Zickezacke, zickezacke, Cure, Cure, Cure

Interlaken 1986. Sechs Wochen Praktikum bei Familie Ritter im Hotel Beau Site. Und nach Dienst lange Nächte in irgendwelchen Absteigen. Der DJ legt nur für mich auf. Er sieht aus wie Robert Smith, ist unglaublich cool, hat lange, schwarze Haare und unzählige Piercings. Früher war mehr Lametta, denke ich, während wir uns mit ein paar Bier in Stimmung trinken und dabei dem Treiben zusehen: Eine in die Jahre gekommene Fangemeinde, Leute wie Du und ich. Und auch ein paar Ewiggestrige, die aussehen, als würden sie einen guten Teil ihres Einkommens in Schwarzcolorationen und dunkle Lidstifte investieren.

Das Jahr ist fast rum, bald ist schon wieder Weihnachten, höchste Zeit also, mein Weihnachtsgeschenk vom Vorjahr einzulösen. Im Glanz des Christbaums hatte ich das Foto der Band auf der Konzertkarte betrachtet und mich zunächst gefragt, was ich mit „Tokio Hotel“ am Hut habe. Die Musik, die kurz darauf aus dem CD-Player schepperte, kommt mir jedoch sehr vertraut vor: The Cure – die vertonte Trostlosigkeit ist der Sound, der damals meiner Gemütsverfassung entsprach.

Die Kölner Lanxess-Arena ist ausverkauft. 17.000 Grufties auf einem Haufen, allein um IHN zu hören und er hält es in seiner lethargisch anmutenden Art noch nicht einmal für nötig um guten Abend zu sagen. Muss er auch nicht. Er setzt zum Singen an und es ist klar: Der Abend wird gut!
Die Stimme geht mir durch und durch. Das ist auch schon alles. Ich bin eins mit mir und meinem Innenleben. Introvertiert, so geht es hier ab, das Gegenteil von Party und es ist die andere Seite meines Wesens, die ich noch knapp eine Woche zuvor beim Mallorca Closing ausleben konnte: Zickezacke Zickezacke – hoi, hoi, hoi!

Es ist kaum mehr als ein melancholisches Winseln, der pure Weltschmerz. Aber er ist verpackt in Klänge, die ihn tragbar machen. Es geht. Es geht weiter. Immer weiter. Und so lasse ich mich fast zwei Stunden tragen, auch wenn ich die meisten Lieder nicht kenne.Es funktioniert immer noch, auch wenn ich mittlerweile dreißig Jahre älter bin und es 2016 ist!
Ich will nicht zurück, nie mehr 17 sein. Ich bin dankbar über manche Enttäuschung hinaus erwachsen zu sein und ein gutes Stückweit selbst zu entscheiden: Heute Frust, morgen Party.

Be Happy! Ich kann meinen Ohren kaum trauen. Hat er das jetzt wirklich gesagt? Ja, tatsächlich, er sagt es noch einmal: Be happy! Und die introvertierte Fangemeinde bricht in Jubel aus.
Also wirklich: Sowas hätte es früher nicht gegeben.

Eine weitere Stunde spielt die Band die alten Lieder, bis die Stimmung vollends zu kippen droht. Gerade eben noch bevor die Ausgelassenheit überhand nimmt, werden die Verstärker ausgeschaltet und die Lampen angeknippst. Im Licht lässt sie sich nicht mehr verbergen, die Dismelancholie, und ich muss mich schwer zusammenreißen, um nicht völlig hemmungslos durch den Saal zu brüllen: Zickezacke Zickezacke…

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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