Bericht aus Berlin

Am letzten Freitag geschah es. In aller Stille verabschiedeten Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit ein Gesetz, das heute in Kraft tritt. Normalerweise suchen unsere Politiker die Öffentlichkeit. Jetzt aber sollte die Öffentlichkeit nichts erfahren. In der Hoffnung, dass die Presse und das Fernsehen nicht darüber berichten, geschah dies deshalb vor Ostern. Warum? Um welches Gesetz handelt es sich, das so heimlich oder unheimlich beschlossen wurde? Aus wohl informierten Kreisen erfuhr ich davon. Das Gesetz heißt „Bundesgesetz zur Reform der deutschen Schriftsprache“, abgekürzt „BGRdSch“. Die Rechtschreibreform wurde Bundesgesetz. Was bedeutet dies für den Bürger?
Artikel 31 Grundgesetz heißt „Bundesrecht bricht Landesrecht.“ Auf unser Gesetz bezogen, bedeutet dies, dass die Bundesländer die neue Rechtschreibreform übernehmen müssen. Widerstand von Seiten der Bevölkerung z. B. durch Bürgerinitiativen, hat dann keinen Erfolg.
Schauen wir uns dieses Gesetz einmal genauer an, so lautet § 1: „Wer schriftlich verfasste deutsche Sätze, Wortgruppen oder Wörter und Fremdwörter, die in den deutschen Sprachschatz übergegangen sind, in geschriebener, gedruckter, graphisch gestalteter oder elektronisch erstellter Form öffentlich in Verkehr bringt, haftet für deren Richtigkeit hinsichtlich Orthographie und Interpunktion. Zuwiderhandlungen werden als Ordnungswidrigkeit geahndet oder unter Strafe gestellt.“ Gemeint ist hierbei jeglicher Verstoß im Geschriebenen, also falsche Fälle, nicht geschriebener Dativ, vergessene Endungen usw. Auf Deutsch heißt das: „Wer etwas falsch Geschriebenes vertreibt, wird belangt“. Und wie es sich gehört, gibt es auch einen Katalog von Maßnahmen im Falle von Gesetzesverstößen. Bei Schülern der Primarstufe, also Grundschülern, fängt es mit Ermahnungen an und hört beim In-der-Ecke-Stehen auf, wobei der Schüler den falsch geschriebenen Text umgehängt bekommt. Schüler der Sekundarstufe I zahlen Bußgelder, die die Lehrer an das örtliche Finanzamt abführen. Falsche Anwendungen der Zeichensetzung in Klassenarbeiten sind da noch recht preiswert. Mit 5 € pro Fehler kommt man davon. Rechtschreibfehler werden mit 10 € geahndet und grammatikalische Fehler kosten bereits 20 €. Ab der Sekundarstufe II bei Abschlussprüfungen greift die volle Schärfe des Gesetzes. Die Schüler werden wie Erwachsene bestraft: Ein „mangelhaft“ in einem Abituraufsatz kann dann eine Geldstrafe von 500 € bedeuten. Noch schlimmer trifft es Beamte, die Fehler in Amtsformularen machen: Da sie staatliche Hoheitsträger sind, fallen die Strafen viel empfindlicher aus und beginnen bei 1000 €.
Neben der neuen Geldquelle des Staates, schafft das Gesetz auch neue Arbeitsplätze. So werden Rechtschreibwachtmeister und Rechtschreibinspektoren ausgebildet und eingestellt. Die Karriereleiter reicht über Rechtschreibkommissare, Rechtschreibräte bis hin zu Rechtschreibdirektoren. Eine große Einnahmequelle erhofft sich der Staat durch mobil eingesetzte Rechtschreibwachtmeister und Rechtschreibinspektoren. Die Fehler, die man an Geschäften in den Fußgängerzonen sieht, werden mit hohen Bußgeldern belegt, da sie im öffentlichen Raum stehen. Hierzu zählt z. B. der Satz „Verkaufe Handy’s aller Fabrikate“. Dieser denglische Ausdruck „Handy“ ist überflüssig; man kann mit ihm auch nichts in den USA oder Großbritannien anfangen. Aus diesem Grund sind solche Wörter künftig verboten. Zudem ist in dem genannten Wort der Plural, d. h. die Mehrzahl, gemeint. Daher ist das Apostroph falsch. In minder schweren Fällen beträgt die Geldstrafe 2000 €. Falls der Fehler auf Leuchtreklame erscheint, erhöht sich die Strafe auf bis zu 10000 €. Wiederholungsfehler, z. B. an mehreren Filialen, werden mehrfach bestraft.
Einige bayerische Politiker wollten das Gesetz noch verschärfen und Ausländer bei wiederholt schweren Verstößen gegen das Gesetz abschieben. Sie kamen aber davon ab, da man Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof befürchtet. Außerdem sind viele bayerische Bürger und auch Abgeordnete selbst der korrekten deutschen Sprache nicht mächtig.
Kurz und gut, das Gesetz ist seit heute in Kraft. Seien wir also bei der Verbreitung geschriebener Texte vorsichtig, der Staat liest mit und kassiert.

Autor:

Ewald Zmarsly aus Recklinghausen

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