Teil II: PAK-Skandal in Langenbochum: RAG und Kreisumweltamt lassen viele Fragen offen

Am Abend des 24.09.2015 hatten die RAG und der Kreis Recklinghausen zu einer Bürgerinformationsveranstaltung an der Grundwasserreinigungsanlage in Herten-Langenbochum eingeladen. RAG-Vertreter sowie der Ressortleiter der Bodenschutzbehörde des Kreises Recklinghausen wollten aktuelle Informationen über die Problemlage liefern und sich den Anwohnern und deren Fragen stellen. Die Veranstaltung war gut besucht: das eigens aufgestellte Zelt war - zumindest zu Anfang - voll. Was dann jedoch stattfand, war im Wesentlichen eine Präsentation der Faktenlage und ganz viel Tanz um den heißen Brei.

Als Vorwarnung: der folgende Artikel ist etwas länger. Wer sich lediglich für das faktische Ergebnis der Veranstaltung interessiert, dem genügen vermutlich die folgenden Stichpunkte:

- Das Grundwasser im kartierten Bereich in Herten-Langenbochum West (Mühlenviertel) ist PAK-verseucht, war dies schon seit spätestens seit dem 2.Weltkrieg und wird dies für die kommenden Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte auch bleiben.
- Eine Nutzung von Grundwasserbrunnen ist untersagt und niemand kann nach
aktuellem Stand der Dinge für die kommenden Jahrzehnte davon ausgehen,
dass sich daran jemals wieder etwas ändern wird.
- Die RAG unterhält eine Grundwasserreinigungsanlage, die den StatusQuo
aufrecht erhält, eine Komplettsanierung des betroffenen Bereiches ist aber
aus verschiedenen Gründen weder geplant, noch machbar.
- Für gesundheitliche Folgen aus bisheriger Nutzung des verseuchten
Grundwassers wird niemand aufkommen.

Hauptursache für die Grundwasserverseuchung war der Betrieb der ehemaligen Kokerei auf dem Gelände Schlägel- und Eisen, vor allem die Ableitung brennbarer Flüssigkeiten ins Erdreich während der Zeit des zweiten Weltkriegs im Falle von Luftangriffen. Im Rahmen des Eingangsreferates des RAG-Vertreters konnte man in Bezug auf die Verursacherschuld ein wenig den Eindruck gewinnen, die Betroffenen sollten sich diesbezüglich an die Royal Air Force wenden – schließlich hätte die ja keine Bomben abwerfen müssen.

Schon bei den ersten Fragen, weshalb es trotz der Kenntnis um die PAK-Verseuchung des Grundwassers und des Wissens um Messwerte oberhalb der Grenzwerte für lange Jahre eben kein Grundwassernutzungsverbot gegeben habe, merkte man den Offiziellen ihr Unbehagen an. Man habe ja erst in den 1980er Jahren ein Umweltbewusstsein entwickelt. Man könne ja nicht aufgrund einzelner Überhöhungen sofort mit maximalen Maßnahmen reagieren. Man müsse ja beobachten und Schlußfolgerungen ziehen. Am Ende blieb der Vorwurf, man hätte schon viel früher die Schliessung der Brunnen veranlassen müssen, offen im Raum stehen.

Die unangenehmen Fakten:

- seit 2011 wurden an verschiedenen Meßstellen extrem erhöhte PAK-Werte
gemessen. Zudem wurde festgestellt, dass bei den Messungen erhebliche
Fluktuationen der Werte auftraten.
- die Lage der verseuchten Grundwasserfahne und deren Ausdehnung war
bekannt und wurde durch Messungen seit Anfang der 2000er Jahre präzisiert.
- das Wissen um die Gefährlichkeit, die Verweildauer in Mensch, Pflanze und
Boden und das chemische Verhalten von PAKs ist seit langem bekannt.
- schwer abbaubare Substanzen aus der Gruppe der PAK reichern sich bei
fortgesetzter Aufbringung über längere Zeiträume in immer höheren
Potentialen an. Sie können durch Hautkontakt, Einatmen oder über
kontaminierte Pflanzen in den Körper aufgenommen werden und Krebs
erzeugen.

Trotzdem haben RAG und zuständige Behörden jahrelang keine Veranlassung gesehen, die Nutzung des Grundwassers zum Verbrauch zu verbieten. Das äußerten auch etliche der vor allem älteren Anwohner, denen man von offiziellen Stellen bei Beschwerden immer wieder gesagt hatte, das Brunnenwasser eigne sich nicht als Trinkwasser, könne aber als Brauchwasser ruhig genutzt werden. In diesem Zusammenhang wurde es dann einmal ganz leise, als ein Anwohner davon berichtete, man habe jahrzehntelang mit eben diesem Brauchwasser Kinderplantschbecken gefüllt und den Garten gegossen – und in diesen langen Jahren schon vier Krebserkrankungsfälle in der Familie gehabt.

