Christoph Heins Roman „Guldenberg“
Nervöse Anspannung

Es ist kaum zu leugnen, dass Christoph Hein mit postmoderner Literaturtheorie nichts am Hut hat und ein leicht altmodischer, weil stark moralisierender Erzähler ist. Mit „Willenbrock“ (2000) und „Landnahme“ (2004) hat er präzise und authentische Panoramen der Nachwendegesellschaft vorgelegt.

Christoph Heins Figuren – von der Ärztin Claudia aus „Der fremde Freund“ (1982) bis hin zum homosexuellen Literaturwissenschaftler Friedeward Ringeling in „Verwirrnis“ (2018) – verbindet der Hang zur Dickköpfigkeit. Sie sind eigenwillig, manchmal störrisch und introvertiert, sind sanfte Rebellen im vertrauten Mikrokosmos.
Im neuen Roman „Guldenberg“ ist alles ein wenig anders: Die Figuren sind blasser, die Handlung verharrt an der gesellschaftlichen Oberfläche, der Autor arbeitet – wie bei einer soziologischen Versuchsanordnung – mit reichlich Stereotypen.
Der Ort „Guldenberg“, der schon 1985 Handlungsschauplatz des Romans „Horns Ende“ war, ähnelt sehr stark der nordsächsischen Kleinstadt Bad Düben, in der Hein seine Kindheit verbracht hat und die ihm 2011 die Ehrenbürgerwürde verliehen hat.
Guldenberg steht für einen Ort, der nicht Dorf und nicht Stadt ist, der mittelmäßig, spießig und leicht provinziell gezeichnet wird. „Die Gleichgültigkeit der Bewohner füreinander war geblieben, die kühle Freundlichkeit untereinander, doch eine Unruhe, eine hektische, nervöse Anspannung hatte sich im Ort verbreitet.“ Die Beschreibung dieses ebenso wenig liebens- wie lebenswerten Fleckchens ist für Hein das Maß der Dinge.
Nicht die Psychologie, der Blick tief in die Seelen der Figuren, sondern ein detailliertes Oberflächenbild hat der Autor vorgelegt, intoniert in einem Tonfall, der sich zwischen Ironie und Häme nicht wirklich entscheiden kann. Die Langsamkeit der Behörden wird humorvoll aufs Korn genommen. Privatinitiativen werden hier – bewusst oder unbewusst – durch die extrem langsam mahlenden Mühlen der Verwaltung ausgebremst.
Sinnbildlich für die fehlende Entscheidungsfreudigkeit steht Guldenbergs Bürgermeister – kein Fießling, aber auch niemand, der Sympathiepunkte im Schnelldurchlauf sammelt. Sein Leitmotiv ist perfektes „Sich-Arrangieren“. Als er sich von Rechten bedroht fühlt, wird er selbst Opfer seines Deals mit der Landesregierung, als er der Schließung der örtlichen Polizeidienststelle zustimmte. Präventive Streifengänge vor dem Haus hat er sich damit selbst vermasselt.
Zu einer spürbaren atmosphärischen Veränderung in der Kleinstadt kommt es, als minderjährige Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan im alten Seglerheim untergebracht werden. Den Heimbewohnern schlägt mal offene, mal latente Feindseligkeit entgegen. Befeuert wird die aggressive Stimmung durch das Gerücht über eine Vergewaltigung im Ort. „Wenn du Pech hast, hauen sie dir eine rein. Schau dich immer gut um, wenn du aus dem Haus gehst. Und nie allein gehen, niemals“, warnt einer der jungen Heimbewohner.
Das Leben, die Politik und die brodelnde kleinstädtische Atmosphäre wird in Guldenbergs Kneipen geprägt. Fremdenfeindlichkeit gehört zum Alltag, die Heimleiterin wird schikaniert und zur „unerwünschten“ Person erklärt. „So ist Guldenberg, und darum muss ich hier weg“, bilanziert zum Abschluss des Romans eine Figur namens Mückenbusch. Auf den letzten Seiten überschlagen sich dann die Ereignisse. Zäsuren in vielen Lebenswegen stehen an - mit Job- und Ortswechseln. „Dieses Guldenberg geht mir auf die Nerven. Ich habe die Kleinstadt satt und will mal das Leben genießen“, entfährt es Marikke Brummig, die nach Berlin aufbrechen will.
Der Wunsch nach Veränderung verbindet viele Figuren. Kein Wunder, denn Christoph Heins „Guldenberg“ wirkt wegen der mit dicken Pinselstrichen aufgetragenen Schwarz-Weiß-Malerei wie ein absichtsvoll arrangiertes Wartezimmer zur Hölle. Hier sind beinahe alle Einwohner spießig, ausländerfeindlich und ewig-gestrig. Es mögen ehrbare Intentionen gewesen sein, die den inzwischen 77-jährigen Christoph Hein zu diesem erzählerischen Soziogramm des Bösen angetrieben haben, aber es fehlen hier die Figuren aus Fleisch und Blut, identifikationsstiftende Charaktere und wirklich kontroverse substanzielle Dialoge abseits des populistischen Thekengeschwätzes. Als Exposé für einen zweistündigen Fernsehfilm mag „Guldenberg“ taugen, für einen ausgewachsenen Roman hätte man sich eine ausgeprägtere gedankliche Polyphonie und bei all der kräftigen Schwarz-Weiß-Malerei ein paar nuancierte Grautöne gewünscht.

Christoph Hein: Guldenberg. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 285 Seiten, 23 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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