Jetzt mal Hochdeutsch 4

Ortstermine…

Ich hab das ja nur aushilfsweise gemacht, eine Woche lang. Von mir aus wäre ich doch nie auf die Idee gekommen, es war eine reine Gefälligkeit – und das habe ich jetzt davon: ich renne täglich zum Friedhof.
Meine beste Freundin hatte mich gebeten, ein paar Tage lang das Grab ihrer Eltern mit Wasser zu versorgen, wenn es zu trocken würde. Kanne steht hinter dem Grabstein, Zapfstelle ist links vom Eingang, und mach die Kanne nicht zu voll, geh lieber zweimal….
Zwar hatte es Sonntagnachmittag noch geregnet, aber das heißt ja nichts. Am Montag war ich um 9 zur Stelle, und das nicht allein. An der Zapfstelle traf ich schon auf Christel und Doro, zwei Schulkameradinnen und Sepp,
einen in den Wirren der Nachkriegszeit hier verbliebenen heute 94jährigen Bayern. Bald waren wir im Gespräch miteinander, tauschten uns aus über Wetter und Unkraut, über Politik und Blumendünger, über Frühstücksquark und Pflanzschalen. Es war noch nicht 10, als ich mit der natürlich vollen und natürlich viel zu schweren Kanne nach kurzem Suchen das richtige Grab wiedergefunden und gewässert hatte.
Sepp, der wassermäßig keine Verpflichtungen hatte, sondern der Kontakte wegen kam, hatte mich begleitet und nahm mich jetzt mit zur Kapelle, vor der drei Bänke zum Verweilen einladen. Die Mädchen hatten inzwischen weitere Schulfreunde getroffen, ein paar Grabnachbarn kamen hinzu und ehe wir uns versahen, schlug es 11 und eine Trauergemeinschaft zog in die Kapelle ein und – ganz ohne Neugierde, rein interessehalber zog die Bankergruppe hinterher. Am Kolumbarium nachher blieb ich so lange dabei, bis das Gebet „für den Nächsten aus unserer Mitte“ gesprochen wurde, dem wollte ich mich nicht aussetzen.
Am Dienstag ging es in gleicher Weise zu, nur kamen noch ein paar auswärts wohnende alte Bekannte hinzu, so dass Doro noch drei Stühle aus der Kapelle dazu stellte. Da die heutige Bestattung einen Protestanten betraf, gingen einige von uns früher nach Hause, der Rest aber hielt wacker mit. Mittwoch wird nicht beerdigt, so konnten wir ungestört dort sitzen und erzählen, genau das Gleiche wie an den Vortagen, leicht variiert.
Donnerstags, als es regnete, entfiel das Gießen, nicht aber das Treffen auf dem Friedhof, es gab doch wieder einiges zu erzählen und fast alle waren da. Freitags hatten die meisten Damen ihren Arzttermin – „Jede Woche Freitag, es sei denn, ich bin krank!“ Sepp erzählte Anzügliches, was die verbliebenen Damen nicht weiter genierte.
Am Samstag nun ging meine Mission zu Ende. Noch mal volle Kanne auf das Familiengrab und nur kurz bei meinen Friedhofsbekannten abgemeldet, denn Samstag ist Wochenmarkt. Fast am Tor begegnet mir Anneliese, rüstige Witwe aus Benrath, die das Elterngrab besucht hatte, gezupft und geharkt, und jetzt mit der gefüllten Kanne unterwegs war. Ihr konnte ich schon vor 60 Jahren keinen Wunsch abschlagen, und so war ich dann für die nächsten zwei Wochen zum Gießen engagiert, für den Fall, dass es zu trocken sein sollte. Ende offen…..

Autor:

Paul Scharrenbroich aus Monheim am Rhein

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