MTB zwischen Kampf und Freude – Qualen einer Langdistanz

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Mountainbike-Marathons haben es in sich und verlangen vom engagierten Sportler nicht nur gute Fahrtechnik, sondern vor allem Durchhaltevermögen und den Biss, die eigenen Grenzen zu überwinden. So auch der Erbeskopfmarathon in Thalfang am 13.07.2014, der bekannt ist für seine extrem kräftezehrende Streckenführung. In diesem Jahr bereits zum 13. Mal gefürchtet und gefahren stand er unter dem offiziellen Motto: „Bezwinge den Erbeskopf! Ist er zu stark… bist Du zu schwach!“ Gemäß den Vorstellungen der Rennorganisation, die den Erbeskopfmarathon als sogenanntes “Jedermann-Rennen“ versteht, lockte - in Erwartung der Strapazen - auch in diesem Jahr die Veranstaltung wieder rund 700 ambitionierte Jedermänner auf die Wald- und Forstwege, die Trails und schnellen Pistenabfahrten rund um den mit 819 Meter gemessenen höchsten Berg im Hunsrück. Dem Grundgedanken des Erbeskopfmarathons folgend, ein anspruchsvolles Langstreckenrennen für erwachsene Teilnehmer zu bieten, gaben in verschiedenen Wettkämpfen die Hobby- und Profisportler auf ihren breitbereiften Mountainbikes wieder das Letzte ihrer Kräfte und wurden belohnt mit dem stolzen Wissen um die eigenen Fähigkeiten.
Am Start auf der Königsdisziplin, die Langstrecke von insgesamt 110 km und den qualverheißenden 2950 Höhenmetern war mit weiteren 130 Fahrer Oliver Kahl, Mitglied des Hagener Mountainbikevereins Zee Aylienz e.V. – MTB Hagen, der diese Veranstaltung schlicht als „den organisierten Wahnsinn“ bezeichnet.
Kahl war für die üblicherweise notwendigen Rennvorbereitung bereits am Vortag bei noch gutem Wetter angereist und freute sich auf das kräftezehrende Sägezahnprofil in den Rheinlandpfälzer Wäldern, sollte jedoch bereits in den frühen Morgenstunden des Veranstaltungstages durch heftigste Regengüsse desillusioniert werden.
Mit Startschuss um 9:00 Uhr rollte das Fahrerfeld an, zunächst über ein bisschen Asphalt, dann zügig zwischen Felder und auf Waldautobahnen. Das Rennen war bestimmt von durchnässten Wiesen und riesigen Schlammlöchern, so dass das Material total verdreckte. In Folge ergaben sich für den Hagener schon frühzeitig heftige Probleme mit Kette und Schaltung. An der ersten harten Steigung war ein Schalten auf das kleine Kettenblatt schon nicht mehr möglich und unter großem Kraftaufwand musste er den Anstieg in den mittleren Gängen fahren.
Dennoch gelang es ihm, auf eine Vierergruppe mit einer ihm bekannten Radfahrerin aufzuschließen, mit der er im Verlauf des Rennens einige Kilometer gemeinsam bestreiten sollte. Auf Langdistanzen ist es anders als auf den kürzeren Strecken. Da fährt man immer wieder an jemanden ran, überholt, wird später selber wieder überholt und dies über Stunden im regelmäßigem Wechsel. Das ist sehr kontraproduktiv für die eigene Motivation. Ein Austausch mit bekannten Fahrern hilft dieses Tief zu überwinden. Sich auf der Strecke treffen, gemeinsam einige Kilometer meistern, sich gegenseitig ziehen und unterstützen, motivieren und zum Durchhalten pushen, abschnittsweise zurückfallen und sich verlieren, dann aber irgendwo auf der Piste oder an den Verpflegungsstationen wiederfinden und erneut gemeinsam ein Stück Weg bestreiten ist auf solchen Langstrecken sehr hilfreich für das eigene Durchhaltevermögen.
Der Hagener Aylien nahm an der ersten Verpflegungsstelle die Möglichkeit wahr, dank eines von der Dorffeuerwehr aufgestellten Hydranten seine Kette wieder frei zu spritzen und nachzuölen, so dass alle Gänge wieder frei schaltbar waren. Dies sollte im weiteren Verlauf des Rennens erneut erforderlich werden. Auch weiterhin nahm er jeden Versorgungsposten wahr, um mindestens 1 Flasche Wasser aufzufüllen und ein mitgeführtes Gel zu sich nehmen. Besonders zu schätzen wusste Kahl den Support einer Helferin vom Veranstalterteam, die so freundlich war, sein Carepaket mit eigener Verpflegung und frischen Handschuhen an einen weit auf der Strecke liegenden Verpflegungspunkt mitzunehmen und ihm dort zu reichen.
Als sich die Streckenabschnitte der Lang-, Mittel- und Kurzdistanz kurzzeitig überschnitten und plötzlich sehr viele Marathonis auf der Piste waren, nutzte Kahl die Gelegenheit, eine Weile am Hinterrad eines überholenden und noch unglaublich frisch wirkenden Kurzdistanzlers dran zu bleiben. Ein paar Kilometer später dann wieder Streckenteilung, Mittel- u. Kurzdistanz rechts ab, Langdistanz geradeaus in einen Singletrail hinein. Anschließend ging es zum gefürchteten Erbeskopf, der höchsten Stelle hinauf. Kurz vor dem Scheitelpunkt waren Radfahrer zu sichten, denen es offensichtlich schon Mühe machte, vor Anstrengung nicht umzufallen. Es folgtne erneut Schotterpisten, vorbei an verrosteten Kunst-Skulpturen, ein Stück einen Skilift hinauf, dann die Skihang-Abfahrt, bei der Kahl im Vorjahr einen folgenschweren Sturz erlitten hatte, die er in diesem Jahr aber souverän fahren konnte. Schnelle Bergstücke, Pfützen und Schlammlöcher wechselten mit Wurzeltrails, engen Kurven und extrem steilen Aufwärts-Passagen, an denen zum Teil nur schieben, tragen und rutschen, alles kurz vor dem Absturz möglich war. An einigen Teilstücken stand Hilfspersonal, um vorsichtshalber vor den kommenden Abschnitten zu warnen, die in ihrer Schwierigkeit nahezu an Worldcup-Niveau grenzten. Verwirrende Teilstücke, bei denen Richtungspfeile übersehen wurden und durch vorausfahrende Teilnehmer Spuren im Gras nicht erkannt werden konnten, plötzlich auch keine Streckenposten mehr vorhanden waren, verunsicherten den mittlerweile am Ende seiner Kräfte angelangten Fahrer des Zee Aylienz e.V. – MTB Hagen. Plötzlich ein Schild „Ziel“, das ein Ende der Tortour ankündigte.
Nach 114,6 Kilometern, 2810 Höhenmetern, 6807 verbrannten Kalorien , 9 Flaschen Wasser, 580g Gel, 3 Riegeln und ein paar Salzbretzeln finishte Oliver Kahl nach 8:44 h den bisher längsten und anstrengendsten Wettkampf seiner zahlreichen Mountainbikerennen und blieb damit ganz klar in den Vorgaben des Veranstalters, der wegen des anstehenden Fußball-WM-Spieles das Rennende auf 18:00 Uhr festgelegt hatte.
(Weitere Informationen zum Verein Zee Aylienz e. V. – MTB Hagen finden sich auf der homepage unter: www.mtb-hagen.de)

Autor:

Andrea Weber aus Hagen

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