Vom Tellerwäscher zum Redenschwinger

Ein Vortrag, den ich so nie gehalten habe, und so nie halten werde… und dennoch aufgeschrieben habe. Sowas kann man immer mal gebrauchen.

Ich habe mich vor kurzem beim Schneiden einer PVC-Hartschaumplatte in den Finger geschnitten. Keine Sorge, ich hab's überlebt. (Schon seit Wochen steht auf meinem Nachttisch ein Foto von Martin Schulz, damit ich mich daran erinnere, dass es auch Menschen gibt, die es schlechter haben als man selbst.) Ich habe es also ganz tapfer weggesteckt. Allerdings: in der Folge konnte ich tagelang nicht spülen, die Wunde riss wiederholt auf, und das Geschirr sammelte sich an. Dadurch trat ein Phänomen auf, das sich am ehesten als "Porzellanwanderung" bezeichnen lässt: die Teller und Tassen im Schrank wurden immer weniger, die Stapel (die Stapel, Plural!) auf der Spüle wurden immer höher. Also entschied ich, mich trotz der nicht ganz abgeheilten Wunde als guter Hausmann zu beweisen... Und während ich nun den Haufen abarbeitete, fing ich ob der Eintönigkeit an, zu den Tellern zu sprechen. Ob das normal ist, überlasse ich dem geneigten Leser; produktiv war es allemal.

Hier meine Rede im Wortprotokoll:

Die Welt hat sich verändert, liebe Freunde.

Kylie Minogue macht jetzt Country-Musik, es gibt veganen Käse ohne milchigen Gerinnungshintergrund und auf den Touchscreens unserer Kinder leben Millionen tränenlachender Smileys. Millionen tränenlachender Smileys, welche irgendwann die dominante Spezies in Sachen Gefühle-Zeigen sein werden.

Tränenlachende Smileys, diese dehydrierten, krampfanfallgeschundenen Pixelmasken — sie sind das Gesicht des 21. Jahrhunderts. "Lach', bis Dir Tränen aus den Augen und Schaum aus dem Munde quillt", "dreh die emotionalen Ventile bis auf Anschlag auf! Die Welt will jedes Gefühl in Farbe, in Makro, in 3D und in Echtzeit und sowieso überall". Jede Gefühlsregung soll ein Highscore der Ausgelassenheit sein, eine affektive Singularität. Eventisierung bis in das letzte bartöl-gesättigte Gesichtshaar. Tränenlachen.
Herzhaftes Lachen hat nun ausgedient, es wird erst wahrgenommen, wenn es unter hyperaktiver Benutzung der Tränendrüse ein Upgrade erfährt.

Wir bräuchten eher ein abgeklärtes, zurücknehmendes Lächeln, zwischen gütig und ironisch, liebe Freunde und Freundinnen, liebe Tassen und Tassinnen.

Wir brauchen mehr Gelassenheit. Mehr Kühle. Nicht Kälte, nein, aber wir müssen runter von der hohen Flamme — bevor unsere Vorsätze vom ungezügelten, feurig züngelnden Tatendrang ungleichmäßig angebraten werden. Außen Kohle, innen roh, das schmeckt nicht, liebe Teller und Tellerinnen, nein, das schmeckt nicht und das wisst ihr nur zu gut. Wir benötigen eine Spock'inische Weltsicht. Logisch. (Alle Trekkies nicken.)

In der Hitze des Gefechts

In der Chemie gibt es eine Faust-Formel, die jeder Laborant aus dem FF beherrscht: "erhöhe die Temperatur - beschleunige die Reaktion" (die Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel). Die sozialen Medien und das ständige Aufgeriebensein (die gedankliche Reibungswärme) bringen uns zum Überhitzen und sorgen dafür, dass wir reaktionär überbrodeln und uns überschlagen.

