger Ansichten Höchstleistungen und Sternstunden des Alpinismus vollbrachten bis zum Wendepunkt in Messner´s Leben. Denn „Herzensangelegenheit“ ist dem wohl berühmtesten Extrembergsteiger, von der schicksalhaften Expedition1970 zu berichten, bei der sein Bruder Günther auf tragische Art sein Leben verlor. Und wie er es trotzdem schaffte, acht Jahre später mit dem ersten Alleingang eines Achttausenders an der Diamir-Wand die Glanzleistung seines Lebens zu vollbringen. Bis heute betreibt Reinhold Messner Bildungs- und Gesundheitsprojekte in Tibet und zeigt sein Lebenswerk im Messner Mountain Museum (MMM), das es in den Provinzen Südtirol und Belluno inzwischen an sechs Standorten gibt.
Exklusiv für den Stadtspiegel nahm sich Reinhold Messner Zeit für ein Interview, zu dem wir Ihn im Mountain-Museum in Bozen erreichten.

Herr Messner, sie besuchen Unna nicht zum ersten Mal. Auf welche selbst erlebte Geschichten rund um Ihr Leben als Extrembergsteiger darf das Publikum diesmal gespannt sein?

In Unna habe ich bereits mehrere Vorträge gehalten und bin jetzt froh, dass ich den Nanga Parbat-Vortrag (Anm.: 8125 m Höhe, der neunthöchste Berg der Erde/ Asien) halten kann, eine 50-jährige Geschichte, die inzwischen ihre Wurzeln und Gipfel klargestellt hat. Es ist die Geschichte um eine Expedition 1970, von der ich mehr tot als lebendig wieder zurückkehrte. Es geht um den Zeitpunkt, als mein Bruder verloren ging, den Fund der Leiche, die Familien mit zwei Dutzend Menschen, die zum Nanga Parbat reisten um ihn zu bestatten. Ein Leben umfassendes Thema. Mein Bruder ist dort beerdigt worden wo es passierte. 2005 fand man seine Überreste im Toteisgletscher. Schmilzt ein Gletscher, werden Tote darin langsam talwärts gebracht. Der Schnee wurde porös und zum Vorschein kam mein Bruder. Einheimische fanden ihn. Es gab eine Feuerbestattung und seine Asche wurde in eine tibetische Grabsträtte gelegt. Bruder ist erinnert im Mountain-Hauptmuseum in Bozen. Dort ist auch der Schuh ausgestellt, der gefunden wurde.

Was war Ihr größter Erfolg während Ihres Lebens im Bereich der Grenzerfahrung?

In der Summe, überlebt zu haben. Ich bin ein vorsichtiger Mensch und habe Glück gehabt. Dabei habe ich immer auf die letzten Schritte verzichtet. Denn ich bin auch gescheitert und trotzdem am Leben geblieben.

Herr Messner, betrachtet man die Plakate zu ihrer aktuelle Tournee hat man den Eindruck eines äusserst robusten Grenzwandlers, den nichts erschüttert. Wann gab es in ihrem Leben Situationen der allergrößten Angst?

Ja, ich hatte riesige Angst am Nanga Parbat als wir merkten, unsere Überlebenschancen sind nahe Null. Auch als mein anderer Bruder am Nordpol ins Wasser fiel, weil die Eisscholen so tanzten dass man kaum weiterkam. Ohne Angst wäre ich nicht da. Sie ist das Regulativ, dass uns sagt bis hierhin und nicht weiter. Angst ist Teil unseres Selbsterhaltungstriebes. Wir würden sonst früh umkommen. Wer die Gefahren kennt und beurteilen kann, der hat auch Angst. Wer keine Ahnung hat und deshalb keine Angst, der lebt nicht lange.

Ausgesetzt in unberührten Landschaften nur mit einer Minimalausrüstung, bei solchen Expeditionen, wenn Sie alleine unterwegs sind, taucht dann auch Einsamkeit auf? Und wie begegnen Sie ihr?

Alleinsein und Einsamkeit sind zwei Paar Schuhe. Ich bin da oben auf mich zurückgeworfen aber nicht einsam. Ich brauchte lange um das zu lernen, um mit mir in schwierigen Situationen über Monate hinweg zurecht zu kommen. Wir Menschen sind soziale Wesen, haben Empathie und wollen unsere extremen Erfahrungen teilen, unmittelbar. Ich habe mich soweit im Griff gehabt, dass ich die Achttausender allein besteigen konnte. Das ist eine Kunst die muss man lernen. Am Ende der Welt über Tage und Monate zu sein.

Sie haben eine große Familie, Kinder und Geschwister. Hat Ihre Familie Sie bei Ihren riskanten Vorhaben auch irgendwann mal ausgebremst?

Natürlich hätten die lieber gehabt dass ich das nicht mache, aber ich bin als extremer Kletterer schon mit 16 Jahren nicht mehr bremsbar gewesen. Bis dahin wurde ich vom Vater gefördert, dann versuchte er zu bremsen, aber das selbst bestimmt Leben ist mir das Heiligste.

Herr Messner, heute sind Menschheit und Natur mehr bedroht als je zuvor, die aktuelle Klimadiskussion gewinnt global immer mehr an Fahrt. Was fühlen Sie beim Anblick abschmelzender Gletscher, umherirrender Eisbären und immer stärkerer Wetterwandlungen?

Das sehe ich seit 20 Jahren, weil es im Gebirge früher gegriffen hat. Ich setze mich seitdem damit auseinander. Jetzt ist da auf einer hysterischen Ebene etwas in Bewegung, was dem Ganzen nicht gut tut. Wir brauchen Sachlichkeit, Wissenschaftler, Techniker und Politiker die Antworten geben und Bedingungen schaffen. Aber mit Hysterie und Untergangsstimmung ist nichts zu machen. Unser Habitat Erde ist für die Menschen am schnellsten kippbar ist. Die Natur wird sich erhalten. Die Welt ist nicht umbringbar, aber wir werden mächtig darunter leiden. Wenn die Welt nicht in der Lage ist sich zusammenzutun, das ganze politische nur ein Chaos ist, was wir haben mit Blick auf China, Amerika (u.a.), dann wird es schwierig. Auch Europa ist langsam in der Entscheidung. Das alles zu beobachten lässt mich an der Möglichkeit der Rettung der Welt zweifeln.
Aber: Ich würde morgen noch einen Baum pflanzen und ein Haus bauen. Ich predige seit Jahren den Verzicht. Der Verzicht sollte als positiver Wert ganz oben stehen. (…) Runter vom Rad der Gier, raus aus der Konsumwelt. Dann haben wir eine Chance auch mit acht Milliarden Menschen zurecht zu kommen, ob es für zehn Milliarden reicht kann ich nicht beurteilen.

Eine letzte Frage: Was möchten sie den Zuhörern mit ihrem Vortrag in Unna vermitteln?

Die wildeste Geschichte meines Lebens und ich zeige das Bergsteigen bis heute. Rund um die Tragödie herum, das ist das Herz. Was haben wir falsch gemacht, warum sind Streitigkeiten entstanden, zeigen dass ich über drei Jahrzehnte Projekte gemacht habe um den Menschen auch in Tibet ein besseres Leben zu ermöglichen. Erst im Juni war ich am Nanga Parbat um zu sehen ob das läuft.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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