Bücherkompass-Rezension
Michael Wolffs Feuer und Zorn — im POTUS-Tempel ist die Hölle los

Das Buch wird mit rotem Lesezeichen ausgeliefert, welches sich herrlich passend zu einer roten Krawatte binden lässt.
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  • Das Buch wird mit rotem Lesezeichen ausgeliefert, welches sich herrlich passend zu einer roten Krawatte binden lässt.
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Feuer und Zorn von Michael Wolff ist ein Buch, das sich mit seiner Copy-Shop-Optik nicht gerade in die Pupille wirft. Das muss man ehrlich sagen.
Das Cover zeigt erstens, dass wir dringend ein Zeichen für das Versal-ß benötigen („IM WEISSEN HAUS“ sieht nicht aus), und zweitens porträtiert es einen semiverstörenden präsident'schen Gesichtsausdruck, welcher anscheinend unter körperlichen Schmerzen das »ʃ«-Symbol vom Internationalen Phonetischen Alphabet zu erklären genötigt wurde. „Sch“!öne Bescherung.
Das Buch kommt übrigens ohne diesen Schutzumschlag in der gestalterischen Brillianz eines blau angestrichenen Backsteins daher — womit von Seiten des Verlagseinbandes ein für alle Mal geklärt ist: das Ding verkauft sich ausschließlich über den Inhalt. Denn in der Hand und im Regal erscheint es, mit Verlaub, wie das ultimative Gegenteil einer Schmuckausgabe. Nein, es geht um den Inhalt. Und der hat es in sich. Und der verkauft sich auch: man müsste zu den bereits vorhandenen Sprüchen „das verkauft sich wie warme Semmeln“ oder (der vegetarischen Version davon) „…wie geschnitten Brot“ hinterher setzen: das verkauft sich wie Feuer und Zorn. Von dem Ding wurden mittlerweile so viele Exemplare verhökert, dass man aus ihnen locker eine Mauer vor Mexiko bauen könnte.

Geschrieben wurde der Bestseller vom Journalisten Michael Wolff. Das ist ein Mann, der seinen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag erst am (amerikanischen) Buchveröffentlichungstag erhielt [während beispielsweise »Blaubeerkuchen« dort schon seit dem 04.10.2013 gelistet ist].
Wer ist dieser Enthüllungskünstler mit der schwarzen Hornbrille? Laut einführender Worte des Buches ist er ein stilles Mäuschen. Man glaubt jedoch, er ist mehr als das: wer vertrauliche Telefonate auf beiden Seiten der Anschlüsse mithören kann, der muss mindestens ein Telepath sein — oder zumindest einmal eine Gewebeprobe von einem Telepathen geschluckt haben; versehentlich, versteht sich. („Guten Tag, ich krieg' eine heiße Schokolade und diesen geheimnisvoll wirkenden opaken Becher mit der Aufschrift Professor X. Alles zum mitnehmen bidde.“)
Und spätestens, wenn man auf Seite 441 den folgenden Satz in sich wirken lässt, weiß man, dass in der Welt von Feuer und Zorn Mentalismus und Recherche mit den gleichen Anfangsbuchstaben geschrieben werden könnten: „Steve Bannon, der immer noch in seinem Übergangsbüro im Executive Office Building saß und wartete, dachte: O Gott, schon wieder. Ich hab's euch doch gesagt.“
So etwas zu lesen ist ein bisschen so, wie wenn man auf der Süßigkeitenmesse Gummibärchen in 83 verschiedenen Farben bestaunt — darunter welche in nachtleuchtend und neonpink und tschitscheringrün — und der Verkäufer dabei nicht müde wird zu betonen, dass die Farbstoffe alle natürlicher Herkunft seien. „Vantablack© auch?“ fragt man skeptisch nach. „Jaja, Vantablack© auch. Dat machn wa' aus grünem Tee und Chia-Samen!“

