Z E I T E R S P A R N I S

„Zeitersparnis“ klingt wie ein Zauberwort. Überall die Zusage: „Zeitersparnis“ und überall die Klage: Ich habe keine Zeit! Hört man auf die Ratschläge und
Empfehlungen der Zeitmanager, müsste man das Problem doch eigentlich lösen können. Wenn man die vielen Bücher und Ratgeber sieht, sollte man meinen, die Zukunft beschert uns freie Mußestunden. Wenn man die „Ware Zeit“ richtig verwaltet und organisiert, dann gewinnt man Zeit. Aber es ist sicher, dass wir sie gleich wieder verlieren, weil wir sie nicht für uns freihalten, sondern andere Verpflichtungen damit erledigen. Unterm Strich: Die Anstrengung lohnt sich nicht!

Jon Bischke erklärt in einem Zeitungsartikel, wie man 12 Stunden täglich sparen und somit den Tag besser nutzen kann. Und so rechnet er uns vor, wie man mit neuer Strategie im Alltag Zeit sparen kann: Optimiere deinen Schlaf! Du ersparst 1,5 Stunden. Optimiere deine Ernährung! Du ersparst 1,5 Stunden. Erledige mehrere Dinge gleichzeitig! Du sparst 2 Stunden am Tag. Organisiere dich richtig! Zeitersparnis: 1 Stunde. Lerne schneller zu lesen! Du sparst 0,75 Stunden. So kann man 12 Stunden am Tag gewinnen.

Ist das nicht toll? Alle Erfindungen bringen letztlich dem Menschen Zeitersparnis. Als das Wagenrad erfunden und die Buchdruckkunst erdacht wurde, waren das für den Menschen zeitsparende Hilfsmittel. Wie sehr hat die Erfindung des Autos unser Leben verändert! Lange Wege schrumpften. Die ersparte Zeit können wir heute ganz anders nützen. Und erst recht der Computer. Das Schriftbild ist perfekt. Die Schreibfehler korrigiert er automatisch. Die Texte kann er speichern. Und die Suchmaschine hilft mir, alles in Sekundenschnelle wieder zu finden. Wie viel Zeit habe ich durch die Suchmaschine „Google“ schon gewonnen. In allen Lebensbereichen schafft die Technik Erleichterungen und erspart Zeit. Die Waschmaschine und der Trockner, der Gefrierschrank und der programmierbare Kochautomat.

Doch was geschieht eigentlich mit uns und mit der gewonnenen Zeit? Was machen wir falsch, sodass fast jeder klagt: „Ich habe keine Zeit“? Ist die Suche nach Zeitgewinn vergebliche Liebesmüh? Alle, die Zeit sparen möchten, sollten den Versprechungen der Ratgeber misstrauen. Man kann Zeit nicht verschieben. Sie ist kein beliebig handhabbarer Gegenstand, den man wie eine Ware speichern und verwalten kann. Zeit ist nicht lagerfähig. Wir haben keine Macht über die Zeit. Die Zeit läuft stetig im gleichen Rhythmus ihren Weg. Wie schnell die Zuschauer im Stadion den Lauf eines Läufers einschätzen, ist eine subjektive Einschätzung und hängt von vielen Faktoren ab. Aber eine Zeitrafferkamera verändert nicht das Tempo des Laufes.

Der Zeitforscher Karlheinz Geißler behauptet: „Alles, was man der Zeit antut, tut man sich selbst an.“ Am Leben aber gibt es weder etwas zu managen noch kann man sicher sein, es im „Griff“ zu haben. Das Leben ist eine Symphonie unterschiedlicher Zeiten. Wir kennen den Takt, den Rhythmus, die Gleichzeitigkeit, es gibt die Schnelligkeit, die Langsamkeit, das Warten, die Pause, die Wiederholung und vieles mehr. Dieser Wirklichkeit gilt es, gerecht zu werden. Will man mit der Zeit versöhnt leben, muss man ihr gehorchen. Und so ist das je aktuelle Zeithandeln immer ein mehr oder weniger gelungener Kompromiss zwischen den Erfordernissen der zu bewältigenden Aufgaben und den eigenen, naturgegebenen Zeitdynamiken.

Die anstrengende Balancearbeit dieser Zeitanforderungen ist das, was wir „das Leben“ nennen. Zeitberatung ist daher nur als Lebenszeitberatung sinnvoll und verantwortbar. Nur so ist es erwartbar, dass man Zeiten statt Termine lebt. Das traditionelle Zeitmanagement und dessen „miles & more“-Ideologie befördern ihre ratsuchenden Kunden in jenes Dilemma, das bereits Goethe Anlass zur Klage bot: „Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr.“

Wort in den Tag zum Thema "Zeit"

In Antoine de Saint-Exupérys Werk „Der kleine Prinz“ trifft dieser auf einen Händler, der mit einer absolut wirksamen, durststillenden Pille handelt. Man müsse nur jede Woche eine schlucken und spürt gar keinen Durst mehr: „Warum verkaufst du das?“, sagte der kleine Prinz. „Das ist eine große Zeitersparnis. Man spart 53 Minuten in der Woche.“ „Und was macht man mit diesen 53 Minuten?“ „Man macht damit, was man will.“ „Wenn ich 53 Minuten übrig hätte“, sagte der kleine Prinz, „würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen ...“

Autor:

Friedel Görtzen aus Wesel

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