Zeit der Fiktion ist vorbei


Zum 85. Geburtstag des Schriftstellers Rolf Schneider am 17. April*


„Ich betrachte die deutsche Wiedervereinigung und die heutigen Zustände in der Bundesrepublik alles in allem doch als einen Glücksfall“, hatte der Schriftsteller Rolf Schneider vor vier Jahren in einem Interview mit dem „Deutschlandradio Kultur“ erklärt. Zeitlebens ist er immer etwas gegen Strom geschwommen.

Als Romancier hat sich Schneider in jungen Jahren einst stark an Thomas Mann orientiert, als Dramatiker wandelte er auf den Pfaden von Peter Weiss, Heinar Kipphardt und Rolf Hochhuth. Er war längst in der DDR ein arrivierter Autor, als sich am 22. Mai 1979 ein großes Loch im Leben des Schriftstellers auftat.
An diesem Tag veröffentlichte das „Neue Deutschland“ einen offenen Brief des linientreuen Schriftstellers Dieter Noll an Erich Honecker, in dem Noll Stefan Heym, Joachim Seyppel und Rolf Schneider als „kaputte Typen“ denunzierte, die „mit dem Klassenfeind kooperieren, um sich eine billige Geltung zu verschaffen.“
Dies hat Rolf Schneider tief getroffen, denn er gehörte zu jenem kleinen Kreis der Intellektuellen, die sich zunächst gegen die Biermann-Ausbürgerung ausgesprochen hatten, dann aber den „Rauswurf noch einmal überdenken“ wollten. Ein Jahr zuvor hatte Schneider, der stets ein ambivalentes Verhältnis zur DDR pflegte, noch vollmundig bekannt: „Ich lebe mit Absicht in diesem Staat.“ Doch die SED-Führung ließ sich nicht erweichen und schloss den Autor im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband aus, obwohl Schneider ein äußerst populärer und viel gelesener Autor war, der sowohl als Romancier („Reise nach Jaroslaw“, „Das Glück“) als auch als Theaterautor („Prozeß in Nürnberg“) nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Später genoss Schneider, der 1958 mit dem Parodienband „Aus zweiter Hand“ debütierte, das Privileg eines mehrjährigen Westvisums, ohne allerdings seine DDR-Staatsbürgerschaft aufzugeben. Rolf Schneider wurde heute* vor 85 Jahren in Chemnitz als Sohn eines Werkzeugmachers geboren, wuchs in Wernigerode auf, studierte in Halle Germanistik und Pädagogik und wurde in dieser Zeit durch die Lektüre von Gorki und Puschkin künstlerisch geprägt, ehe er von 1955 bis 1958 als leitender Redakteur der Zeitschrift „Aufbau“ tätig war.
Nach dem Mauerfall ist Rolf Schneider offener geworden und hat sich vehement für eine kritische, nicht nostalgische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eingesetzt. Am nachhaltigsten gelang ihm dies im vorzüglichen Essayband „Volk ohne Trauer“ (1992).

Lesenswerte Autobiografie
Inzwischen hat Rolf Schneider, der 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, das Metier gewechselt. Durch seine kritischen Aufsätze und Kommentare zur Tagespolitik (vorwiegend für das Deutschlandradio, „Die Welt“ und „Berliner Morgenpost“) und seine Essays zu literarischen Themen ist aus dem Schriftsteller einer der angesehensten Publizisten geworden. Zuletzt hat Schneider äußerst lesenswerte Beiträge über Victor Hugo, Vladimir Nabokov, Fürst Pückler, Siegfried Lenz, sowie über Brandenburg, Potsdam, Weimar und seine „Kindheitsstadt“ Wernigerode veröffentlicht. Vor vier Jahren legte er seine äußerst lesenswerte, völlig uneitele Autobiografie „Schonzeiten“ vor.
„Die DDR ist heute schon nicht mehr sinnlich zu erfahren, weil sie nicht mehr besteht. Doch auch vorher verweigerte sie sich dem Außenstehenden, da sie sich in Hermetismus, Isolierung und Heimlichkeit verkroch; die offiziell betriebene Außenwirkung war öd und verlogen“, bekannte Schneider 2001 in einem Rundfunkbeitrag. Geläutert, abgeklärt und scharfsinnig präsentiert sich der in Schöneiche (30 Kilometer südlich von Berlin gelegen) lebende Autor heute immer noch als Publizist.
In seinem 1976 erschienenen Roman „Das Glück“ ließ Rolf Schneider die junge Protagonistin Hanna sagen: „Jedenfalls las sie kaum einmal erfundene Geschichten und las sie nicht gern.“ Auch bei Rolf Schneider ist die Zeit der Fiktion längst vorbei.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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