Da jahrelang aus den Brunnen Wasser entnommen und auf das Gartenland aufgebracht wurde, wollte eine Besucherin wissen, ob denn der Kreis Recklinghausen in den Gärten des Mühlenviertels Bodenproben entnommen habe, um diese auf eventuelle Kontaminationen der Bodenoberfläche zu untersuchen. Das wurde von Seiten des Behördensprechers verneint. Außerdem gäbe es keine Gefährdung, da die PAKs ja wieder versickern würden. An dieser Stelle mit der Tatsache konfrontiert, dass gewisse Verbindungsbestandteile bis zu zwei Jahren an der Oberfläche verbleiben können, bis sie versickert seien und das sich durch fortdauernde Bewässerung ein Anreicherungseffekt in den oberen Bodenflächen ergeben könnte, wurde mit recht abenteuerlichen Argumenten abgewiegelt, es gäbe keine Gefährdung – wie aber will man diese Aussage treffen, wenn doch gar keine Beprobung der Böden vorgenommen wurde?

Von Seiten der RAG wurde jedenfalls die derzeitige Grundwasserreinigung als Ultima Ratio präsentiert. So würde z.B. die gültige Subventionsgesetzgebung verbieten, dass man "mehr tun könne, als unbedingt notwendig" - weshalb die Anlage letztlich auch nur dafür sorgt, dass die Schadstoffkonzentration im Grundwasser nicht noch weiter ansteigt. Eine großflächige Sanierung des betroffenen Gebietes sei finanziell nicht zu stemmen. Sie sei auch physisch gar nicht leistbar.

Es gibt, das sei an dieser Stelle angemerkt, natürlich auch noch eine kommunalpolitische Seite der Angelegenheit. So erhielten die Mitglieder des Umweltausschusses des Kreises zu deren nur wenige Wochen zurückliegenden Sitzung, bei der die Brunnenwassernutzungsuntersagung zur Aussprache kam, weit weniger aussagekräftiges Material, als es bei der Bürgerversammlung präsentiert wurde. Weder wurden konkrete Messwerte, noch sonstige Listen über Bohrstellen und Verlaufsprotokolle zur Verfügung gestellt. Zurecht geriet der Leiter der Bodenschutzbehörde von Seiten aller Fraktionen unter Druck, ebenso wie die Informationspolitik der Kreisverwaltung. Oder besser gesagt: die Mangelhaftigkeit der selben.
Mit der Frage konfrontiert, weshalb man die Ausschussmitglieder nicht vorab mit so weitreichenden Informationen hatte versorgen können, reagierte der Behördensprecher nicht mit einer Antwort, sondern mit der spitzen Bemerkung, man habe hier nicht die Politik, sondern die betroffenen Anwohner eingeladen.

Gut – es wurde verständlicherweise von einigen Anwohnern nicht gern gesehen, dass sich Vertreter der lokalen Politik in die Debatte mit einbrachten, aber man muss zu deren Verteidigung hier anfügen, dass auch die Lokalpolitik in dieser Angelegenheit allen weitergehenden Informationen hinterher laufen muss und von der schlechten Informationspolitik der Kreisverwaltung und der RAG mit betroffen ist. Da ist es nur natürlich, dass der eine oder andere auch solche eigentlich nicht für ihn vorgesehenen Veranstaltungen nutzt, um auf den aktuellsten Stand der Debatte und der Informationen zu kommen.

Die Forderungen, die von Seiten vieler Bürger zu hören war, ist im Wesentlichen die selbe Forderung, die von Seiten der Kreis-Umweltausschussmitglieder an die Kreisverwaltung gestellt wurde:

- mehr Transparenz
- zeitnahe Veröffentlichung von aktuellen Daten, ab Besten via Internet
- die Verwaltung steht in der Bringschuld, nicht der betroffene Bürger in der
Holschuld

Letzten Endes bleibt – zumindest bei mir – bezüglich dieser Veranstaltung ein schaler Beigeschmack zurück. Viel wurde geredet, wenig gesagt und noch weniger Antworten auf konkrete Fragen geliefert. Zumindest wissen die Anwohner jetzt mit Sicherheit, dass sie auf einer Giftbombe sitzen, bei der man nur hoffen kann, dass sie nicht an die Oberfläche tritt. Denn – auch das eine Erfahrung einer Anwohnerin: unter unglücklichen Umständen hat man das verseuchte Wasser plötzlich im Keller stehen und dann ist guter Rat teuer.

Autor:

Sascha Köhle aus Herten

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