Atempause ...

Der 22-jährige Omar Alebrahin flüchtete mit seinem 9-jährigen Neffen Yousef aus dem zerstörten Homs in Syrien und sorgt für ihn.
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In der Regenbogenschule bleiben Flüchtlinge, bis sie registriert sind. Dann geht es weiter.

Im Sommer gab es mal Beschwerden. Da war es laut auf dem Gelände der Regenbogenschule und die Anwohner fühlten sich gestört. Nicht vom Kinderlärm. Von den Flüchtlingen, die es aus der Sommerhitze des Gebäudes nach draußen gezogen hatte. Mittlerweile beklagt sich niemand mehr. Die Flüchtlinge heißen Gäste und werden von den meisten Hohenlimburgern als solche angesehen, die bald wieder gehen und von denen man dennoch gern wüsste, wer sie sind. Grund genug, sie einmal zu besuchen.

Es ist ruhig in der Wilhelmstraße so kurz nach Weihnachten. Eine junge Frau putzt ihren Wagen vor einer Garage. Autos fahren vorbei, ohne dass die Fahrer auch nur einen Blick auf das flache grün-orange Gebäude mit den blauen Fensterrahmen und dem Regenbogen über der Eingangstür werfen. Auf dem Schulhof sitzt eine junge Frau und schiebt einen Kinderwagen hin und her. Um sie herum tobt fröhlich ein etwa zweijähriges Mädchen. Normalität in einer Straße, in der sich eine Notunterkunft für Flüchtlinge befindet.

Das Wohnheim

Im Februar letzten Jahres war aus der stillgelegten Grundschule quasi über Nacht eine Landeseinrichtung für Flüchtlinge geworden, die aus dem Erstaufnahmelager Dortmund hierher kamen, um sich registrieren zu lassen. Eine Durchgangsstation auf dem Weg in deutsches Asyl und eine begrenzte oder unbegrenzte Zukunft ohne Bomben, Zerstörung und Fluchthetze. Eine Atempause.

Diejenigen aus Syrien, dem Kosovo, Albanien, dem Iran und Irak, die in Hagens äußersten Osten kamen, hatten Glück. Die Regenbogenschule ist klein, fast wohnlich mit den acht Klassenräumen, in denen jeweils zwischen 24 und 36 Menschen für eine kurze Zeit wohnen. Denn die Verweilzeit liegt hier zwischen ein paar Tagen und wenigen Monaten. Klar, Frauen und Männer wohnen getrennt voneinander, demzufolge auch Familien. Das aber nur zum Schlafen. In der Turnhalle können sie gemeinsam essen, sich auf dem Gelände gemeinsam aufhalten oder gemeinsam in die Stadt gehen. Es gibt hier alles, was den Aufenthalt einigermaßen erträglich macht: einen extra Sanitätsraum für Untersuchungen und Medikamentanausgabe, Sanitäranlagen, Duschen in der ehemaligen Turnhalle, draußen einen Sportplatz und Platz im Garten. In anderen derartigen Landeseinrichtung dient die Turnhalle gleichzeitig als Schlafplatz, Esszimmer, Aufenthaltsraum. In Hohenlimburg gibt es auch ein „Kinderzimmer“. Drei Mal in der Woche erteilen Lehrer hier ehrenamtlich Deutschunterricht, Betreuer spielen mit den Gastkindern spielen. Hier wohnen Menschen, die festgestellt haben, dass eine Notunterkunft für Flüchtlinge gar nicht so schlimm ist, wie man es aus den Medien erfährt. Sie klopfen schnell mal an die Tür der Regenbogenschule und bringen den Kindern Schokolade, sie pflücken Wunschzettel der Flüchtlingskinder vom Wunschbaum, um Geschenke zu kaufen. Und es gibt zahlreiche Hohenlimburger, die solche Aktionen initiieren, wie Willi Strüwer und seine Mitstreiter von der CDU-Ortsunion.

So erlebt es der 26-jährige Nils Pottreck, der seit Februar in der Einrichtung hilft. Anfangs ehrenamtlich über das DRK, jetzt in der Leitung der Einrichtung.

