Gedanken am Samstag vor dem 1. Adventssonntag

Auf besondere Anfrage noch einmal eingestellt:

Weihnachtszeit „vor der Währung“

Nächsten Montag heißt es in den Medien: Mit dem ersten Adventswochenende zeigte sich der Einzelhandel sehr zufrieden.
Na, das ist ja die Hauptsache. Oder?
In der Zeit der unbegrenzten Konsummöglichkeiten fällt mir zu dieser Jahreszeit immer wieder ein, dass es auch einmal anders war. Ein Musterbeispiel dafür ist der Advent und das Weihnachtsfest vor der Währungsreform. Auch damals wurde gekauft und geschenkt, aber das Geburtstagsfest des Heilands hatte doch noch einen anderen Stellenwert als heute. Damals waren ja noch viele Familien ohne den Mann und Vater, also schon damals gab es alleinerziehende Mütter, damals waren Lebensmittel noch rationiert, wenn es sie denn gab, damals waren die Folgen des Krieges auch im Ortsbild noch allenthalben präsent, und die Wünsche an das Christkind waren entsprechend. Gottseidank war unsere Familie komplett, unser Haus nahezu unversehrt geblieben und durch Opas Fleiß im Garten und im Hühnerhof, Mutters unermüdlichen Einsatz am Einweck-Kessel, sowie Vaters Organisationstalent war auch die Ernährungslage einigermaßen erträglich.
In Elternhaus, Schule und sonntäglicher Christenlehre wurde uns die Bedeutung von Advent und Weihnachten vermittelt, aus dem Volksempfänger dudelte nicht schon im November Bach und Bing Crosby.
Mit großem Einsatz wurden im Advent kleine Geschenke beschafft, die Auswahl war zeitgemäß und die Wünsche orientierten sich an den Möglichkeiten. Zum florierenden Schwarzmarkt hatten ja nur Menschen Zugang, die etwas mitbrachten, und da waren wir wie viele außen vor.
Es galt zu basteln, zu tauschen oder Gebrauchtes aufzuhübschen und - wenn nötig – instand zu setzen. Familien ohne großes handwerkliches Geschick waren angewiesen auf die guten Dienste anderer, zum Beispiel der Herr Fischer am alten Markt reparierte, sägte. malte und leimte vieles, was Kinderaugen leuchten ließ.
In diesem Jahr warteten wir vergebens auf den Nikolaus. Viel später erfuhr ich, dass sie einen Koblenzer Bauunternehmer geheiratet hatte. Äpfel und Nüsse kamen dennoch über Nacht bei uns an.
Für uns Kinder war die Adventszeit auch eine Zeit voller Wunder und Geheimnisse. Wenn überm Rhein die Abendsonne den Himmel rotgolden färbte, war das Christkind beim Plätzchenbacken, wenn beim Gärtner Holthausen oder beim Kohlenhändler die Christbäume standen, warteten sie auf Abholung durch das Christkind. Wenn das „gute Zimmer“, sonst im Jahr kaum genutzt, plötzlich gelüftet, geputzt und gebohnert und der „Jresstroch“ gefüllt wurde, dann aber der Schlüssel abgezogen wurde, trieb dort das Christkind Festvorbereitungen.
Immer das Christkind! Bei uns gab's keinen Weihnachtsmann, und der unsägliche Coca-Cola-Santa-Claus ging uns noch nicht ständig auf den Geist.
Weihnachtsfeiern in Betrieben und Vereinen und Gaststätten hatten – wenn es sie denn überhaupt gab – keine sonderliche Bedeutung, Weihnachten war ein Familienfest.
In der Notkirche, der Turnhalle der Volksschule an der Lottenstraße, war ein großer Adventskranz an einem Stativ aufgehängt, und in der Woche vor Weihnachten wurde die Krippe aufgebaut. Kirchenchor und Kinderchor bekamen im Probelokal Rüphan den letzten Schliff für die Festgottesdienste und die Beichtstühle waren gut besucht, wobei dem Kaplan Schulchen ein „Auswärtiger“, ein Ordensgeistlicher zur Seite stand.
Mit Opa gingen wir zur Birkenhecke, um bei der Ziegelei Hanke vom Holzplatz Rindenschwarten zu holen, damit ein schönes Krippchen errichtet werden konnte. Und Vater trug aus dem früheren Luftschutzkeller einen Tisch ins Weihnachtszimmer, der Krippenbau begann.
Endlich war Heilig Abend. Und endlich – passierte nichts. Zu uns kam das Christkind grundsätzlich „wohl zu der halben Nacht“. So saß die Familie am Heiligen Abend, wie an jedem Abend beim Abendessen, weit entfernt von besonderen Spezialitäten oder Delikatessen, wenn man einmal absieht von selbstgemachter Leberwurst ohne Leber und ohne Fleisch. (Rezept auf Anfrage) Sah aus wie Kitt oder „Stoppfärv“ und schmeckte – na ja, nach Majoran.
Während der Mahlzeit tauchten dann schon die Nachbarkinder auf, um mit ihren Geschenken zu prahlen. Neue Kleidchen, zumindest das Oberteil war neu, frisch dekorierte Vorkriegspüppchen, Springseilchen und ähnliche Errungenschaften erzeugten neben Neid auch gespannte Erwartung auf die Bescherung.