Natürlich stochert Wolff nicht andauernd in den Grenzbereichen der Gedankenleserei. Sein Buch ist vielseitig: ein von gefühlter Hektik zusammen geschriebener und danach wieder zusammengetragener Notizzettelblock, segmentiert, teils kurzatmig hektisch, voller verdichteter Momentaufnahmen; auch als Zeitdokument und Kommentar auf die derzeitige politische Gemengelage im Land des american nightmare of life taugt es, wo sich die Eskalationsspirale in den Medienhimmel schraubt. Streckenweise will man die Hände über's Gesicht schlagen, wenn man nicht unbedingt weiterlesen wollte. Es ist ein mit Worten gemaltes Schlachtengemälde der hautnah erlebten Inkompetenzen und präsidialen Verhaltensauffälligkeiten im Paradeschritt.
In einem Zeitungsbeitrag von Dmitrij Kapitelman las ich neulich den ehrlichen und auch richtigen Satz „Niemand braucht die Tagesschau in Romanlänge“. Das weiß auch Wolff. Deswegen mischt er ja House-of-cards-mäßige Motive in die Reportage und streut den Zucker der boulevardesken Spitzzüngigkeit in sein Buch.
Das Teil liest sich einfach gut, es liest sich sogar sehr gut; es liest sich manchmal verräterisch gut. Es ist fast schon zu gut, um wahr zu sein. Und hier fragt die Skepsis, die von der Seite dreinlugt und mitliest, ob es wirklich derart ideale Erzählzustände gibt. In der Physik gibt es das Konzept der idealen Flüssigkeit zum Beispiel nur dafür, Modellrechnungen des Möglichen anzustellen. Es steht alles da, schwarz auf weiß, doch es schillert ab und an in den Farben der Regenbogenpresse. Es wäre naiv und vermessen, dieses Buch komplett unkritisch und unreflektiert zu lesen. Doch ihn kein einziges Wort zu glauben wäre ein ebenso großer Fehler.

Die verwendete Sprache an sich ist meist unspektakulär, unprätentiös und schnörkellos direkt — mit anderen Worten: prima runterzulesen.
Die Personenbeschreibungen unternehmen dabei jedoch, so fühlt es sich vereinzelt an, Abstecher ins arg westentaschenspychologische. Und auch manches Klischee von Politikern, Medienleuten und was nicht alles wird bedient, …bzw. ein Diener reicht es auf einem Silbertablett und bezeichnet es als unverbindliche Empfehlung des Hauses. Die Klassifizierung von Akteuren und deren Motive hat etwas groteskes, weil alles so wunderbar theatralisch übersättigt ist: 120%ige grünschnabelige Schleimer, 130%ige eiskalte Provokateure, 140%ige frustrierte Mit-hinein-gezogene, 150%ige Alphatiere, deren Moral sich jedoch in der Betaphase befindet — sie alle laufen laufend lautstark lamentierend in der Irrenanstalt der Realpolitik herum und lesen ihre Texte von den Handinnenflächen ab. Und Wolff genießt die Show, an deren Uraufführung er kräftig mit geschraubt hat. Und der Leser kann sich dieser Faszination kaum weniger entziehen. Es ist ein Spektakel. Jedes mal, wenn man eine Seite weiter schlägt, öffnen sich die roten Vorhänge erneut.
Und manchmal kann der Inhalt des Wolff´schen Nähkästchens ganz schön derb werden. So liest man auf Seite 427 die köpfschüttelige Story: „[Anthony Scaramucci] feuerte auch gegen Bannon. «Ich bin nicht Steve Bannon», stellte er fest, «ich lutsch mir nicht selber den Schwanz.» (Und Bannon erfuhr doch tatsächlich von dem Artikel, weil Faktenchecker der Zeitschrift sich telefonisch bei ihm erkundigten, ob an dieser Unterstellung etwas dran sei.)“ Lesen hier Kinder mit? Ich hoffe nicht; das ist nämlich ernster Erwachsenenkram, ein ganz ganz wichtiges Thema… Spüren Sie das auch? Da! schon wieder… Da atmet Ihnen die Ironie in den Nacken.

Auch, wenn Wolff die Geheimdienste dunkel-verschwörerisch als Macht mit eisernen Fäden in der Hand präsentiert, mit denen sich ein Normalsterblicher nicht anlegen sollte, hat es den Beigeschmack von Effekthascherei, die wiederum Spuren von Dan Brown enthalten könnte. Dieses spekulative, reißerische Getue kann keinen Anspruch an kompetenter Informationsvermittlung erfüllen.

Am stärksten ist Wolff ironischerweise immer genau da, wo er das Vage anerkennt, analytisch mit Weitsicht und Scharfsinn Optionen und Varianten offenlegt und durchspielt; da, wo er Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten gewichtet. Da, wo er ehrlich und akribisch mit dem Vorhandenen arbeitet und die Wirklichkeit in ihrer undurchdringbaren Unberechenbarkeit anerkennt — statt einen Quilt aus Newsfetzen als der Weisheit letzter Salutschuss upzugraden. Wenn er dann noch über Medien schreibt, spürt man eine tiefe instinktive Weisheit, die die Nervenimpulsverarbeitung und Kineosiologie der Vierten Gewalt perfekt zu verstehen scheint.

