Über herannahende Zeiten

An alle, die keine Haare auf den Zähnen, sondern einen süßen Zahn haben. An alle, die sich nicht gern verspekulieren, sondern Spekulatius lieben. An alle, deren Herz nicht aus Stein ist, sondern für Dominosteine schlägt. An alle, die sich nicht selbst das größte Stück vom Lebkuchen nehmen, und an alle, die sich aus dem Stollen nicht nur die Rosinen rauspicken… — an all diejenigen, denen der Himmel nicht genug ist, sodass sie nach den Zimtsternen greifen: das ist eure Zeit!

Als ich gestern durch den Lebensmittelhändler meines Vertrauens lief und devot-weltvergessen den Stichworten meiner Einkaufsliste folge leistete, da standen sie plötzlich vor mir: aufgetürmte Kartonagen voller Kakao und Zucker, angereichert mit Goldfarbe in der Verpackung und eben jenen Aromen darin, die unmissverständlich klarmachen, dass in absehbarer Zukunft die »Zeit der durch Kamine einbrechenden Männer in roten Bademänteln« beginnen wird.

Der erste Dominostein ist für mich stets ein Fixpunkt im Jahr. Er teilt mir mit, dass die Zeit bald durch eine neue Nummer in der Jahreszahl aufgeteilt wird — und man beginnt jetzt schon unterbewusst, den Retrospektivenmodus einzustimmen. Bald wird wieder Günther Jauch seinen Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen beim Kauf von Aldi-Wein, der auf Jauchs Namen hört" in die Bildschirme einschenken. Und auch sonst werden überall die Medienarchive durchwühlt wie auf einer Trüffelschweinparty, um den Menschen zu sagen: das und das hat euch berührt, das und das hat euch interessiert, das hier habt ihr überstanden, und jetzt gibt's Musik von … …und dann ist auch wieder Neujahrsansprache, politische Hochspannungen beim ESC, danach beginnt die warme »Zeit der auf dem Boden verstreuten Plastik-Eislöffel auf der Straße«, später erscheint der Dominostein auf meinem Kassenbon und wieder danach beginnt die Zeit »der auf der Straße verlorenen Handschuhe«, die von Streusalz gepökelt werden.
Alles auf Anfang.

Und zwischen alldem steht der Dominostein als Monolith meiner Zeiteinteilung. Mein Stonehenge aus Gelee, Marzipan und Lebkuchen.

Also: herzlich Willkommen in den letzten Tagen von 2018
…oder wie es Nietzsche so schön formulierte, während er mit der Packung in den Händen knisterte: "Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden [Zimt]stern gebären zu können. [Ich gehe jetzt los und einen Katzenkalender kaufen]" …und dann war er weg.

Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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