Nach dem Abendessen wurden die beiden Jungen zeitig zu Bett geschickt, denn um Viertel vor Fünf begann die Krippenfeier in der Kirche.
Mutter hingegen packte noch die Nähmaschine aus um letzte Teile zu frickeln, während im Backofen noch die letzten Berliner Brote dampften.
Die selbstgefertigten Plätzchen, meist Spritzgebäck, Spekulatius und eben Berliner Brot waren wegen der Qualität - zum Beispiel des Mehls – farblich, geschmacklich und von der Haltbarkeit nichts für Feinschmecker, das graue Mehl führte dazu, dass das Gebäck grau und hart wurde, aber besser als nichts war es allemal. Auf den bunten Tellern fand sich in diesem Jahr außerdem eine Menge von mildtätigen Amerikanern per CARE gelieferte Blockschokolade, ein wirklich himmlischer Genuss im Vergleich zur vor Ort angebotenen Schokolade. Dazu kamen gelbe Boskop-Äpfel und Haselnüsse, und Walnüsse, die der Bruder im Garten des Pastors heimlich geerntet hatte. Als besondere Leckerei gab es dazu ein paar Dreiecke Schmierkäse. Trapmanns boten zu der Zeit als einzige Südfrucht „Kapusta“ an, „musse Kumpa mitabringe..“
Ab 5 Uhr früh wurde in der Notkirche durchgehend zelebriert: das Hirtenamt oder Christmette, danach 3 stille Messen ohne Pausen, halb Acht dann das Engelamt. Viertel vor 9 Kindermesse und 10 Uhr Hochamt, Um halb 3 Vesper, 5 Uhr Weihnachtsandacht und danach Komplet. Es war ein Angebot an Gottesdiensten, das auch sehr gut angenommen wurde. Während der Christmette hatten etliche Besucher aufgrund des ungewohnt reichhaltigen Abendessens und des traditionell bis zur Vernebelung verbrannten Weihrauchs Probleme und mussten hinaus geführt oder gar getragen werden.
Unsere Familie verließ während der stillen Messen die Kirche und wir freuten uns auf die Bescherung.
Im Nachhinein ist es doch sehr erstaunlich, mit welcher Hingabe unsere Eltern uns in diesen Zeiten verwöhnt und beschenkt haben, und welche Quellen dafür angezapft wurden. So gab es eine Schreibmaschine aus den frühen Zwanziger Jahren, bei der die Lettern mit einem Zeiger auf einem Tableau angepeilt wurden und der Druck dann mit einer entsprechenden Taste erfolgte. Unsere Mutter hatte das etwa 10 Kilo schwere Teil von Solingen per Bahn herangeschleppt.
Da gab es ein Grammophon mit Trichter, dessen Laufwerk per Kurbel aufgezogen wurde und zwei dazu gehörende Schellackplatten. Aussicht auf weitere Platten bestand zunächst nicht, aber die vorhandenen waren uns schon genug. Auf der ersten dudelte eine Blaskapelle „Die Schmiede im Walde“ und – nach Betätigen der Kurbel – auf der Rückseite „Die Mühle im Schwarzwald“. Wir hingen mit den Ohren fast im Trichter-Lautsprecher. Der Clou aber war die zweite Platte, die leider einen Sprung hatte, Sie hieß „Verlobung unterm Weihnachtsbaum“. Erst sang man O du fröhliche, dann sagte ein Berliner: „Hab ick euch nich en scheenen Baum aufjebaut, wat?“ Das war alles, denn an dieser Stelle hakte die Nadel am Sprung in der Platte, und fortan hieß es nur noch: „..jebaut, wat…jebaut, wat..jebaut, wat“ Man soll nicht glauben, wie wenig es braucht, um eine Familie über einen ganzen Tag lachen zu lassen. Ab dem zweiten Feiertag durfte die Platte nur laufen, wenn Vater weit vom Schuss war.
Dazu gab es dann noch Bücher, die auch bessere Tage gesehen hatten, Schafswolle-Socken und Fausthandschuhe und ähnliche Dinge.
Der zweite Feiertag war dann Tag der offenen Tür: Traditionell kamen Verwandte und Freunde der Großeltern zum „Kreppsche lure“, zum Nachmittagskaffee, (die Bohnen dazu brachten sie mit) und zum Abendimbiss, beiläufig zwölf Personen verliefen sich auf 15 Quadratmeter Wohnzimmer, und „der Baum wurde angemacht“ und alle bekannten Strophen aller bekannten Weihnachtslieder wurden gemeinsam gesungen. Nach dem Abendessen wurden wir Kinder ins Bett komplimentiert, während im Wohnzimmer der Knolli-Brandy, der Selbstgebrannte auf den Tisch kam. Auf die Weihnachtslieder folgten Volkslieder, ein wenig Brauchtum kam hinzu und die Leute hatten eine Riesenfreude miteinander.
Gerade jetzt wieder erinnere ich mich an Weihnachten 1947, ohne all den Zinnober der heute zum Fest gehört, aber mit ehrlicher Freude an den kirchlichen und privaten Festlichkeiten, und mit Geschenken, bei denen es nicht auf den Preis, sondern auf den Wert ankam.

Autor:

Paul Scharrenbroich aus Monheim am Rhein

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