Jeder, der die Person des Donald Trump kritisch betrachtet, hat sich nach diesem Buch gesehnt. Es ist eine Abrechnung. Noch mehr als eine Abrechnung ist es eher ein Gentleman-Raubzug durch den protzerischen Banktresor einer hypothetischen Trump-Karmabank — die vom Ego zersetzte Restwürde des Präsidenten wird in ausgebeulten Sporttaschen davon getragen, auf denen logohaft »läster« aufgedruckt ist. Kamera schwenkt mit, hält auf schwarze Lederhandschuhe drauf. Nichts Respektables bleibt danach übrig.
Aber genau das erwartet ja der Leser. Niemand hat sich dieses Buch zugelegt mit den Worten: „Ich schau mir jetzt mal ganz neutral die Sache an und gucke mal, wie die Faktenlage die Waage von Pro und Kontra tangiert.“ Das hat dieses Buch für Trump-Misstrauer ja zu so einem Geschenk gemacht. Die saßen nach der letzten Seite alle da und murmelten beunruhigt-befriedigt: „Wusst' ich's doch!!!!!“

Gewisse Behauptungen werden sich niemals bestätigen lassen, so ehrlich muss man sein. Außer vielleicht, wenn in 50 Jahren die Ufoakten geöffnet werden und rauskommt: Trump war ein Intelligenztest an die Menschheit und Michael Wolff war tatsächlich ein Gedankenleser aus dem Akte-X-Bilderbuch. Und beide waren Aliens. Und Elvis betreibt in Sundern Stockum ein Garagenverkauf mit dem Namen „Ausfahrt freihalten“.
Der Pegel der Historizität (und damit letztendlich der Glaubwürdigkeit) ist in der Überblendung der vielen „Iformationen“ kaum erkennbar. Iformationen ist ein Zitat von S. 154. Die Übersetzung musste wirklich schnell gehen!

Es gibt allerdings noch einen weiteren Ansatz, Feuer und Zorn zu bewerten: in der Übersetzungswissenschaft gibt es die Disziplin des wirktreuen, zielorientierten Übersetzens. Der Anspruch dabei ist nicht in einer 1:1-Übersetzung zu erreichen, sondern besteht darin, den Inhalt des Textes derart umzuwandeln, dass die damit erzielte Wirkung auf den Leser diejenige ist, die (unverständlicherweise) der Eingangssprache zugrunde lag. Der Übersetzer lügt also mit den Worten, um der Wahrheit der Bedeutung einen Weg ins Verständnis zu ebnen.
Was Wolff vollbringt, wenn man so ein bedeutungsschweren Begriff anwenden wollte, ist also die Erschaffung einer Geschichtsschreibung, die dazu gedacht ist, die Wirklichkeit zu erahnen, erfahrbar zu machen.
Seine Einschätzung von Personen und ihrem Verhalten erscheint immerhin oft äußerst präzise, es sind sensibel aufgezeichnete Erregungskurven und emotionale Vitaldaten. Die Geschichte, die Szenen, die Anekdoten, die er drumherum wiedergibt oder meinetwegen baut, oder auch spinnt, wären dann ein Symbolbild der Wirklichkeit — erst mal nur ein Symbol, aber eines, das Zustände nachlesenswert spiegelt.

Noch zu erwähnen wären diese schwefelsauren Pointen, die zwischendurch die überbordende Beschreibungskunst des surrealen Geschehens flankieren und sich wie ein rotes Lesezeichen durch das Buch ziehen: „Er [Trump] verarbeitete Informationen anders als alle anderen … „ …und man denkt sich: O, eine Inselbegabung! und liest weiter: „— nämlich gewissermaßen gar nicht.“ (S. 186) Und man hört sich denken: O, ein Höhlenmensch.

