Wenn die Mitte im Osten liegt


Essayband über Berlin zum 75. Geburtstag von Peter Schneider (am 21. April*) erschienen


„So war es denn ein Schock für uns, als wir nach dem Mauerfall entdeckten, dass die neuen Wegweiser namens ,Mitte’ unmissverständlich nach Osten zeigten“, heißt es in Peter Schneiders in sechs Teile gegliederten Essayband „An der Schönheit kann's nicht liegen.“

Der Wahl-Berliner präsentiert darin eine äußerst lesenswerte Mischung aus latenter Liebeserklärung und kritischer Abrechnung mit der zusammengewachsenen Metropole. Und nicht zuletzt liefert uns dieser Band auch eine Rückschau auf politisch relevante Ereignisse und Auseinandersetzungen mit wichtigen und streitbaren Berliner Persönlichkeiten. Ein neunseitiges Kapitel hat Schneider dem langjährigen Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky gewidmet. Der umstrittene Sozialdemokrat ist während seiner Amtszeit immer wieder mit den Leitlinien Bundes-SPD auf Konfrontationskurs gewesen. „Buschkowsky ist ein Sonderfall, ein zweiarmiger Bandit, der einen jungen Anarchisten motivieren könnte, vielleicht doch eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen“, schreibt Schneider in seinem für diesen Band charakteristischen humorig-pointierten Tonfall.
Dieses Buch ist ein Muss für alle Berlin-Liebhaber und alle jung gebliebenen Querdenker. Eine poetische Zeitreise, auf der dem Wandel mit reichlich Augenzwinkern begegnet wird: „Wir haben eine Frau mit sieben Kindern, die das Verteidigungsministerium übernimmt. Wir hatten bis vor kurzem noch einen schwulen Bürgermeister, eine Frau aus der DDR als Kanzlerin. Und wir haben einen ehemaligen Pfarrer aus der DDR, der in wilder Ehe im Schloss Bellevue lebt. So eine Regierung müssen Sie mir mal zeigen."
Peter Schneider gehörte einst zu den profiliertesten Figuren in der 68er Bewegung. Als er sich 1973 in Berlin als Studienreferendar bewarb, wurde der "Verfassungsfeind" für den Staatsdienst abgelehnt. Das Urteil wurde zwar drei Jahre später aufgehoben, doch da hatte Schneider längst keine Ambitionen mehr, in den Schuldienst einzutreten. Seine Erzählung "Lenz" hatte ihm 1973 - über alle politischen Grenzen hinweg - den schriftstellerischen Durchbruch beschert.
Peter Schneider, der heute* vor 75 Jahren in Lübeck als Sohn eines Kapellmeisters geboren wurde, war stets ein politisch-engagierter Autor, ohne sich allerdings ideologisch vereinnahmen zu lassen. Mit seiner Erzählung "Mauerspringer" (1982) nahm er die Ergebnisse aus dem Herbst des Jahres 1989 vorweg, und sein schmaler Band "Vati" (1986), in dem er den Lebensweg des KZ-Arztes Mengele rekonstruierte, löste eine heftige, vom "Spiegel" initiierte Plagiatsdiskussion aus. Schneider, der in den 1960er Jahren Reden für SPD-Politiker schrieb, der Filmdrehbücher und Theaterstücke verfasste, ist immer ein wenig gegen den Strom des Zeitgeistes geschwommen. Nach den wenig spektakulären Romanen "Paarungen" (1992) und "Eduards Heimkehr" (1999) folgte 2005 der flott erzählte Aufsteigerroman „Skylla“, in dem ein Alt-68er, der später als Scheidungsanwalt Karriere machte, im Mittelpunkt steht.


Peter Schneider: An der Schönheit kann's nicht. liegen. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2015, 330 Seiten, 19,90 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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