Depression bei Männern bislang unterdiagnostiziert

6. September 2011
LWL-Klinik, 44791 Bochum
Foto: Bochumer Bündnis gegen Depression

„Frauen sind arztbekannt, Männer sind polizeibekannt“.
Diese knappe Botschaft brachte treffend auf den Punkt, dass das Erscheinungsbild einer Depression bei Männern von dem der Frauen abweicht, weshalb sie vordergründig seltener von ihr betroffen scheinen und durch das Netz der Diagnose fallen.

Diese und weitere ebenso umfassende wie informative Erkenntnisse vermittelten zwei Vorträge zum Thema Depression bei Männern am 06.09.11 in der LWL-Klinik an der Alexandrinenstraße.
Auf Initiative der LWL-Klinik und des Bochumer Bündnisses gegen Depression waren Frau Dr. Möller-Leimkühler von der Ludwig-Maximilian-Universiät München und
Herr Dr. Trenckman, ärztlicher Direktor der Hans-Prinzhorn-Klinik Hemer der Einladung nach Bochum gefolgt, um den zahlreich erschienenen Interessierten Wissenswertes in Wort und Bild zu vermitteln.

Keine Erkrankung nimmt im Leben eines Menschen zusammenhängend so viel Raum ein, wie die Depression. Diese steht bei den mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelebten Lebensjahren an der Spitze. Seit den 1990-er Jahren wird die Erkrankung zunehmend als Grund für Arbeitsunfähigkeit verzeichnet, wobei bei gleichzeitiger Rückläufigkeit körperlicher Erkrankungen eine Zunahme von Depression bei Männern um 20 % beobachtet wurde. Jede dritte Frühverrentung ist auf die Erkrankung zurückzuführen.
Dennoch findet das Thema bislang eher wenig Beachtung.

Depression bei Männern steht weniger im Blickpunkt. Die männliche Aufmerksamkeit ist weniger auf Gesundheit fixiert, ein Thema, das sie eher nervt. Neben der Leidenschaft für Schuhe, so vermittelte der Vortrag von Frau Dr. Leimkühler, ist das Interesse an gesundheitlichen Themen ein Gebiet der Frau, deren öffentliche Darstellung als das „schwache Geschlecht“ noch immer in den Köpfen tief verankert ist.

Dass Frauen häufiger als Männer von der Depression betroffen sind, ist unbestritten. In Deutschland haben Frauen ein 2-3 fach höheres Risiko zu erkranken, als Männer.
Verantwortlich sind zunächst biologische Faktoren wie die reproduktive Funktion und hormonelle Faktoren. Dabei ist bislang nicht geklärt, ob Hormone Depression bedingen oder Depressionen den Hormonhaushalt verändern. Hinzu kommt die genetische Veranlagung, psycho-sozialer Stress und in zunehmendem Maße der Rollen-Stress der Frau.

Die Stressquellen für haben sich für den weiblichen Teil der Bevölkerung aktuell mit dem veränderten Rollenverständnis vervielfacht: Die Erwerbstätigkeit ist zunehmend mit Benachteiligung verbunden, Doppel- und Dreifachbelastung durch Beruf, Haushalt und Kinder haben einen wesentlichen Anteil. Die Familienstrukturen verändern sich immer häufiger, Ehen gehen auseinander, zurück bleiben in der Regel alleinerziehende Mütter, deren finanzielle Mittel eng bemessen sind.
Im Alter sind Frauen stärker vom Alleinsein in Armut betroffen, da der Mann als Partner häufig früher stirbt und ihre Renten geringer ausfallen. Die Pflege bedürftiger Angehöriger wird meist von Frauen übernommen, die sich zu Lasten der eigenen psychischen Gesundheit aufopfern.
Viele Frauen leiden unter der Einseitigkeit des Daseins als Hausfrau, Ehefrau und Mutter, sind aus der biologischen Rolle heraus beruflich oft geringer qualifiziert und haben einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status. Frauen sind zudem häufiger Opfer sexuellen Missbrauchs.

Männer gelten vordergründig als gesellschaftlich privilegiertes Geschlecht. Doch der Mann gerät zunehmend in die Krise. Drei Viertel aller vollendeten Suizide werden von Männern verübt. Ihre Lebensstilfaktoren sind deutlich andere, selbst- und fremdschädigendes Verhalten tritt häufiger auf, die gesellschaftlichen Erwartungen sind andere. Wie man mittlerweile weiß, verbirgt sich hinter Alkoholerkrankungen und Suiziden eine hohe Depressionsrate, die nicht erkannt wird. Denn Männer sind zurückhaltender bei der Selbsterkenntnis und tun sich grundsätzlich schwerer, zum Arzt zu gehen.

