Malen als Therapie: Hinaus ans Licht

5. September 2014
VHS Duisburg, 47051 Duisburg
Malen hilft Petra Braun,  ihre psychischen Probleme besser bewältigen zu können. Alle Fotos: Hannes Kirchner
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  • Malen hilft Petra Braun, ihre psychischen Probleme besser bewältigen zu können. Alle Fotos: Hannes Kirchner
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Jahrelang war Petra Braun sprachlos. Traumatisiert durch Kindheitserlebnisse, war die heute 55-Jährige nicht in der Lage, Gefühle oder Gedanken in Worte zu fassen und auszusprechen. Malen half ihr, das innere Chaos zu ordnen. „Das hat mir das Leben gerettet“, resümiert Braun, deren Bilder derzeit in der zweiten Etage des VHS-Gebäudes ausgestellt sind.

Dass sie „nicht normal“ sei, habe sie von Kindesbeinen an gespürt, beschreibt Petra Braun, die in einem kleinen Dorf im Westerwald aufwuchs: „Schon in der Schule hatte ich keine Freunde, war immer allein, fühlte mich irgendwie überall deplatziert und falsch, hatte null Selbstbewusstsein. Für mein Umfeld war ich ‚das unmögliche Kind‘. Warum ich so war und nur aus Angst bestand, sollte mir erst viel später klar werden.“

"In meinem Dorf war ich das 'unmögliche Kind'. In Duisburg hat mein Leben in Freiheit begonnen.'"

Der Weg der Erkenntnis war lang und steinig. Was genau ihr widerfahren ist, möchte Petra Braun nicht veröffentlicht sehen. Zu oft hörte sie von Menschen, denen sie sich anvertraute: „Das bildest du dir doch alles nur ein. Stell‘ dich nicht so an.“ Petra Braun litt zunehmend unter psychosomatischen Erkrankungen, begab sich in verschiedene Therapien – dauerhaft helfen konnte nichts.

Während eines Klinikaufenthalts lernte Petra Braun einen Mann kennen, der als Statist am Stadttheater Duis­burg arbeitete. Er lud sie zu einer Aufführung der Puccini-Oper Tosca ein – ein Abend, der ihr Leben verändern sollte. „Als Tosca ihren Peiniger Scarpia tötete, wurde mir plötzlich klar, dass ich mein Leben ändern muss.“ Braun verließ das Dorf, zog nach Duisburg, war erstmals unabhängig, fühlte sich wohl.

Endlich ein Leben ohne Zwang, ohne Gewalt, ohne Druck. „Und nach einem Vierteljahr dann der totale psychische Zusammenbruch. Plötzlich kam alles hoch, was ich jahrzehntelang verdrängt hatte. Bilder, Gefühle, Erinnerungen – immer und immer wieder. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, konnte nicht mehr schlafen, nicht einmal mehr den Haushalt machen.“ Wieder folgte ein stationärer Aufenthalt, doch diesmal wurde Petra Braun zur Kunsttherapie eingeteilt – ein für sie und die Therapeutin gleichermaßen eindrucksvolles Erlebnis.

„Meine Therapeutin war begeistert von meinen Bildern, fragte nach einer künstlerischen Vorbildung. Und ich hatte ja tatsächlich als Kind schon sehr gut gemalt und gezeichnet. Ein künstlerischer Beruf kam aber für meine Familie nicht in Frage. ‚Brotlose Kunst, du lernst Friseurin‘, hieß es.“
Jetzt durfte und sollte sie malen, und zwar intuitiv. „Man musste mir nur Farbe und Papier an die Hand geben, und dann sprudelte es förmlich aus mir heraus. All das, wofür ich niemals Worte finden konnte, wurde plötzlich zum Bild. Und half mir, die Dinge zu ordnen, klarer zu sehen, mich nicht mehr wie das Allerletzte zu fühlen. Mehr als 50 Jahre habe ich mit mir Krieg geführt. Die Malerei hat mir ermöglicht, mit mir in Friedensverhandlungen zu treten.“

Ein „normales“ Leben ist für Petra Braun noch immer nicht möglich. Noch immer ist sie arbeitsunfähig, noch immer befindet sie sich in Therapie und besucht eine Selbsthilfegruppe für traumatisierte Frauen. Doch sie hat ihre Sprachlosigkeit überwunden, weiß nun, dass sie Opfer und nicht Täter war. Und dass sie eigentlich ziemlich in Ordnung ist. Zwar sind sie noch manchmal da, die dunklen Stunden. Aber Petra Braun hat gelernt: „Es gibt immer einen Weg hinaus ans Licht.“ Und Tosca hat sie seither acht Mal gesehen.

Selbsthilfe
Die Selbsthilfekontaktstelle des paritätischen Wohlfahrtsverbandes vermittelt den Kontakt auch zur Traumaselbsthilfegruppe für Frauen. Zu erreichen ist sie unter Tel.: 0203 / 60 990 41. Sprechzeiten sind Montag, Dienstag und Donnerstag von 9.30 bis 12.30 Uhr und Dienstag von 15 bis 18 Uhr.

Ausstellung
Die Ausstellung von Petra Braun ist noch bis einschließlich Freitag, 26. September, entgeltfrei zu den Öffnungszeiten im VHS-Gebäude an der Königstraße 47 in der zweiten Etage zu sehen. Sie endet am 26. September mit einer Finissage von 19 bis 21 Uhr im Saal im Erdgeschoss.

Autor:

Claudia Brück aus Düsseldorf

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