Von der Schulbank in die Psychiatrie: „Ins Arbeitsleben schnuppern“

2. „Kollege“ Benjamin Kulessa freut sich über die tatkräftige Unterstützung. Foto: LWL/Seifert
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Helena Bonnekamp absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in der LWL-Haardklinik

Haltern/Marl. Montagmorgen sieben Uhr. Viele ihrer Freundinnen drehen sich jetzt gerade noch einmal im Bett um. Schließlich haben sie das Abi in der Tasche und bis zum Studien- oder Ausbildungsbeginn ist noch Zeit. Nicht so bei Helena Bonnekamp. Die 19-Jährige steuert zu früher Stunde auf dem Flur von Station 2c der LWL-Haardklinik bereits eine Zimmertür nach der anderen an. Sie hilft einer Kollegin, die jungen Patienten zu wecken.

Der zeitige Arbeitsbeginn macht der jungen Frau nichts aus. Dazu freut sich die Halternerin zu sehr auf ihren Arbeitstag in der Marler Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Auf einer Station für Jugendliche absolviert Helena ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Hier spricht die junge Frau per „Du“ über ihre Erfahrungen als „FSJlerin“.

Wie kam es zu Deiner Entscheidung für ein Freiwilliges Soziales Jahr und warum gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie?
Helena Bonnekamp: Ich war schon immer sozial engagiert und interessiert. Nach dem Abitur wollte ich nicht direkt zur Uni gehen und schon wieder für Klausuren pauken, sondern ein bisschen ins Arbeitsleben schnuppern. Soziales Engagement und Arbeitsleben lassen sich mit einem FSJ hier in der LWL-Haardklinik ideal verbinden. Und da ich ein Studium der Sozialen Arbeit plane, wird mir diese Zeit in der Uni sogar als Praktikumszeit angerechnet.

Welche Erwartungen hast Du mit Deinem Engagement verbunden?
Helena Bonnekamp: Einerseits war ich neugierig zu sehen, wie es in einer Psychiatrie so zugeht, wie hier gearbeitet wird und welche Probleme die jungen Patienten haben. Andererseits wollte ich mich aber auch selbst herausfordern, mich neuen Situation stellen und Verantwortung übernehmen.

Wie sieht Dein Tag auf der Station aus?
Helena Bonnekamp: Ich bin hier kein „Anhängsel“, sondern ein Mitglied des Pflege- und Erziehungsteams und fühle mich auch so behandelt und akzeptiert. Das bedeutet, ich übernehme eigenständig abgesprochene Aufgaben. So begleite ich die Jugendlichen durch ihren Alltag auf der Station, helfe ihnen falls nötig bei lebenspraktischen Tätigkeiten wie dem Bettenmachen, spiele Gesellschaftsspiele mit ihnen, nehme an Ausflügen teil oder bringe sie zu Therapiestunden auf dem Gelände.

Überfordern Dich die (Krankheits-) Geschichten und Verhaltensweisen der Patienten nicht manchmal?
Helena Bonnekamp: Natürlich geht es mir nahe, wenn mir ein junges Mädchen erzählt, dass ihre tiefe Traurigkeit sie davon abhält zur Schule zu gehen. Ich habe Respekt, wenn mir ein intelligenzgeminderter Junge nahe kommt, von dem ich weiß, dass er zu aggressiven Ausbrüchen neigt. Aber ich bin ja niemals alleine, sondern habe stets erfahrene Kollegen aus dem Team an meiner Seite. Und wenn mich eine Situation überfordert, dann ist hier immer jemand, mit dem ich über meine Gefühle sprechen kann und der mir zeigt, wie ich fachlich mit dieser Situation umgehen kann. Außerdem habe ich in der LWL-Haardklinik zu Beginn meiner Dienstzeit ein spezielles Deeskalationstraining absolviert, das mir hilft, mich in schwierigen Situationen richtig zu verhalten und auch körperlich zu schützen. Das gibt mir zusätzlich Sicherheit, nicht nur in der Klinik sondern auch in meinem Alltag.

Hat sich Dein Bild von der Psychiatrie durch Deinen Einsatz verändert?
Helena Bonnekamp: Ich hätte nicht gedacht, dass das Umfeld in einer Psychiatrie so angenehm, wohnlich und wenig „kliniktypisch“ ist. Außerdem bin ich wirklich beeindruckt, wie groß das Angebot an Fachtherapien hier ist und wie viele Möglichkeiten die Patienten haben, ihre Freizeit zu gestalten. Außerdem hätte ich angenommen, dass in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein wesentlich „rauerer Wind weht“, dass es viele Regeln gibt und der Umgangston strenger ist. Aber ich empfinde das Klima hier als sehr freundlich und zugewandt, obwohl meine Kollegen den Patienten klare Grenzen zeigen. Das geht offensichtlich auch in einer ruhigen und respektvollen Weise. Das hat mich sehr beeindruckt.

Kannst Du aus Deiner Zeit in der Psychiatrie auch etwas für dich persönlich mitnehmen?
Helena Bonnekamp: Auf jeden Fall. Ich bin offener geworden, traue mir mehr zu und kann mich besser in andere hineinversetzen. Außerdem bin ich noch motivierter, was mein Studium betrifft. Denn hier erlebe ich täglich, wohin mich mein Arbeitsweg einmal führen kann. Die Teammitglieder aus den verschiedenen Bereichen, wie Pflege- und Erziehung, sozial-, psychologischer-, therapeutischer- oder ärztlicher Dienst haben mir unterschiedliche Berufswege in einen Job in der Psychiatrie geschildert. Das war sehr interessant. Kurz: Ich weiß jetzt wohin die Theorie, die mich auf der Uni erwartet, noch führen kann. Diesen Praxisbezug möchte ich nicht verlieren und deshalb in Zukunft als studentische Hilfskraft in der LWL-Haardklinik arbeiten.

Hintergrund: Die LWL-Klinik Marl-Sinsen verfügt über zwölf Einsatzplätze für „FSJler“. Bewerbungen sind über das Deutsche Rote Kreuz (DRK) oder direkt in der Fachklinik möglich. Die LWL-Haardklinik nimmt Bewerbungen ganzjährig entgegen. Beginn eines FSJ ist in der Regel der 1. August bzw. der 1. September eines Jahres, aber in Ausnahmefällen sind auch andere Regelungen möglich. Der Einsatz wird mit einem sogenannten Taschengeld vergütet. Während der Dauer ihres FSJ werden die Freiwilligen innerhalb der LWL-Haardklinik von einem speziellen Mentor begleitet und zusätzlich von einem Team des DRK Münster betreut. Hier absolvieren die jungen Menschen unter anderem spezielle Seminare zur Vorbereitung auf ihren Dienst. Weitere Infos gibt es auf der Internetseite der LWL-Haardklinik unter: www.lwl-jugendpsychiatrie-marl.de oder im Büro der Personalabteilung, Tel.: 02365/802-2112.

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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