Auch ihre Stress-Belastung ist gewachsen, sie sieht jedoch anders aus, als die der Frau. Die Rolle des Mannes bedingt eine eher dominante Berufsorientierung, Männer üben häufig gefährliche Berufe aus und der Arbeitsplatz ist grundsätzlich unsicherer geworden, was die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit betrifft.
Die psycho-sozialen Arbeitsbedingungen und die sogenannte berufliche Gratifikationskrise, die hohe Verausgabung bei geringer Entlohnung, spielen eine weitere Rolle.
Zu den schädigenden Arbeitsbedingungen gehören fehlende Wertschätzung, geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum, Arbeitsverdichtung, betriebliche Umstrukturierungen und fehlende Fort- und Weiterbildungen über mehrere Jahre hinweg.
Auch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und das heute verstärkte Drängen der Frau in typische Männerberufe und in hohe, bislang männerdominierte Positionen ist ein den männlichen Status erheblich bedrohender gesellschaftlicher Stressfaktor.

Weitere Risikofaktoren für Depression bei Männern sind die Geburt eines Kindes, Trennung und Scheidung, das Leben als Single, mit dem Frauen besser umgehen können, und die Pensionierung. Auch eintretende chronische Erkrankungen können zu Depressionen führen, weil sie mit der männlichen Identität schlecht vereinbart werden können.
Junge Männer, alte Männer, und solche, die mit der Geburt eines Kindes Vater geworden sind, Soldaten, Feuerwehrleute, Polizisten und Ärzte sind in besonderem Maße dem Risiko einer Erkrankung ausgesetzt.

Zu arbeitsbedingten Suiziden gibt es in Deutschland bislang keine Daten, Arbeitslosigkeit und Pensionierung erhöhen jedoch das Risiko. Bekannt geworden sind in 2009 Fälle aus Frankreich, wo sich bei der Télécom France in anderthalb Jahren 24 Menschen das Leben nahmen.
Auch aus Japan ist das Phänomen „Sterben für die Firma“ bekannt; entweder als Tod durch Überarbeitung oder als Suizid infolge Depression aufgrund von Überarbeitung. Jeder 5. Suizid wurde als durch die Arbeit bedingt identifiziert.
In Osteuropa kam es nach dem Zusammenbruch des Sozialismus zu einem drastischen Anstieg der Selbstmordrate bei Männern, Zusammenhänge zur Arbeitswelt und zur Veränderung gewohnter Strukturen, die Sicherheit vermittelten.

Frauen leben stärker in Beziehungswelten, Männer in Statuswelten. Während Frauenfreundschaften für diese ein wichtiges soziales Gefüge darstellen, ist Freundschaft bei Männern eher ein strategisches Sozialverhalten hinsichtlich gegenseitiger Unterstützung und Anerkennung.
„Die Angst, wertlos oder gar verlassen zu sein, wenn man nicht selber groß und mächtig werden oder zumindest an kollektiver Größe und Macht teilnehmen kann, ist eine kollektive Männerneurose“, so wurde eingänglich zitiert.

Beobachtungen an Affen zeigten, dass auch bei diesen Depressionen auftreten, weshalb ein Zusammenhang zum menschlichen Verhalten gut herzustellen ist.
Dabei sind die Affenweibchen wie Frauen eher interpersonell orientiert. Deshalb sind sie psychisch sehr viel stärker belastet, wenn es zu sozialen Problemen in der Gruppe, bzw. im zwischenmenschlichen Bereich kommt. Ihre Copingstrategien, die Strategien der Bewältigung eines psychisch belastenden Problems, sind in Form von Grübeln und Selbstbeschuldigungen emotionszentriert und damit depressionsfördernd. Sie leben ihre Belastungen nach innen aus.

Das Verhalten von Männern ist hingegen eher externalisierend. Bei Stress reagieren sie nach dem Motto „fight or flight“ mit Selbst- oder Fremdschädigung, sie verlagern die Strategien der Bewältigung nach außen. Die Folge sind u.a. verstärkter Alkoholkonsum, aggressive Streitigkeiten und Suizid.

