BUCHTIPP DER WOCHE: Arrogantes Gesundsein

Nicht zu Unrecht wird alljährlich im Vorfeld der Nobelpreisverleihung stets auch der Name Don DeLillo hoch gehandelt. Der inzwischen 75-jährige US-Amerikaner hat insgesamt 15 Romane vorgelegt und nun in fortgeschrittenem Alter seinen ersten Band mit Erzählungen veröffentlicht. Die neun Texte, die zwischen 1979 und 2011 verfasst wurden, sind chronologisch angeordnet.

Dadurch lassen sich auch nuancierte stilistische Veränderungen sehr einfach nachvollziehen. In den jüngeren Texten (durchaus mit seinen Romanen vergleichbar) weht ein leicht melancholischer Tonfall durch die Zeilen.
In seinem international erfolgreichen Monumentalepos „Unterwelt“ (1997) hatte DeLillo ein extrem düsteres Bild von der amerikanischen Gesellschaft gezeichnet, und sechs Jahre später las sich „Cosmopolis“ gar wie ein Horrorszenario aus einer fremd-determinierten Welt. Dagegen wirkte sein letzter, sehr feinfühliger Roman „Der Omega-Punkt“ (2010) schon beinahe handlungsarm, fast besinnlich. Und eben diese Bandbreite decken auch die neun Erzählungen des vorliegenden Buches ab.
Der Text „Hammer und Sichel“ kommt wie eine Fortschreibung des Erfolgsromans „Cosmopolis“ daher, der um den abgedrehten, im Reichtum schwimmenden, aber zur Selbstüberschätzung neigenden Börsenspekulanten Eric Packer („Wir sind unangreifbar“) kreiste. Die Packers sind jetzt gestrandet, der Bankencrash hat all die Spekulanten wieder auf menschliche Größe zusammengestutzt, als sie sich im Gefängnis beim gemeinsamen TV-Abend über ihre einstigen „Heldentaten“ austauschen.
Im krassen Gegensatz dazu steht das soziale Milieu in der Titelgeschichte, die deLillo in der Bronx (wo er selbst geboren wurde und aufgewachsen ist) angesiedelt hat. Die beiden Nonnen Gracie und Edgar (zwei herrlich schräg gezeichnete Figuren), der Sozialarbeiter Mike und jugendliche Graffiti-Sprayer um den Anführer Ismael Munoz wollen sich um ein heruntergekommenes, alleinstehendes 12-jähriges Mädchen namens Esmeralda kümmern, dem die totale Verwahrlosung droht. Dem Mädchen ist allerdings im Diesseits nicht mehr zu helfen, irgendwann taucht es aber dann engelgleich auf den Graffitis in den Slums wieder auf. Dies ist fraglos der eindrucksvollste Text des Bandes, der uns all die Stärken dieses verdienstvollen Autors, vor allem seinen sezierenden Blick für die Schattenexistenzen unserer Gesellschaft, aber auch seine kleinen Schwächen offenbart.
DeLillos Sprache wirkt nämlich manchmal arg maniriert, es klingt nach zwanghafter Originalität, wenn man über die Nonne Edgar in der Titelgeschichte liest, dass ihr „alle beweglichen Teile wehtaten“, und „ihre Ordenstracht wisperte durchs Treppenhaus.“
Der Astronaut Vollmer hat im Text „Kleine Menschlichkeiten im Dritten Weltkrieg“ sein leicht diffuses Wohlgefühl als „ein arrogantes Gesundsein“ beschrieben. Eine ähnlich nebulöse Kraft scheint auch Don DeLillo anzutreiben. Ein leicht elitär-arrogantes Gut-Sein-Wollen. Aber das gehört fraglos zum Habitus großer Künstler.

Don DeLillo: Der Engel Esmeralda. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2012, 247 Seiten, 18,99

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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