Krankenkasse als Inquisition

Eine außergewöhnliche „Sprechstunde“ erlebten die Besucher des diesjährigen S-Forums der Sparkasse Hilden-Ratingen-Velbert.
Rund 450 Gäste konnte der Vorstandsvorsitzende Jörg Buschmann im Forum Niederberg dazu begrüßen. Mit dem Psychiater, Theologen und Buchautor Dr. Manfred Lütz hatte die Sparkasse in diesem Jahr einen Referenten zu Gast, der sich in vielen Büchern mit dem Verhältnis zur Gesundheit beschäftigt – ein Verhältnis, das seiner Ansicht nach viele krankhafte Tendenzen aufweist. Lütz, dessen rhetorisch ausgefeilten und sehr pointierten Ausführungen vom Publikum mit großem Applaus quittiert wurden, bot den Zuhörern in seinem Vortrag „Lebenslust – Über die Risiken und Nebenwirkungen der Gesundheit“ viel Unterhaltsames, sorgte jedoch auch für ernste Gesichter. Die Gesundheit habe in der Gesellschaft die Züge und Rolle einer Ersatzreligion angenommen, was dazu führe, dass ein großer Teil der Menschen nicht mehr „richtig“, sondern sozusagen nur noch vorbeugend lebe.
Anhand vieler Beispiele skizzierte Lütz Inhalte und Rituale des neuen „Glaubens“: Anders als früher erwarteten viele Menschen heute von der Medizin nicht nur die Heilung körperlicher Beschwerden, sondern das Heil schlechthin – das ewige Leben solle bereits im Diesseits stattfinden. Da werde der Arzt zum Priester, das Fitnessstudio zum Tempel und Krankenkassen sowie Ärzteverbände zur Inquisition, die über den rechten Glauben wachten. Auf der Strecke blieben chronisch Kranke oder Menschen mit Behinderung, denn eine Gesellschaft, die die Gesundheit zum „höchsten Gut“ erkläre, laufe Gefahr, sie zu Menschen zweiter Klasse zu degradieren.
Der Kult um Gesundheit, Fitness, Jugend und Schönheit berge die Gefahr, dass die Menschen bei all ihren Bemühungen das richtige Leben verpassten. Lütz warnte daher vor einem so verstandenen Gesundheitsideal und plädierte für mehr Gelassenheit – nicht Nachlässigkeit – beim Umgang mit diesem Thema. Es gelte, die Einmaligkeit des Augenblicks mehr zu schätzen – und zu genießen: Schließlich sei auch, wer gesund sterbe, definitiv tot!

Autor:

Miriam Dabitsch aus Velbert

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