Ruhrfestspiele: „Lasst euch nicht umschlingen, Ihr 150 000 000“ – nicht umschlingend, sondern anregend.

27. Mai 2012
18:00 Uhr
Ruhrfestspiele, 45657 Recklinghausen
Das Plakat zum Stück von Kevin Rittberger: "Lasst Euch nicht umschlingen, Ihr 150 000 000!". | Foto: Foto: Birgit Hupfeld
  • Das Plakat zum Stück von Kevin Rittberger: "Lasst Euch nicht umschlingen, Ihr 150 000 000!".
  • Foto: Foto: Birgit Hupfeld
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Kevin Rittberger, Autor und Regisseur des Stücks, entwirft eine anarcho-kommunistische Spurensuche in drei Teilen, sein sogenanntes Triptychon.

Der erste Teil zeigt eine Reflexion auf den spanischen Bürgerkrieg von 1936. Ein Fotograf, seine Assistentin und ein Model reisen nach Andalusien, um am Originalschauplatz das berühmte Foto des erschossenen Anarchisten von Robert Capa nachzustellen. Etwas verwirrend erscheint dabei der immer wieder dazwischengeschaltete alte Mann. Er reflektiert den Anarchisten Augustin Souchy und dient als Zeitzeuge, da er 1936 in Barcelona Pressesprecher der CNT war.
Der zweite Teil stellt William Morris‘ Roman „Kunde von Nirgendwo“ nach. Der alte Mann befindet sich nunmehr als Gast unter Nachbarn und Nachbarinnen in einer Utopie im Jahr 2040. Die Menschen arbeiten gern, haben den Kapitalismus abgeschafft und stellen nur noch Produkte für den eigenen Gebrauch her. Doch bleibt am Schluss die Frage offen, in welcher Welt der Gast sich wohler fühlt.
Der dritte Teil stellt wieder einen Bezug zur Gegenwart her und spielt im August 2011 in Tunis. Es ist kurz vor den Wahlen und Ramadan. In der Stadt herrscht Anarchie und Chaos in der eine deutsche Besucherin ihre Eindrücke beschreibt.

All diese Orte und Zeiten werden mit einem relativ einfachen Bühnenbild, einer Bühne voller Palmen, realisiert. Diese sind vielseitig einsetzbar; im ersten Teil als Bananenplantage, im zweiten Teil als Paradies und im dritten Teil als gefällte Bäume zur Demonstration der Anarchie. Diese einfallsreiche Bühne, gepaart mit einer phantastischen schauspielerischen Leistung mit vollem Körpereinsatz, guten Texten und einer eigens komponierten utopischen Musik für den zweiten Teil, machen dieses Stück einzigartig. Noch dazu verarbeitet Kevin Rittberger mit diesem Stück seine eigenen Eindrücke aus Tunis 2011. Viele der dargestellten Szenen beruhen auf seinen Erlebnissen. Daher ist dem Programmheft auch eine DVD beigefügt, welche die Eindrücke von Tunis dokumentiert. Daneben finden sich auch Einflüsse der Occupy Bewegung, welche mit dem Titel „Lasst euch nicht umschlingen, Ihr 150 000 000“ angedeutet wird. Frei nach einem Gedicht Slavoj Žižek wird die Zeile „Lasst euch nicht umarmen“ zum Slogan der Bewegung.

Weiterhin brilliert das Stück mit Anspielungen auf verschiedene Diskurse der Zeit. So zum Beispiel der Ähnlichkeiten zwischen Kamera und Gewehr: beide schießen. Oder die Anspielungen auf Dinge, die sich die Menschen gefallen lassen, ohne zu protestieren und nicht zuletzt die Gleichsetzung der Schauspieler im ersten Teil mit den drei japanischen Affen, welche als Warnung vor Unheil und der Vermeidung des Bösen gelten.
So schafft es „Lasst euch nicht umschlingen, Ihr 150 000 000“ die Zuschauer mit viel Witz in Ihren Bann zu ziehen. Die einzelnen Elemente bleiben jedoch bruchstückhaft nebeneinander und erschweren den Zugang zum Stück. Es gibt viele kleine Details und Querverweise zu entdecken, doch ist politisches Hintergrundwissen sehr empfehlenswert bis hin zu notwendig.
Alles in allem regt das Stück zum Nachdenken an, ist gesellschaftskritisch und gegenwartsnah und wird teilweise von aktuellen Entwicklungen eingeholt. Wer sich also für geschichtliche und aktuelle politische Entwicklungen interessiert, ist hier genau richtig.

„Lasst euch nicht umschlingen, Ihr 150 000 000“ ist heute Abend um 18 Uhr noch einmal bei den Ruhrfestspielen zu sehen und feiert am 2. Juni 2012 um 20 Uhr noch einmal in den Kammerspielen in Frankfurt Premiere.

Autor:

Sabrina Schmitt aus Recklinghausen

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