Burkhard Spinnens Roman "Rückwind"
Aufstieg und Fall

"Unser Alltag ist ganz im Wesentlichen die Methode, die Kunst, mit dem Scheitern fertig zu werden", heißt es im neuen Roman von Burkhard Spinnen, der 1991 für "Dicker Mann am Meer" den Aspekte-Literaturpreis des ZDF erhalten hat und seitdem nicht nur kontinuierlich Romane und Essays veröffentlicht, sondern auch als Literaturvermittler reüssierte. Von 1997 bis 2000 war der 62-Jährige Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, überdies kam er mehr als zehn Jahre als Juror beim renommierten Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis zum Einsatz.

Sein neuer Roman kreist um Aufstieg und Fall des Unternehmers Hartmut Trössner, der eine Maschinenbaufirma geerbt und in eine zukunftsweisende Windrad-Schmiede umfunktionierte. Das Unternehmen geht an die Börse, Trössner ist gefragter Politik-Berater und führt ein bürgerliches Heldenleben. Seine Frau Charlotte ist eine erfolgreiche Schauspielerin, Protagonistin einer in Berlin spielenden Fernsehserie. Söhnchen Eduard komplettiert die Vorzeigefamilie.
Trössner verkörpert in seinem eigenen Selbstverständnis "die wahre Mitte", gleichermaßen konservativ wie der Zukunft zugewandt. Dann bekommt der erfolgreiche und öffentlich gefeierte Unternehmer in der sengenden Hitze des Sommers 2018 geschäftlichen Gegenwind aus China, und sein Absturz vollzieht sich mit atemberaubender Rasanz.
Burkhard Spinnen lässt seinen Protagonisten alles verlieren und schickt ihn (damit ist der Tiefpunkt erreicht) in eine psychiatrische Klinik. Trössner versteckt sich danach in einer schäbigen Herberge, gleichermaßen Schutz suchend vor seinen Gläubigern wie vor der unbarmherzigen Boulevardpresse.
Bis zu diesem Punkt folgt man dem wieder einmal sehr bedächtig, altbacken und bisweilen weit abschweifend erzählten Roman noch ohne größere Vorbehalte. Was sich allerdings nach dem 27. August 2018 in Trössners Leben abspielt, wirkt (um es moderat auszudrücken) sehr ambitioniert, aber auch über Gebühr konstruiert. Der Roman soll plötzlich mehr sein als er ist. Das Hiob-Motiv wird auf dem Silbertablett durch die Seiten gereicht, es melden sich Stimmen aus dem Off, es wird auf alternierenden Erzählebenen hin- und hergeswitched, und Trössner legt auf einer Zugfahrt nach Berlin vor einer ihm bis dahin unbekannten, jungen und attraktiven Frau eine umfangreiche Lebensbeichte ab. Diese Beichte ist Bestandteil eines Deals, und Burkhard Spinnen variiert hier das literarische Evergreen-Motiv (älterer Mann trifft junge Frau) auf eine erzählerisch fade und geschmacklose Weise.
Spinnen erspart seiner Hauptfigur nichts. Ehefrau Charlotte kommt auf spektakuläre Weise ums Leben, Sohn Eduard ertrinkt beim Baden. Mehr an Aufstieg, Fall und Schicksalsschlägen hätte kaum zwischen die Buchdeckel gepasst.
"Trössner, bitte, tritt ein Stück zurück von der Bahnsteigkante. Ich kann das nicht sehen, dich in unmittelbarer Gefahr", raunt die oberlehrerhafte Stimme aus dem Off. Ein wohlmeinendes Korrektiv aus dem Hintergrund hätte man sich auch für den Autor Burkhard Spinnen und seinen pirouettenreichen, aber letztlich missglückten Roman gewünscht. Kräftig gekürzt könnte vielleicht noch ein TV-taugliches Drehbuch herausspringen.

Burkhard Spinnen: Rückwind. Roman. Schöffling Verlag, Frankfurt 2019, 400 Seiten, 24 Euro.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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