"Du dumme Kuh!"

8Bilder

„Das Projekt „Gewaltfrei Lernen“ – müsste das „MUSS“ an allen Schulen sein…“

„Du alte Ziege.“ „Dumme Kuh.“ „Du mit deinem dicken Hintern.“ Mensch, wo bin ich denn hier gelandet? Beleidigungen zischen wie Giftpfeile von einem Schüler zum anderen. Ihre Gesichter sind verkniffen. Wütend. Alles unter den Augen von Rektorin Hanne Herz-Höhnke, Altendorfer Bodelschwingh-Grundschule. Ach ne, zusätzliche Anstachelung von der 34-jährigen Katrin Machowetz. Dann hebt sie den Arm, zeigt „Stopp!“ Sekundenschnell verwandelt sich die Mimik der Schimpfenden. Kann ein Wort Wunder wirken…

Also, Gewalt an Schulen ist doch nichts Neues. Treten, Schlagen. „Doch beängstigend ist das jetzige Gewaltmaß, bestätigen Katrin Machowtz, Projektleiterin „Gewaltfrei Lernen“ und Hendrick Lüderitz, Trainer. „Die ‚Qualität‘ der Gewalt beginnt sehr früh. Auch in Kindergärten. An Grundschulen werden Kinder wesentlich früher mit schlimmen Sachen bedroht.“

Beispiel? „Da wurde ein Schüler in der vierten Klasse angezischt: Gibt sofort dein Taschengeld. Wenn nicht, kriegst du Ärger mit uns. Darfst es keinem sagen. Sonst schlagen wir dich bunt und blau…“

„Kein Einzelfall“, bestätigt die Schulleiterin. „Der Hauptgrund dieses Projekts – gefördert von der Sparda Bank, ist das Thema Inklusion. Schwierige Kinder, wachsendes Gewaltpotential. Soziales Kompetenztraining ist ein großes Thema an allen Schulen! Auch das Lehrer-Personal muss geschult werden. Kinder, Eltern, Erzieher.“

Wie will man das in den Griff kriegen? „Mit einem bewegungsreichem Konzept zur Förderung des sozialen Lernens. Mit fairen Spielen, Lösungen, neuen Regeln an der Schule. Daraus sollen starke, mutige Kinder wachsen, die sich selbst behaupten – anderen helfen können“, verdeutlicht Machowetz. Vollblutlehrerin Herz-Höhnke hakt nach: „Wichtig ist, das mit einbeziehen der Eltern. Deshalb gab es vorab einen Elternabend. Was ich nie geglaubt hätte, die Hütte war brechend voll.“

Von der Theorie zur Praxis. Tatort ist die Turnhalle. Fünf Tage. Klasse für Klasse. 240 Schüler, 30 Nationalitäten lernen Techniken gegen Gewalt, spüren, erfahren unterschiedlichste Gefühlswelten. Emotionen wie Wut, Freude. Sie dürfen beleidigen, traurig sein. Lernen Mimik. Bei Provokationen simulieren sie flugs eine Elefantenhaut, die sie sich imaginär überstülpen.

Irritiert guckt zunächst die acht-jährige Laurentia, als die Leiterin sie auffordert, ein Schimpfwort ihr entgegen zu schleudern. „Du dumme Kuh“, ruft die Schülerin dann. Machowtz‘ kontert: „Hast du gut gesagt.“ Nach wiederholter Beleidigung setzt die 34-Jährige nach: „Ich wohne doch nicht im Stall!“

Es folgt die Aufforderung , ein böses Wort dem Nachbarn an den Kopf zu werfen. Wie reagiert die auf „du dumme Kuh“? Viktoria, 8, Klasse 3 a, hebt selbstbewusst ihr Haupt. „Ich würde einfach weitergehen, die Beleidigung ignorieren.“ Aissata, 8 Jahre: „Ich setze den Bohrerblick auf, zeigte mit der Hand Stopp.“ „Wenn dein Gegenüber dich aber weiter beschimpft?“ „Stopp! Und – das sage ich der Aufsicht.“ Die Projektleiterin zweifelnd: „Ich glaube dir nicht. Was machst du dann? „Ich gehe zur Aufsicht. Es wird ins Strafbuch vom Lehrer eingetragen.“

Drei Techniken gegen Gewalt stärken den Schülern den Rücken: Bohrerblick. Stopphand. Bärenstimme.

Diese Schüler sind verdammt schnell lernfähig. Auffallend, es herrscht eine ungewöhnliche Stille in der Halle. Pure Konzentration bei zwei Befreiungsgriffen – wenn Kinder festgehalten werden. Den Trick, wie sie sich lösen zeigt die Dipl.-Sportlehrerin in Sekundenschnelle. Und haste nicht geguckt – paarweise werden der Gorilla-Griff, der Siegergriff geprobt. Gepackt! Zack! Frei!

Schluss der Schulungsstunden. Die acht-jährige Viktoria, Klasse 3a, strahlt: „Super, hammermäßig, unschlagbar. Schade, dass die Projekttage so kurz sind. Ich habe viel gelernt. Mit unserer Lehrerin haben wir zum Thema das Buch von dem „Zornickel“ vorher gelesen. Nun habe ich richtig Lust, weiter zu lesen.“
Laurentia, 8, wissend. „Wenn man nun in unserer Schule Schimpfwörter benutzt, wird man in das rote Buch, ein Strafbuch, eingetragen. Das ist ja peinlich. Das möchte bestimmt niemand von uns.“

Eine Mutter lobend: „Das Projekt werde ich auch im Kindergarten vorstellen. Es ist überzeugend, macht viel Sinn.“

Wunsch von Herz-Höhnke: „Dass dieses Projekt zum Standardprogramm an Schulen – auch weiterführenden – sowie Kitas und zur Elternarbeit gehört. Ich bin ich mir, die Schulen hätten gewiss weniger erzieherische Probleme, wenn sie mit einheitlichen und konsequenten Regeln, einer klaren und deutlichen Sprache arbeiten würden. „Gewaltfrei lernen“ gehört mit zur inklusiven Arbeit. Aber auch in anderen Berufsbereichen macht dieses Training Sinn, weil es nachhaltig das soziale Klima verbessert. Somit die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Bildung schafft.“

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

39 folgen diesem Profil

6 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.