Jugendmediziner Björn Nehlsen zur Internetsucht : "Vorwurfshaltung der Eltern ist kontraproduktiv!"

Dr. Björn Nehlsen.
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Bespaßungselektronik und Soziale Medien sind allgegenwärtig. Anlass für Lokalkompass/Der Weseler, sich dem Themenkreis Internetsucht und Dauergedaddel zu widmen. Ist eine Vielzahl der Acht- bis 18-Jährigen der Spezies PC-Junkie zuzurechnen? Wird die Allgegenwart des Internets zur Belastungsprobe für Familien?

Der Kinder- und Jugendmediziner Dr. Björn Nehlsen hilft uns bei der Suche nach Antworten.

Redaktion: Aus dem Bauch heraus: Wie finden SIE die Daddelsucht der jungen Menschen?

Nehlsen: Aus dem Bauch heraus bin ich zunächst erst mal neidisch auf die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der die junge Generation mit den elektronischen Medien umgeht.
Aber davon abgesehen kommen auch mir natürlich Bedenken bezüglich des exzessiven Gebrauchs. Und hier sind sicherlich neben den Smartphones genauso PC, tablet oder die verschiedensten Spielekonsolen zu nennen. Ich finde, dass wir jedoch mit dem Begriff der Sucht sehr vorsichtig umgehen müssen.

Redaktion: Ergeben sich daraus neue Krankheitsbilder?

Nehlsen: Die Internetsucht ist eine erst seit kurzem etablierte klinische Diagnose, die nach sehr strengen Kriterien gestellt werden muss und unbedingt einer Therapie zugeführt werden muss. Auch ich betreue einige wenige solcher Patienten.

Redaktion: Woran erkennen Sie, dass sie ein betroffenes Kind vor sich haben?

Nehlsen: Als mögliche Folgeerscheinungen sind unter anderem Kontaktstörungen bis hin zu Sozialphobien, Schulabsentismus oder auch Störungen aus dem Depressionsspektrum denkbar.
Unser Interesse gilt aber vielfach den Kindern und Jugendlichen, die diese Kriterien sicherlich noch nicht erfüllen, deren Medienverhalten aber trotzdem Anlass zur Sorge gibt. Immer dann, wenn die normalen täglichen sozialen Kontakte weniger werden, es zur zunehmenden Abkapselung kommt oder die schulischen Leistungen zu bröckeln beginnen, ist es höchste Zeit, tätig zu werden.

Redaktion: Mit welchen körperlichen, geistigen und seelischen Konsequenzen müssen junge PC-Junkies rechnen?

Nehlsen: In der Familie sollte aber das Gespräch schon zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt gesucht werden. Die beste Vorsorge, dass es nicht zu exzessivem Mediengebrauch kommt, ist meines Erachtens immer noch das regelmäßige Miteinander in der Familie, die tägliche Kommunikation in beiden Richtungen, gemeinsam eingenommene Mahlzeiten, bei denen es immer zu einem guten Austausch kommen kann aber auch das echte Interesse der Erwachsenen an den Aktivitäten der Jugendlichen.

Redaktion: Was empfehlen Sie Eltern von Daddelkids, um die Situation effektiv zu entschärfen?

Nehlsen: Man sollte nicht vergessen, dass die sozialen Medien, richtig angewandt, durchaus Kreativität und Produktivität fördern können. Kinder müssen medienkompetent sein. Eine Vorwurfshaltung von Seiten der Eltern ist hier in aller Regel kontraproduktiv. Ein möglicher Weg ist es immer, mit seinem Kind einen Vertrag bezüglich der Mediennutzung zu schließen.
Wenn dieser Gesprächskanal sich aber schließt, sollte man nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hier wären sicherlich neben dem Kinder und Jugendarzt der schulpsychologische Dienst, die Drogenberatungsstelle oder die Erziehungsberatungsstelle der Caritas zu nennen. Sinnvolle Informationen und Materialien für Eltern und Betroffene findet man außerdem unter www.klicksafe.de.

Bei der Gelegenheit ist es mir wichtig, noch einmal zu betonen, dass Handys zur Bespaßung von Kleinkindern oder als Spielzeuge in jeder Weise ungeeignet sind.

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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