25 Jahre Frauenhaus Recklinghausen: Interview mit einer Betroffenen

Silvia S.im Gespräch mit Anne Meiworm, Leiterin des Frauenhauses in Recklinghausen.
  • Silvia S.im Gespräch mit Anne Meiworm, Leiterin des Frauenhauses in Recklinghausen.
  • hochgeladen von Petra Pospiech

Das Frauenhaus Recklinghausen feiert 25-jähriges Bestehen. Ist dies wirklich ein Grund zu feiern? Silvia S.* ist sicher: „Ja! Eine Feier trägt dazu bei, Frauenhäuser noch bekannter zu machen. Auch in Zukunft wird es immer Frauen und Kinder geben, die auf schnelle Hilfe angewiesen sind.“

Die 72-Jährige hat fast 30 Jahre in ihrer Ehe ausgeharrt, weil sie keinen Ausweg aus ihrem Märtyrium sah. Sie ist überzeugt: „Hätte ich vor 15 Jahren gewusst, dass es Frauenhäuser gibt, hätte ich meinen Mann schon damals verlassen.“ Erst 2014 gelingt es ihr durch Hilfe des Frauenhauses Recklinghausen ihrem Leben eine neue Wendung zu geben.

Die zierliche Frau mit den grauen Haaren sagt: „Ich möchte mit meiner Geschichte anderen Frauen Mut machen, sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen.“ Als Silvia S. ihren zweiten Ehemann kennenlernt, ist sie bereits seit zehn Jahren Witwe. Die 39-jährige hat zwei erwachsene Kinder und fühlt sich sehr zu dem Witwer und seinen drei Kindern hingezogen. Sie erzählt: „Damals war er ein richtiger Charmeur und hat mich mit seinem Schmu so richtig eingelullt.“ Ihre Kinder lehnen den neuen Mann ab. Doch Liebe macht bekanntlich blind.

So ignoriert Silvia S. auch, dass ihr Partner ihr ständig nachspionierte: „Ich arbeitete damals im Außendienst und war immer auf mein Äußeres bedacht. Wenn mein Partner überraschend in der Nähe meiner Arbeitseinsätze auftauchte, kam ich nie auf die Idee, er sei ein Kontrollfreak. Auch als er mir vorwarf, mich wie eine ‚Nutte‘ herauszuputzen, wurde ich nicht stutzig, sondern verzichtete lieber ganz auf Make-up.“

Zwölf Jahre nachdem sie zusammengezogen waren, heiratete das Paar. Silvia S. verstand sich gut mit ihren Stiefkindern, doch der ewige Streit mit ihrem Vater trieb sie aus dem Haus. Ganz schlimm wurde es, als er aus Krankheitsgründen vor 20 Jahren im Alter von 54 Jahren frühverrentet wurde. Er stritt nicht nur mit seiner Ehefrau, sondern mit seinem ganzen Umfeld. Silvia S. durfte nicht mehr aus dem Haus, sich mit niemandem unterhalten. Ständig beschimpfte er sie mit den ordinärsten Schimpfworten, bedrängte und schubste sie mit seinem 150 Kilo Körper. „Nein, geschlagen hat mich mein Mann nie, aber er hat mich so fertig gemacht, dass ich oft zitternd und weinend zusammenbrach. Er bezeichnete mich als ‚verschrumpeltes, faltiges Nichts‘ und so fühlte ich mich dann auch.“

Wenn sie ihn verlassen wollte, drohte er sie umzubringen. „Oft überlegte ich mir, mich selbst umzubringen, mich einfach nachts auf die Autobahn zu stellen.“ Silvia S. wurde schwer krank, litt ständig unter Bluthochdruck. Erst als ihre Hausärztin sie eindringlich nach ihrem Leben befragte, gab sie etwas von ihrer Not preis.
Für die Ärztin war schnell klar, dass der Ehemann an einer Psychose litt.

Gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin besuchte sie die Familie und nahm Silvia S. sofort mit ins Frauenhaus Recklinghausen. „Erst im Auto wurde mir klar, dass ich meinem Mann entkommen bin. Während meines Aufenthaltes im Frauenhaus wurde mein Mann mit Psychopharmaka behandelt. Über die Beratungsstelle hörte ich, dass es ihm besser ginge. Ich erfuhr, dass er mich sehr vermisse und auch einer Eheberatung zustimme. Daraufhin entschloss ich mich nach sechs Wochen zurückzukehren und ihm noch eine zweite Chance zu geben“, berichtet Silvia S. „14 Tage lang war unser Leben fast so wie in den ersten Jahren. Doch dann verweigerte mein Mann seine Medikamente und alles wurde noch schlimmer.“

Mit letzter Kraft und größten Vorsichtmaßnahmen gelang ihr eine zweite Flucht ins Frauenhaus Datteln, dann nach Recklinghausen. Heute sagt Silvia S.: „Meine Anne“ (die Leiterin des Frauenhauses Recklinghausen Anne Meiworm) hat mir mein Leben gerettet. Mit ihr gemeinsam nahm ich alle Hürden, regelte sämtliche Behördengänge, finanzielle Angelegenheiten und fand letztendlich eine eigene kleine Wohnung in einer anderen Stadt.“

Die 72-Jährige, die lange Zeit vor Angst verstummt war, strahlt heute eine ungeheure Lebensfreude aus und erzählt: „Ich bin einfach nur glücklich. Ich bekomme zwar nur eine kleine Rente und wenig Unterhalt, aber ich versorge mich mit Waren von der Tafel, bei der ich auch ehrenamtlich arbeite. Dort und auch unter den Frauen aus dem Frauenhaus habe ich viele neue Freunde gefunden. Mein Rat an alle Frauen: „Lasst euch nicht schlagen und nicht erniedrigen. Wenn ihr es nicht alleine schafft, nehmt die Hilfe der Frauenhäuser an, damit auch für euch ein neues Leben beginnt.“

Notruf des Frauenhauses: 02361/656996.

Feierlichkeiten

Die 25-Jahr-Feier des Frauenhauses Recklinghausen findet am 18. September ab 12 Uhr im Gemeindezentrum Suitbert, St. Suitbert Platz in Recklinghausen-Hochlar statt. Die Festrede hält Polizeipräsidentin Friederike Zuhausen.

Das musikalische Programm gestalten Karin Zimny (Gesang) und Ruthilde Holzenkamp (Akkordeon) sowie der preisgekrönte Schülerinnenchor „I dolchi“ aus Oer-Erkenschwick.

Autor:

Petra Pospiech aus Recklinghausen

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