Als Knecht Ruprecht den Kindern die Weihnachtsfeier zur Hölle machte ...

Ob ich mich gern daran erinnere? Natürlich. Ich glaube, Advent und Weihnachten, das sind Ereignisse, an die denkt niemand in meinem Alter (48) mit schlechten Gefühlen zurück. Und dieses eine Mal, als meine Familie durch die Bank mit Fieber und Kotzgefühlen die Weihnachtstage im Bett verbringen musste, das zählt nicht.

Advent war Schnee. Auf den meisten Winter-Fotos (oder Dias) aus meiner Kindheit liegt Schnee. Auf manchen reicht er mir bis zum Oberschenkel. Spaziergänge entlang des Rotbachs zwischen Grafenwald und Hiesfeld. Wochenend-Besuche im Anita Thyssen-Heim in den Testerbergen bei Hünxe. Aufnahmen vom dunkelgrünen VW Variant meiner Eltern – und überall Schnee. Viel Schnee. Es muss was dran sein am Klimawandel: Wann liegt heutzutage noch Schnee?!

Als Kind hatte ich mächtig Angst vorm Knecht Ruprecht. Ich höre heute noch die Kette rasseln, die er hinter sich her in die Turnhalle schleifte, wo die jüngsten Mitglieder des TV Jahn Hiesfeld auf ihr Todesurteil warteten. Ich mittendrin, die Buxe voll. Der Nikolaus interessierte mich nicht, der war für mich (und die meisten Anderen) eine Randfigur. Entscheidend war, was Knecht Ruprecht tat und sagte.

Es dauerte ein paar Jahre, bevor mir meine Mutter verriet, dass ein Freund der Familie, Siegfried Heidecke, sich Ruß ins Gesicht geschmiert und dieses dunkelbraune Sackkostüm übergeworfen hatte. Und wenn er tatsächlich mal mich nach vorne rief, weil die liebe Mama ihm vorher einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben hatte, dann konnte die Tüte mit Nüssen, Mandarinen und Lebkuchen mich nicht wirklich aufheitern: Ich hatte einfach Schiss vor dem Typen und war froh, wenn die blöde Weihnachtsfeier vorbei war.

Wir haben immer viel draußen gespielt. Ins Haus gingen wir nur, wenn der Rotz vor der Nase zu einem kleinen Eiszapfen gefroren war und wir die Hände in diesen wirkungslosen Strickhandschuhen nicht mehr bewegen konnten. Schneemann bauen war Pflicht – Schneebälle an Nachbars Fensterscheiben werfen auch. Herrlich, solcher Schabernack.

Ob‘s auch mal regnete im Dezember, so wie heute meistens? Unwahrscheinlich, kann aber sein. Dann saßen mein Bruder und ich im Kinderzimmer und hörten Schallplatten: Das sind so schwarze Scheiben, die man auf einen Drehteller legt. Der Plattenspieler war eine 40 Zentimeter-Kiste aus nussbraunem Holz, der Deckel zugleich Lautsprecher. Märchen wie „Rumpelstilzchen“ und „Tischlein deck dich“ knisterten aus der Kiste heraus, vorgelesen von der tollen Stimme eines alten Mannes, den ich viel lieber mochte als den Nikolaus.

Als ich älter wurde – so 13, 14 – musste ich freitags und an den Adventssamstagen immer im Schallplattengeschäft meiner Eltern helfen. Heiligabend auch. Nachdem wir am Nachmittag wieder Zuhause waren, war faulenzen angesagt. Im Fernsehen (drei Programme, Baby!) liefen Disney-Filme und „Der kleine Lord“.

Ich weiß nicht mehr, wie das war, als ich klein war. Die Flimmerkiste lief bei uns selten. Am Heiligen Abend eher gar nicht. Das Wort Weihnachtsmann kannten wir noch nicht. Muss damals wohl noch in der unheilvollen Erfinder-Schublade gelegen haben, in der auch Hamburger, Handys und Reality-TV schlummerten.
Mein Vater war zwar ständig schlecht gelaunt und auch nicht besser organisiert. Trotzdem war’s irgendwie schön, auf das Christkind zu warten.

Irgendwann klingelte dann dieses geheimnisvolle Glöckchen im Wohnzimmer. Der Raum war erfüllt vom Duft eines soeben im Kamin abgebrannten Tannenzweigs – und von den Weihnachtsliedern eines Kinderchors. (Nein, nicht anwesend: Schallplatte!)

Meistens aßen wir zuerst: Nudelsalat (der beste der Welt) und kalte Schweineschnitzelchen mit Früchten. Bescherung war erst danach. Wenn ich mich recht erinnere, mussten wir Kinder Gedichte aufsagen. Aber so genau weiß ich das nicht mehr. Sind eben doch lange her, die frühen Siebziger …

Hier findet Ihr weitere Advents-Erinnerungen:

Fritz van Rechtern
Nicole Deucker
Maria Brandt
Jutta Kiefer
Dagmar Drexler
Roswitha Dudek
Elmar Begerau
Hanni Borzel
Christiane Bienemann

Autor:

Dirk Bohlen aus Hamminkeln

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