Meinung sollte nichts sein, was man flugblattartig einsteckt, sie sollte nichts sein, was man… wie formuliere ich das… — Alles, was man in den Hintern geblasen bekommt, kann man nicht sehen, dafür hat man keinen Blick! Meinung muss aus einem tiefsitzenden Kristallisationskeim heraus anfangen, langsam zu erwachsen, also feingliedrige molekulare Strukturen ausbilden. Sie kann nur aus einer übersättigten Lösung von Weitsicht, Information und Verständnis ihre Materie beziehen und sich daraus verdichten. Und dann muss dieser Meinungskristall in einer schleifenden, jedoch nicht zertrümmernden Diskussionskultur poliert werden, indem die Spitzen abgeflacht und der Facettenreichtum erhöht wird. Dann darf man diese Meinung stolz auf der Brust vor dem Herzen tragen und hüten wie einen Schatz.

Doch manche Meinungsbilder, die da draußen kursieren, erscheinen mir, wie aus geschredderten Halbwahrheiten zusammengepappte Aschenbecher für das vom Feuereifer Versengte. Und daraus formt sich dann einer seine Krone, krönt sich damit selber, sieht sich mit der Entscheidungsgewalt eines Königs ausgestattet.

Das Giftzwerk-Antiserum

Mein Geschirr, kennt ihr Hatespeech nicht nur aus der Liste der anglizistisch immigrierten Worte, ist euch schonmal der Schirm der Gleichmut in einen Shitstorm umgeschlagen? Habt ihr mal die Kommentarflut der Überdrüssigen steigen sehen, stand euch die Agressivität bis zu Hals?
Ich gehe Reizthemen neudings aus dem Weg. Wenn mir ein Reizthema entgegenkommt, mich herausfordernd anstiert, nicke ich ihm höchstens noch sturr zu, mit diesem Nicken, das nur dafür entwickelt wurde, mit größtmöglicher Ignoranz ein Ehrenduell abzuwenden. Ich lasse mich nicht mehr auf Erörterungssauftouren einladen, um dann empörungschwitzend nach Hause zu torkeln.

Man soll aufhören, wenn's am schlimmsten ist. Soll heißen: wenn so viel Senf dazu gegeben wird, dass die Schärfe geschmacklos wird - dann räumt man eben das Feld. Der Magen wirds einem danken.

Ich nenne mich Dieter Ruhr, und fange irgendwo von Vorne an.

Über Crowdfunding erstehe ich eine kleine Insel, ziehe dort hin und lebe in Ruhe und Frieden. Ich werde von den Kokosnüssen leben. Ich mache überhaupt Alles aus Kokosnüssen. The Bounty-way-of-life. Ich werde mir eine Hütte aus Kokosnussschalen bauen, mit Fensterläden aus Kokosblättern, werde mir aus Kokosfasern ein Bett bereiten, Teppiche weben und Klamotten nähen. Ich baue eine Dampfmaschine, die mit Kokoswasser läuft! Ich werde mir sogar ein W-Lan-Hotspot aus Kokosnüssen bauen! Auch, wenn es mir sich gerade technisch nicht erschließt, wie das gehen soll, aber "wo ein Wille ist, da ist eine Kokosnuss"! Ich schreibe Bücher über Kokosnüsse, ich schreibe heilige Bücher von Kokosnüssen, gründe eine Kokosnuss-Religion und von den Spenden erstatte ich den Crowdfunding-Unterstützern ihre Summen zurück.

Wer ohne Sünde ist, werfe die erste Kokosnuss!

Letzte Tasse ist sauber. Drehe bedächtig die Mischerventile vom Wasserhahn zu. Der Finger blutet wieder ein bisschen. Würde man die Spüle jetzt mit Luminol (bekannt aus der Forensik) einsprühen, würde sie unter UV-Licht leuchten. Das Luminol reagiert mit dem Eisen im Hämoglobin. Es reagiert übrigens auch mit Kupfer. Da Spocks Blut auf Kupfer basiert (alle Trekkies nicken wieder), würde sich die Spurensicherung auf dem Vulkan, seinem Heimatplaneten, auch Luminol bedienen können.

Irgendwo sind immer Gemeinsamkeiten versteckt — man muss sie nur suchen.

TiK

Autor:

Timothy Kampmann aus Wesel

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