Über Hornochsen, Bushido und Europa - Gregor Gysi in der Pestalozzi-Realschule

Gestenreich: Gregor Gysi in der Pestalozzi-Realschule. | Foto: Andreas Keuchel
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Wattenscheid - Humorvoll und schlagfertig, beliebt und gefürchtet als scharfsinniger Kritiker – Gregor Gysi gilt als politischer Querdenker und führt als Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke die Opposition im Deutschen Bundestag an. Am 29. April sprach er auf Einladung des Projekts "Herausforderung Zukunft" vor rund 60 Jugendlichen zweier Zehnerklassen der Pestalozzi Realschule an der Graf Adolf-Straße über seinen persönlichen Werdegang in Deutschland.

„Mein Weg hin zum und später dann im vereinigten Deutschland ist geradezu einmalig, spiegelt aber auch im Besonderen die Kompliziertheit der Wiedervereinigung wider. Ich blicke auf zwei Leben zurück: Eine Karriere in der DDR und später dann in der Bundesrepublik. Wahrscheinlich wäre ich nie so prominent geworden, hätte ich mich nicht eher zufällig 1989 eingemischt. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Dr. Gregor Gysi wurde 1948 in Berlin geboren und ist heute nicht nur als Politiker, sondern auch als Rechtsanwalt und Talkmaster seiner im Deutschen Theater Berlin regelmäßig stattfindenden Interviewreihe „Gysi trifft…“ aktiv.

Im Gespräch mit den Jugendlichen beantwortete er deren Fragen, unter anderem ob es überhaupt Sinn macht, bei den anstehenden Europawahlen sein Kreuz zu machen. „Es ist fatal, wenn ihr jetzt schon den Eindruck habt, dass euer Kreuz und eure Stimme nichts mehr wert sind. Das muss sich ändern. Wie viele Andere bin auch ich dafür, dass der Bürger in Europa mehr Mitbestimmung bekommt. Der Wähler muss aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden sein. Gerade jetzt, wo Europa vor großen Herausforderungen steht.“

Gysi über Bushido

Die Jugendlichen wollten von Gysi aber auch sein Verhältnis zum Skandalrapper Bushido wissen, den er verklagen wollte. Gregor Gysi: „Ich habe nichts gegen Bushido und kann die Qualität seiner Musik nicht beurteilen, dafür kenne ich mich mit Rap Musik nicht gut genug aus. Es stört mich aber, wenn er sich immer Minderheiten aussucht, die sich nicht wehren können und es stört mich vor allem, dass er in seinen Songs auf Homosexuelle eindrischt, die es in großen Teilen unseres Landes und unserer Gesellschaft noch immer schwer haben. Ein Schwuler auf einem Dorf in Bayern hat immer noch Hemmungen, sich in der dortigen Gesellschaft zu outen. Neulich habe ich Bushido im Flugzeug getroffen und ihm noch einmal meine Meinung gesagt. Er soll sich andere Zielgruppen suchen, die er mit seinen Songs angreifen will. Mich zum Beispiel – ich würde mich gerne mit ihm auseinander setzen, denn ich glaube, dass hinter dieser großen Klappe nicht viel steckt.“

Gysi und die Jugend in der DDR

Gysi sprach auch über seine Jugend in der DDR, seine Eltern, die sich früh im Widerstand engagiert haben, aber auch über die anhaltenden Vorwürfe einer inoffiziellen Mitarbeiterschaft bei der Stasi: „Insgesamt ist es den diversen Ausschüssen nicht gelungen, die Vorwürfe gegen mich zu belegen. Dies kann auch nicht gelingen, weil ich nie mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet habe. Aber das ist ein leidiges Thema und wird mich wahrscheinlich bis an das Ende meiner Tage begleiten.“ Gysis Großvater hieß Gottfried Lessing. Auch auf ihn ging er in seinen Erzählungen ein. Lessing, ein in Russland lebender Ingenieur, heiratete eine deutsche Adlige. Aus dieser Verbindung stammt auch Doris Lessing, die im letzten Jahr verstorbene Literaturnobelpreisträgerin. Die Fragen der Jugendlichen machten auch vor seinem Privatleben nicht Halt, über das der Politiker ansonsten sehr selten spricht. Der Bundestagsabgeordnete hat seit 2004 drei Herzinfarkte erlitten und eine schwere Gehirnoperation überstanden. Gysi dazu: „All diese Herzinfarkte sind in den Jahren passiert, in denen ich nicht aktiv in der Politik tätig war. Entsprechend habe ich für mich festgestellt, dass es gesünder ist, wenn ich mich politisch einbringe. In den Jahren, in denen ich Verantwortung im Parlament hatte – ob als Parteichef oder später Fraktionsvorsitzender – hat es mich nie umgehauen. Nach dem dritten Herzinfarkt hat mir der Arzt am Krankenbett erklärt: ‚Herr Gysi, ich kann Ihnen keine verbindliche Aussage machen. Entweder Sie überleben die nächsten 24 Stunden nicht oder Sie können noch 25 Jahre weiterleben.‘ Darauf habe ich ihm geantwortet: ‚Herr Doktor, dann nehme ich das zweite.‘“

Nach seiner Schulzeit in der DDR machte Gysi eine Ausbildung zum Facharbeiter für Rinderzucht. Auch dies kommentierte er humorvoll: „Ich kann melken und mit Hornochsen umgehen. Das sind die besten Voraussetzungen, wenn man in der Politik etwas erreichen möchte.“

Für das Projekt "Herausforderung Zukunft", eine nicht kommerzielle Organisation unter Schirmherrschaft der Friedensnobelpreisträger Shimon Peres und Desmond Tutu, fand der Fraktionsvorsitzende lobende Worte: „Eine tolle Initiative und ich bin dankbar für die Einladung nach Bochum. Es ist wichtig, dass junge Menschen mit Entscheidungsträgern ins Gespräch kommen. Wir machen sehr oft Politik, die sich dann eigentlich erst für die nächste oder übernächste Generation bemerkbar macht, versäumen aber in unserem Aquarium in Berlin sehr oft, mit der heranwachsenden Generation ins Gespräch zu kommen.“ Seit 2007 lädt "Herausforderung Zukunft" in Bochum und Wattenscheid aktiv und lädt immer wieder namhafte Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens an Schulen ein.

Autor:

Holger Crell aus Wattenscheid

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