In der Psychiatrie nennt man das Anpassungsstörungen

22. Juni 2010
NRW, Goch

Wie eine Partei die Orientierung verlor

Wohl selten ist eine Partei innerhalb kürzester Zeit derart bei der Zuneigung der Bevölkerung eingebrochen, wie momentan die FDP. Die demonstrative Gelassenheit ihres Vorsitzenden Westerwelle mag das Bildnis des Realitätsverlustes sein. Alle Mitglieder in seiner Ein-Mann-Partei scheinen das zu merken, nur er selbst nicht.

Es waren die Monate vor der Bundestagswahl, als Merkel und Steinmeier überaus sinnvolle Programme auflegten, um der Weltwirtschaftskrise entgegenzuwirken. Wie sinnvoll sie waren, das wusste man damals noch nicht. Erst nach der Wahl zeigte sich, dass das umstrittene Rettungspaket, insbesondere die immensen Summen der Finanzbürgschaften sowie die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen dem Entgegenwirken der Krise angepasst waren.

Just in diesem Moment tauchte Westerwelle mit seinen Slogans: „Mehr Netto vom Brutto“ und „Politische Ehrlichkeit wird sich durchsetzen“, auf. Zurückblickend hatte er ja Recht. Vier Jahr zuvor, 2005, hatte er zu seinen Ankündigungen gestanden und demonstrativ auf Koalitionen um jeden Preis verzichtet und lieber auf Macht und Einfluss verzichtet.

Das blieb seinerzeit beim Wähler bis zur letzten Bundestagswahl auch hängen!!

Und das Verlangen von vollen Lohntüten der Arbeitnehmer war angesichts der Mega-Gewinne, die die Unternehmer zuvor eingestrichen hatten genau das, was der Wähler hören wollte.

Zumal sich die SPD damals angeschlagen und ausgebrannt präsentierte. Die Dienstwagenaffäre von Ulla Schmidt und das beinahe trotzige Festhalten der Parteiführung an dieser Frau, sie in der Wahlkampfmannschaft zu belassen, hatten den Zorn der Wählerschaft hervorgerufen.

Und Westerwelle holte dann 15,65 Prozent...

Euphorie und Siegestaumel löste dann wohl den Prozess der Hochmut aus, der nun den Abstieg einleitete. Im Glückstaumel wurde wohl nicht realisiert, dass sich mittlerweile die gesamtpolitische Konstellation verändert hatte.

Und so beharrte er weiterhin auf Steuersenkungen, die niemand verstand und legte sich zudem noch mit den Ärmsten und Bedürftigsten an. Eine Steigerung des dummen Verhaltens wäre gar nicht mehr möglich gewesen!

Es mag durchaus sein, dass Westerwelles Strategie aufgegangen wäre, wenn ihm nicht die Wirtschaftskrise den Weg verstellt, die politische Welt sich nicht völlig verschoben hätte und nun andere Schwerpunkte verlangte. Doch seine eigene visionäre Welt ließ einen Blick auf die wahren Realitäten wohl nicht zu.

Schon ein minimal kleiner Umstand vermag die Welt zu verändern. Oftmals sind es nur wenige Zentimeter!

Wäre das Wembley-Tor 1966 nicht gegeben worden, wäre seinerzeit möglicherweise Deutschland Weltmeister geworden... Wurden sie aber nicht!!

Und so ist es halt die Kunst der Politik, sich auf neue Situationen einzustellen und die Ziele und Verbindungswege dorthin zu verändern.

Das hat die FDP schlichtweg versäumt!!

Nun sind ihnen ihre Anpassungsstörungen endlich bewusst geworden. Oder besser gesagt: Sie trauen sich, etwas gegen ihren allmächtigen Chef der Ein-Mann-Partei zu sagen, ohne mit Sanktionen wegen Majestätsbeleidigung rechnen zu müssen.
Offene Kritik an Westerwelle und die Forderung einer politischen Umorientierung, weg vom Steuersenkungswahn, hin zur sozialen Komponente kommen nun erst, wo das Kind bereits unten im Brunnen liegt. Viel zu spät!

Ob sich die FDP jemals wieder ihrem Traum hingeben darf, zu den führenden politischen Kräften mit dem Ziel 18 Prozent+ anzuvisieren, ist sehr unwahrscheinlich. Und das ist auch gut so. Und mit Westerwelle wird das jetzt schon gar nicht mehr funktionieren.

Selbst schuld...!

Schon meine Oma sagte stets: „Es gibt kein Leid, was sich der Mensch nicht selbst antut...“

Foto: Dirk Vorderstraße, Wikipedia, zur Veröffentlichung freigegeben

Autor:

Kurt Nickel aus Goch

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.