Heute weiß man, dass die Symptome einer Depression bei Männern im Vergleich zu den Symptomen einer Frau zu unterschiedlich sind, als dass man sie ihr zuzuordnen wusste. Die bislang herangezogenen Beurteilungskriterien der Stressverarbeitung umfassen nicht das Bild für Männerdepressionen, da sie an Frauen erhoben wurden. Als Mann mit der Erkrankung fiel man durch das Netz der Diagnose, weil für sie nicht zutreffende Aspekte abgefragt wurden.

Der Grund für die bislang noch wenig zutreffenden Beurteilungskriterien liegt u.a. in der mangelnden Inanspruchnahme medizinischer Hilfe. Männer gehen nicht zum Arzt. Es gehört auch heute noch zum Selbstverständnis eines Mannes, Schmerzen zu ertragen und wenig Hilfe anderer zu benötigen. Man ist um so mehr ein Mann, je weniger Schlaf man braucht, je mehr Alkohol man verträgt und je weniger Selbstfürsorge man betreibt. Als Mann ist man hart gegen sich selbst.

Sehr anschaulich wurde das Fallbeispiel eines Mannes benannt, der versuchte, sein Mißempfinden und seine Unzufriedenheit mit sich und seinen Leistungen mit permanent gesteigerten sportlichen Anforderungen zu kompensieren und immer mehr von sich forderte, bis er zusammenbrach.
Die typische Männlichkeits-Norm verhindert noch immer häufig das Zugeben von Leistungsschwäche, Depressionen und den Bedarf nach Hilfe. Das Potential der Selbstschädigung ist hoch.

Entsprechend ist das männliche Selbstverständnis von einer ausgeprägten negativen Einstellung zur Psychiatrie gekennzeichnet. Der männliche Suizid wurde über eine lange Zeit als ehrwürdiger Abgang aus dem Leben angesehen, der die Fassade der Selbstbestimmung aufrecht erhält.
Während die Selbstmordrate bei Frauen trotz höherer Depressionsrate niedriger ist, gilt die Selbsttötung als Folge von Depression als zweithäufigste Todesursache bei Männern zwischen 20 – 25 Jahren, obwohl die Depression unterdiagnostiziert ist.

Bildgebende medizinische Verfahren ermöglichen mittlerweile den Nachweis, dass bei Männern und Frauen Geschlechterunterschiede in den Hirnregionen bestehen, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind.
Emotionalität wird bei Männern durch andere Verhaltensweisen maskiert. Depressionen gehen bei ihnen mit Aggressionen, Erregtheit und Unruhe, geringerer Impulskontrolle und erhöhter Risikobereitschaft einher, während Frauen in Unsicherheit, Angst, Hilflosigkeit und Traurigkeit verfallen.
Ältere Männer sind als launische oder feindselige Nörgler bekannt und als solche „anerkannt“, weil man sie nicht anders kennt.
Substanzmissbrauch spielt eine große Rolle, ebenso sozialer Rückzug, der oft nicht zugegeben wird. Versagensangst, Gewichtsprobleme, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Impulsivität, das Abstreiten von Depression, Trauer und Kummer sind Kennzeichen.
Depressive Männer erleiden häufiger Herzinfarkte, weil die Thrombozyten als Folge der Erkrankung schneller verklumpen; bei Vorliegen von Depressionen kommt es häufiger zu Re-Infarkten.

Geklagt wird eher über Burn-out als Statussymbol der eigenen Leistungsfähigkeit und beruflichen Einsatzbereitschaft. Stress ist im Gegensatz zu einer Depression nicht gesellschaftlich stigmatisierend und deshalb eine Form der Maskerade der ernst zu nehmenden Erkrankung Depression.

Die Bewältigung einer Depression hängt entscheidend von der Wahrnehmung und Bewertung der Erkrankung und der Einschätzung der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten ab. Sie erfordert einen Zugang zur Ebene der Emotionen, den Männer in der Regel weniger haben, als Frauen. Über Gefühle wird seltener gesprochen, sie auszudrücken und zu beschreiben ist eher eine Fähigkeit der Frau.

Zu der interessanten Frage, ob Männer eher von Psychotherapien profitieren können, die von männlichen Therapeuten durchgeführt werden und es mit weiblichen Psychotherapeuten zu Problemen hinsichtlich einer Akzeptanz der Behandlung kommen kann, konnte seitens der Experten leider nicht von Erkenntnissen berichtet werden.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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