Das Schauspielhaus liefert mit "Volksverräter!!" eine beunruhigende Bestandsaufnahme der aktuellen politischen Situation in der Bundesrepublik

Der Blick in das rechtsradikale Milieu löst Beklemmungen aus. | Foto: Küster
  • Der Blick in das rechtsradikale Milieu löst Beklemmungen aus.
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In einer der eindrücklichsten Szenen aus Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung „Volksverräter!!“, mit der das Schauspielhaus die neue Spielzeit drei Tage vor der Bundestagswahl eröffnete, demonstriert Raphaela Möst in der Rolle der Kathrine Stockmann, dass die Ideologie derer, die den Übergang vom Rechtspopulismus zum unverhohlenen Rechtsradikalismus mit neonazistischen Zügen längst überschritten haben, schon lange unter uns ist.

Das Stück ist eine raffinierte Überschreibung von Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“. In diesem Drama aus dem Jahre 1882 deckt der aufrechte Badearzt Dr. Thomas Stockmann einen Skandal auf – heute spräche man wohl von einem Verstoß gegen den Verbraucherschutz. Auch wenn sein Kampf für die Wahrheit im Laufe der Zeit in Verachtung der Massen umschlägt, ist er doch ein Streiter für Aufklärung und Transparenz.

Die Wahrheit bleibt auf der Strecke

Auch Schmidt-Rahmers Dr. Thomas Stockmann (Roland Riebeling) ist einem Umweltskandal auf der Spur. Dass er bei der Beschaffung von Beweisen kräftig nachhilft, scheint im Zeitalter des Postfaktischen fast belanglos. „Volksverräter!!“ spielt nämlich in der Jetztzeit, geprägt von Donald Trump und Alice Weidel. Stockmann ist hier kein Aufklärer oder zumindest nicht das, was Linke und Liberale darunter verstehen. Er vertritt einen Rechtsradikalismus mit völkischem Einschlag. Seine Tochter Paula (Eva Hüster) singt nationalistische Lieder zur akustischen Gitarre; Akif Ripincci (Elwin Chalabianlou), Freund der Familie, muss im rechten Milieu als Beweis herhalten, dass Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund das, was die „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Fraktion für die Wahrheit hält, aussprechen dürfen, was anderen verwehrt sei. Dass Ripincci an einen einst (fast) berühmten, heute berüchtigten Autor angelehnt ist, ist dabei offenkundig.

Prall-sinnliche Inszenierung

Es ist die Stärke dieser bei aller Brisanz prall-sinnlichen Inszenierung, dass auch die andere Seite, die des linksliberalen Bildungsbürgertums, sich eine kritische Betrachtung gefallen lassen muss. Dass Bürgermeisterin Petra Stockmann (Veronika Nickl) in der Auseinandersetzung mit ihrem Bruder manchmal etwas willkürlich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen hantiert, mag noch verzeihlich sein. Wenn allerdings ihr Ehemann Kathro (Jürgen Hartmann) in eine Rhetorik verfällt, die nicht nur an Donald Trump, sondern auch gefährlich an Thilo Sarrazin und seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ erinnert, ist das Maß überschritten.
Der Blick in ein im rechten Sumpf versunkenes Milieu und ein streckenweise hilflos agierendes linkes Bürgertum gewinnt nach dem Ausgang der Bundestagswahl zusätzlich an Brisanz. Mit irrwitzigen Choreographien und gewagten Gesangseinlagen vermittelt das homogene Ensemble beunruhigende Einblicke in eine Gesellschaft, die längst auseinandergedriftet ist. - Ein großer Wurf.

Termine
„Volksverräter!!“ ist am Samstag, 30. September, um 19.30 Uhr wieder im Schauspielhaus, Königsallee 15, zu sehen. Bereits um 18.45 Uhr gibt es eine Einführung im Foyer.
weitere Termine: Freitag, 13. Oktober, 19.30 Uhr; Samstag, 28. Oktober, 19.30 Uhr; Mittwoch, 1. November, 19 Uhr (18.15 Uhr: Einführung im Foyer); Sonntag, 12. November, 17 Uhr.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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