Fatih Cevikkollu hält seinen Weseler Zuhörern den deutschen Spießer-Spiegel vor
Das Recht auf Empörung und was Panzerverkäufe mit dem Flüchtlingsdeal zu tun haben

Cooler Auftritt, barfuß in Sandalen. | Foto: IBo
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  • Cooler Auftritt, barfuß in Sandalen.
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Man fragt sich, ob das gerecht ist: Dass Dieter Nuhr in der Niederrheinhalle vor 1500 Menschen auftritt und Fatih Cevikkollu sich mit 100 Zuschauern im Scala-Kino zufrieden geben muss.

Schon klar, solche Vergleiche sind immer irgendwie unpassend, blöd und an den Haaren herbeigezogen. Weil der Nuhr nun mal der Nuhr ist und der Cevikkollu eben der Cevikkollu. Und doch drängt sich der Gedanke auf, weil dieser Turkogermane richtig gut ist, ähnliche Inhalte kredenzt wie Nuhr und diese mächtig cool vorträgt.

Rückt die Welt nach rechts? Werden wir islamisiert? Was macht die Digitalisierung mit uns? Bewegende Fragen mit aktuellem Bezug. Cevikkollu ruft in die Kammern der Brisanz hinein und sticht seine Verbalnadel in die Blasen der Spießerdenke. Zumeist mit einem breiten Grinsen und scharfer Zunge. Führt ein Zwiegespräch mit dem Publikum, das er duzt, als wär's nur eine Person.
Was ist typisch deutsch, was eher türkisch, britisch oder amerikanisch? Deutsch ist auf jeden Fall die Einforderung des Rechts auf Empörung. Sozusagen als ethische Beruhigungspille, um besser mit dem Unbekannten umgehen zu können. Als Ausländerfeind oder digitaler Migrant (das sind die, die wenig von Computern wissen). Auseinandersetzung im Sinne von Veränderung funktioniert nur, wenn man sich offen distanziert. 

Fatih Cevikkollu ist nicht nur ein hochintelligenter Vordenker. Als ausgebildeter Schauspieler ("Alles Atze") kann er auch stimmlich optimal modulieren und pointiert vortragen. Der beste Teil der Anderthalbstundenshow kommt gegen Ende der zweiten Hälfte: Kackendreist und rücksichtslos hält er der Gemeinde den Spiegel vor.
Kabarettpolitisch korrekt beleidigt er seine Fans (und die , die's nicht werden wollen) gleichmäßig sensibel und lässt dabei nur den Wunsch offen, er möge den penetranten Zwischenrufer rechts in Reihe 3 persönlich rauswerfen.

Plötzlich wird's mucksmäuschenstill, als der Kölner enthüllt, wie der teutonische Dauerfriede unter anderem mit Panzerverkäufen und dem Bau einer Rüstungsfabrik in der Türkei finanziert wird.  Welcher Politiker das eingestielt hat, weiß keiner im Saal (es war Verteidigungsminister Jung!). Ist ja auch viel wichtiger, wer beim RTL-Dschungelcamp gewinnt. 

Fatih Cevikkollu sieht sich selber als Comedian, ist aber viel mehr als das: Seine zielsichere Kritik an Politik und Gesellschaft trifft immer ins Schwarze und redet (wie im Falle Nuhr) keine Missstände schön, weil wir ja nunmal in Deutschland sind. Dabei bleibt Lachen trotzdem Trumpf, sagt der smarte Sandalen-Osmane und bescheinigt den Deutschen in Wesel eine müde Präsenz mit Luft nach oben auf der Kommunikationsscala. 

Auch in dem Punkt ist er also nahe bei Nuhr.
Nur besser.
Genau.

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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