Wenn man Donald Trumps Besteigung des Mount-President und seine Selbstinszenierung auf dessen Gipfel verfilmen wollte, so hätte man hier das fertige Drehbuch vorliegen. Man müsste es etwas kürzen, man müsste das Setting etwas cineastischer beschreiben, die Tageszeit, Farbe der Vorhänge und den Duft des Kragens der Sprecherin des Präsidenten mit einbeziehen — das alles fehlt noch. Wobei… das riecht man ja im Fernsehen sowieso nicht. Mein Fehler. Aber die Handlungen wären schon dramaturgisch aufbereitet und gesetzt, die Charaktere sind entwickelt und darauf abgestimmt, passgenau mit größtmöglicher zerschürfender Reibung oder eben schmierigster Verwöhnmassage miteinander die Handlung voranzutreiben. Kevin Spacey könnte doch Trumps Rolle übernehmen. Es würde so viele Filmpreise regnen, man könnte sie einschmelzen und eine weitere Mauer daraus gießen. Diesmal aber um das weiße Haus [das meine Wenigkeit nach dem frisch kennengelernten Begriff „POTUS“ nur noch Potus-Temple nennt].
In diesem Buch fliegen ohnehin schon mehr Nachnamen durch die Gegend, als in einem Großraumbüro, das seine Marktlücke mit dem Sammeln von Figurennamen für Drehbücher von Politthrillern gefunden und geschlossen hat. Das ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass das weiße Haus unter Trump eine recht hohe Personenfluktuation aufweist, zum anderen liegt es aber auch einfach daran, dass hier jeder mit jedem interagiert und Informationen oder Meinungen über jeden mit jedem austauscht. Ein Intrigensuchbild mit Namedropping-Syndrom. Bannon! Priebus! Hicks! Kisljak! Hicks! Gorsuch! Ryan und Geffen und McMaster und Yates und Mattis! Hicks!
Und auf den letzten Seiten fungiert dann das Schlagwort- und Namensregister wie eine Art Abspann für großes Popcorn-[Polit]-Kino.

Abschließend ist festzustellen:
Es ist eine ideelle Gleichheit zwischen dem Subjekt und dem Objekt vorhanden. Will meinen: Trump verwechselt effektiv mit effektvoll, das Buch tut es ihm gleich; Trump nutzt Empörung als Wirkbeschleuniger seiner Kommunikation, das Buch tut es ihm gleich; Trump ist das Testimonial der Postfaktizität, das Buch… Sie wissen, worauf das hinausläuft. Wäre Wolff bei den nüchternen Fakten geblieben, wäre seine Geschichte unter tausenden anderen Analysen und Einordnungen untergegangen. So konnte er sich zwar die volle Breitseite des öffentlichen Interesses sichern — doch nur zu dem Preis, dass man ihm unterstellen kann, es mit der Wahrheit teils so zu nehmen wie sein Subjekt Trump. Nämlich so, wie es am besten zwischen die Dynamitstangen passt. Man könnte es beinahe als eine Hommage an das von Donald Trump nicht direkt eingeläutete, aber zumindest feierlich eingeweihte »kontrafaktische Zeitalter« werten*.

Wolffs Buch Feuer und Zorn ist ein bisschen wie ein scharfer Drink: es knallt und man kriegt einen Brummschädel, es ist ein vorzüglicher Brennstoff, die vielen Kleinigkeiten und Sensationen steigen einem zu Kopf und obwohl man merkt, dass es auf Dauer der Seiten nicht das Gesündeste ist, lehnt man sich zurück und nimmt einen Schluck… und noch einen… und noch einen. Hicks!

Was am nächsten Morgen bleibt, ist eine Vorstellung. Eine Vorstellung, die von einer skurrilen Erzählung herrührt.
Eine Szene, in der sich alle Trump-Berater bemühen, den rotkrawattigen Kindskopf den jeweils letzten Gedanken des Tages ans Herz zu legen, damit seine kurzzeitige Konzentrationsgabe sich diesen in den Sinn einsaugt.

Eine Schlange, wo jeder der Letzte sein will, um der Erste zu sein. Ein Paradoxon. Darauf noch ein Hicks...

*Kleiner Off-Topic-Exkurs in Sachen „Postfaktizismus“: der Postfaktizismus ist das von objektiven Fakten emanzipierte subjektive Gefühl im Schwerpunkt der Weltbetrachtung. Wenn zum Beispiel 14,3% der Deutschen in einer Umfrage die Befürchtung bejahen, visuell mit nackten Nacktmullen konfrontiert zu werden, und eine Partei (meinetwegen eine mit erigiertem roten Pfeil im Logo) infolgedessen eine generelle Vollverschleierungspflicht für Zootiere fordert… das ist dann Postfaktizismus in Reinform.
Aber auch, wenn sich danach in Sachsen der Verein „PEGNIA: Patriotische Europäer gegen die Nacktmullvorzeiger im Abendlicht“ gründet, ist das ein zartblühendes Gewächs der postfaktischen Politik.

Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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