Die Helfer

„Ich hatte zuvor nie mit Flüchtlingen zu tun“, erzählt er. Und so kam er damals, im Februar auch mit gemischten Gefühlen in das Haus. Wie geht man mit Menschen um, die einen anderen Glauben haben? Wie werden die Fremden auf die Einheimischen reagieren. „Ich habe schnell festgestellt, wie dankbar die meisten Gäste sind. Nicht alle, klar, aber es gibt überall Menschen, die an allem etwas auszusetzen haben und nur Forderungen stellen. Ich habe festgestellt, dass wir alle gleich sind. Inzwischen gehe ich auf unsere Gäste zu, wie ich auch auf jeden anderen zugehe, der kein Flüchtling ist.“
Pottreck half, Ordnung zu halten, erledigte Hausmeisterarbeiten, teilte Essen aus, holte Medikamente oder kaufte ein. „Es ist gut, dass jetzt alles organisiert und nicht mehr ehrenamtlich läuft. Anders kann eine solche Einrichtung nicht professionell geführt werden.“ Außerhalb der Einrichtung werde er oft auf seine Arbeit angesprochen, auch mit Vorurteilen konfrontiert. „Ich nehme das gelassen, denn es ist hier ganz anders, als alle denken.“

Die Bewohner

Von den 200 Gästen, die noch vor Weihnachten in der Regenbogenschule untergebracht waren, sind noch 37 Männer, Frauen und Kinder da. Sie begegnen den Besuchern mit zurückhaltender Neugier. Mit dem Personal unterhalten sie sich freundschaftlich, beinahe familiär. Welche Lebensgeschichten könnte man hier wohl hören?
Ali, der Mann vom Sicherheitsdienst, der in Gelsenkirchen lebt und oft als Dolmetscher hilft, weiß, dass Flucht auch in den Gesprächen der Flüchtlinge untereinander kaum thematisiert wird. Es gehe mehr um die Zukunft.

Bassel Al Baazakli, der Kaufmann aus Damaskus, hat keine Probleme, von sich und seinem Leben in Syrien zu erzählen. „In Damaskus hatte ich zwei Geschäfte und ein Haus. 2012 wurde alles zerstört. Die arabischen Länder wollten uns Syrer nicht, so kamen wir über die Türkei, Griechenland, Slowenien und Österreich nach Deutschland. Ich bin froh, dass ich mit meiner Frau und meinen beiden Söhnen jetzt hier bin. Meine Heimat liegt weit hinter mir. Ich bekomme nur Kopfschmerzen von den Nachrichten aus Syrien, deshalb will ich sie nicht hören. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Als wir aus Damaskus flohen, war mir klar, dass ich nicht mehr zurückgehen werde. Hier haben meine Kinder eine bessere Zukunft. und dafür will ich was tun.“

Auch der 22-jährige Omar Alebrahin sieht seine und vor allem eine Chance für seinen 9-jährigen Neffen Yousef in Deutschland. Zunächst war Omars Familie, zu der auch seine Frau, sein Sohn, die Eltern und seine Brüder gehören, aus der zerstörten syrischen Stadt Homs in den Libanon geflüchtet, nachdem zwei von Omars Brüdern getötet worden waren. Im Libanon hat Omar gearbeitet, um den Unterhalt für die Familie zu verdienen. Als der Zustand auch im Libanon unerträglich wurde, fasste die Familie den Entschluss, alles Geld aufzuwenden, damit wenigstens Omar und Yousef nach Deutschland gehen konnten, wo in Hessen ein Cousin lebt. Auch wenn Yousef jetzt noch oft weint, wenn er an seine Eltern denkt, war das die beste Entscheidung, ist Omar sicher. Auf die Frage, was er sich für das neue Jahr wünscht, sagt Omar: „Ich habe meinen Sohn verlassen, als er 15 Tage alt war. Ich möchte wieder mit meiner Familie zusammenkommen und mit ihr in Freiheit leben. Aber vorher muss ich hier so schnell wie möglich Arbeit finden und Geld verdienen, damit ich meine Familie unterstützen kann. Und Yousef soll in die schule gehen, damit er lernen kann.“ Per Internet steht Omar mit seiner Familie jederzeit in Kontakt.

Dolmetscher Ali mag Omar und Yousef sehr. "Der Kleine ist so pfiffig ...! Wenn ich mich mit ihm unterhalte, scheint er viel älter als er ist, viel reifer", schwärmt er. „Es ist, als würde ich mich mit einem jungen Mann unterhalten, obwohl er sich gerade erst über ein ferngeteuertes Auto gefreut hat, das er zu Weihnachten durch die Spendenaktion geschenkt bekam. Ich weiß auch, dass Yousef oft weinen muss. Und der junge Omar ...! Ich bewundere ihn für seinen Mut. Als ich 1981 mit meinen Eltern aus dem Libanon flüchtete, haben wir uns einfach ins Flugzeug gesetzt und sind nach Berlin geflogen.“

Autor:

Silvia Dammer aus Hagen

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