Tumor ist - wenn man trotzdem lacht

Es war ein Dienstagmorgen, als mein Doc der Überbringer einer völlig lebensveränderten Nachricht war. Er versucht es mir schonend beizubringen. "Ein Tumor, gar nicht gut".
Seine Umschreibung für bösartig!

"Es muß jetzt alles sehr schnell gehen, wann können Sie morgen hier sein?"
Morgen? Geht gar nicht, passt nicht in meine Planung, ich muss ja auch erstmal jemanden für die Kinder haben. Tausend Gedanken, tausend Ausreden. Ich mein, der Tumor sitzt da übermorgen auch noch.
Langsam begreife ich, dass ich wohl keine Wahl habe. Achso.
Ja, ich regel das schon.

Ein Tumor, selten, aber bösartig, 600 Menschen erkranken pro Jahr in Deutschland hieran, völlig unerforscht, wie sich in den zahlreichen nachfolgenden Untersuchungen herausstellt.
Da waren mein Mann und ich uns einig, ein nullachtfünfzehn Tumor hätte auch nicht zu mir gepasst. Wenn schon Tumor, dann richtig Tumor. Ein seltener. Klar. Ich war immer schon anders als die anderen.

"Mama, was ist denn ein bösartiger Tumor?"
Ok. Sie hat das Telefonat belauscht.
"Ist er nun bös oder artig? Und was ist ein Tumor?"
Mein Mann schaut mich vorsichtig an.
" Tja" , sag ich, "Tumor ist wenn man trotzdem lacht!"
Und somit war der Familienslogan geboren.

Als es einmal nicht so glatt lief entfluppte mir eine Sch...wortsalve.
"Maaaama! Das darf man aber nicht sagen."
Ok, jetzt war es höchste Zeit die Kinder aufzuklären!
Doch darf man! Muss man sogar manchmal, weil wisst ihr, für manche Momente gibt es kein besseres Wort, welches deine Gefühle besser beschreiben könnte. Nichts tut manchmal so gut wie ein Scheiße, Scheiße, Scheiße.
So erhielt das "unartige" Wort offiziell Einzug in unsere verschworene Gemeinschaft.

Und wir machten noch einen Deal. Mit diesem Tumor! Wir erklärten ihm, dass er stoppen müsse, nicht wachsen und nicht streuen dürfe. Würde ich sterben, würde er schließlich mit mir sterben! Wolle er weiter leben, müsse er mich auch leben lassen!

Die Vorbereitungen liefen, die der Ärzte, des Krankenhauses, des Labors, die der Familie. Die Kinder waren mir das Wichtigste und ich probierte jede Sekunde meiner bevorstehenden Nichtanwesenheit so gut und schön und unbelastend wie möglich für sie zu regeln. Waren sie doch grad mal 4,3 und 2.

Meine ganz eigene persönliche Vorbereitung lief auch noch so nebenher.
Das Haus musste tiptop sein bevor ich es verließ.
Die Wäsche mußte komplett gewaschen und gebügelt sein, damit mein Mann hiermit nicht auch noch belastet war.

Ich mußte shoppen gehen. Ich brauchte Nachthemden oder Schlafanzüge. Sowas besaß ich nicht. Und ich wollte schöne Nachtwäsche, wenn es sowas gibt, also krankenhausgeeignet und schön. Ich brauchte noch eine Hose, in der frau aber nicht zu krank aussieht, also nicht so ein Jogger, aber wohl bequem, der Bauchschnitt würde schließlich ungefähr von Rippenbogen bis Schambein gehen.
Ich brauchte noch wischfeste Wimperntusche und einen Duft, falls ich mit so einer Stinkerin in einem Zimmer liegen mußte.
Meine Freundin unterstützte mich bei der Suche und Auswahl. Sie erklärte mir außerdem ganz beiläufig:"Du ich kannte mal eine, die hatte mit ihrem Stoma mehr One-Night-Stands, als wir alle zusammen."
Stoma? Da hatte ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Auch nicht nachgefragt. Da hätten sie doch was von gesagt. Die Ärzte. Hätten sie doch, oder?
Beruhigend so eine Freundin!

Ich mußte noch zum Frisör. Raspelkurz! Das tat schon weh so innerlich. Aber wenn es eine Chemo hinterher gab? Es sollte ja auch praktisch sein, ich würde die ersten Tage vielleicht nicht aufstehen können, zumindest keine Haare waschen können. Tumor hin Tumor her, was gibt es schlimmeres als fettige Haare und ungepflegt aussehen?
Wenn ich überlebte.

Dann begann eigentlich vieles egal zu werden! Außer der Angst meinen Kindern keine Mutter mehr sein zu können. Sie waren noch so klein. Sie brauchten mich doch noch!
Ein Wechselbad der Gefühle. Hoffung welche sagte: nein, so etwas lässt das Schicksal doch nicht zu. Es lässt doch die Ärzte nicht den Tumor finden, um mich dann zum krönenden Abschluß doch noch abkacken zu lassen.
Angst, diese nackte Angst, die Kinder nicht mehr Aufwachsen zu sehen. Diese Vorstellung war ein nicht zu ertragener Schmerz, ein Schmerz größer als alle gewesenen oder noch folgenden, körperlicher oder seelischer Art.

Im Krankenhaus kommt noch eben schnell, eine halbe Stunde vor OP- Beginn, meine Hypochonderfreundin zu Besuch. Ich konnte sie, bzw. ihre Krankheiten nicht ertragen, nicht jetzt. " Ja, ich bin heilfroh, dass ich deine Schmerzen nicht habe. Ich möchte echt nicht mit dir tauschen. Schad` das sie mich jetzt in den OP fahren und ich nichts für dich tun kann."

Die OP überlebte ich, ich hatte kein Stoma, keine Chemo.
Die ersten Tränen flossen, seit dem besagten Dienstag, als meine Kinder mich im Krankenhaus anriefen, um mir eine gute Nacht zu wünschen.
Ich erzählte ihnen, dass der Tumor sein Wort gehalten habe und er am Ende doch gar nicht so böse gewesen sein kann. Er hatte mich überleben lassen und nach nur einer Metastase in den Lymphknoten aufgehört zu streuen.

Es war ein Tanz auf dem Seil, ich habe mich an der Balancestange der Selbstachtung gekrallt, um nicht in den Abgrund des Selbstmitleids zu fallen. Mit der Kraft des Lebenswillen habe ich mich aufrecht gehalten, unter dem tosenden Applaus der Angst.
Die Kinder mein Sicherheitsnetz, die Sicherheit für das es sich lohnt nie aufzugeben!

Andere Dinge sind wichtig geworden! Wieder andere unwichtig.
Ich habe keine Eile mehr, wozu auch?
Unsere Wäsche darf auch mal liegen bleiben, unser Haus ist lange nicht mehr tiptop!
Ich mag mich endlich, wie ich bin und wie ich aussehe, auch mit riesiger Narbe über dem Bauch und ungeschminkt!
Ich ärgere mich nicht mehr über Hypochonder; ich rate keinem Depressivem mehr sein Leben endlich mal in die Hand zu nehmen; ich konnte sogar schweigen, als neulich eine meiner Freundinnen von ihrer Selbstfindungsgruppenstunde erzählt, in der sie sich vorstellen mußte als Mutter eines kleinen Kindes, an einem bösartigen Tumor erkrankt zu sein.

Ich danke meinem Tumor denn durch ihn bin ich nicht mehr auf der Suche, ich habe eine (ge)meist(erte) Gelassenheit erreicht.

O.V.2010

Autor:

Olga Vierweg aus Düsseldorf

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