Debatte an der Uni: „Gehört der Islam zu Deutschland?“

UW/H-Debatte: „Gehört der Islam zu Deutschland?“ | Foto: UWH/Appelhans
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Kein einfaches Thema hatte sich die Universität Witten/Herdecke für einen Diskussionsabend ausgesucht: „Gehört der Islam zu Deutschland?“ Gibt es überhaupt „den Islam“? Und geht es um den Islam als Religion oder als Ideologie?

Die Uni beschreibt auf ihrer Interseite den Verlauf der Debatte wie folgt:
Mehr als 120 Studenten, Professoren und Gäste kamen am Montag an der Universität Witten/Herdecke zusammen, um sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion Gedanken zum Thema „Gehört der Islam zu Deutschland?“ zu machen.
Jens Harbecke, Juniorprofessor für Wissenschaftstheorie und Methodologie der Ökonomik an der UW/H, gab zu Beginn ein kurzes Impulsreferat zum Thema. Neben Zahlen zum Bevölkerungsanteil, der Herkunft sowie den in Deutschland repräsentierten Auslegungstraditionen wurde auf die wachsende politische Gewalt gegen Ausländer allgemein, und gegen deutsche Muslime im Besonderen hingewiesen, wie sie sich in den NSU-Morden und Anschlägen auf islamische Einrichtungen manifestiert haben. Zugleich wurde das Anwachsen der fundamentalistischen islamischen Splittergruppen und die wachsende Gefahr des Terrors durch Islamisten in Deutschland beleuchtet.

Viel zietierter Satz des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff

Das Stichwort zur Podiumsdiskussion lieferte der vielzitierte Satz des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff anlässlich der zentralen Feier zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010: „Der Islam gehört mittlerweile auch zu Deutschland.“
Er wurde kontrastiert mit einer Aussage Ulrich Greiners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Greiner unterscheidet deutlich zwischen den Muslimen, die selbstverständlich als Bürger zu Deutschland gehörten, und dem Islam als Ideologie, der in einer freiheitlichen Gesellschaft keinen Platz hat. „Vielleicht“, so Greiner, „wird der Islam eines Tages wirklich zu Europa gehören. Wissen kann man das nicht und wünschen auch nicht.“

Die Moderatorin Lea Diederichsen, Studentin im Master-Studiengang Philosophy, Politics, and Economics, bat zunächst den Student Kibar Erdogrul um einen persönlichen Eindruck von der aktuellen gesellschaftlichen Debatte aus der Sicht eines deutschen Muslims. Herr Erdogrul gab zu bedenken: „Der Islam wird in diesen Diskussionen in der Regel als eine Einheit verstanden. Das haben die Fundamentalisten merkwürdigerweise mit den Islamkritikern gemein: Sie alle sehen im Islam eine einheitliche Religion und Kultur, die es entweder zu verteidigen oder zu bekämpfen gilt. Doch diese Einheit gibt es nicht; wer sich mit dem Islam auseinandersetzt, sollte sich seiner großen Vielfalt bewusst sein, und auch berücksichtigen, dass es sehr liberale Interpretationen des Islams gibt. Gerade mit letzterer identifizieren sich sehr viele deutsche Muslime, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung teilweise anders ist.“
Der Vize-Präsident der Universität Witten/Herdecke, Prof. Rudolf Wimmer, wies darauf hin, dass Österreich mit seinem neuen „Islamgesetz“ genau einen solchen westlich geprägten Islam fördern möchte. Zugleich versucht es, fundamentalistische Strömungen durch ein Auslandsfinanzierungsverbot von religiösen Einrichtungen zurückzudrängen. Prof. Matthias Kettner machte deutlich: „Der Islam hat bei aller Vielfalt immer einen zentralen Bezugspunkt, nämlich den als heilige Schrift anerkannten Koran. Dieser steht jedoch in Teilen in Konflikt mit dem Werteverständnis westlicher Gesellschaften.“
Der Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, Prof. Birger Priddat, wies darauf hin, dass sich auch die muslimische Minderheit in Deutschland zunehmend säkularisiert. Zugleich aber scheint eine radikale Gruppe den westlichen Staat und sein Rechtssystem zunehmend herauszufordern. Bei Tendenzen wie diesen, die sicher nicht zu Deutschland gehörten, sei die Wachsamkeit der Gesellschaft gefragt, so Priddat. Prof. Stefan Wirth, Dekan der Fakultät für Gesundheit, wies schließlich auf die praktischen Herausforderungen hin, die sich den medizinischen Institutionen in Deutschland durch muslimische Patienten ergeben. Eine angemessene Betreuung muslimischer Patienten erfordert Rücksichtnahme auf religiöse Erfordernisse, und muss in bestimmten Situationen sogar die unterschiedlichen familiären Strukturen berücksichtigen.

Publikumsdiskussion thematisierte vor allem die Rolle der Medien

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum thematisierte vor allem die Rolle der Medien sowie die Frage, ob die heutige Diskussion nicht in die falsche Richtung geht, wenn sie sich weiterhin auf das Thema „Integration“ konzentriert. Der Großteil der deutschen Muslime, so eine Teilnehmerin, lebte in der zweiten oder sogar dritten Generation in Deutschland. Nicht die Integrationsfähigkeit sei das Problem, sondern die Tatsache, dass bis heute der kulturelle Austausch und das Verständnis füreinander in der Gesellschaft nicht ausreichend entwickelt seien.
Das Thema der kulturellen und religiösen Vielfalt in Deutschland wird die Universität Witten/Herdecke auch in Zukunft beschäftigen. Die große Resonanz auf die jetzige Veranstaltung gibt Grund zu der Annahme, dass sie damit eine relevante Fragestellung unserer Zeit verfolgt.

Autor:

Annette Schröder aus Bochum

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