Dr. Klassen aus dem Südsudan – Teil 2,3,4+5

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Gestern Abend bin ich hier in Turalei angekommen. Zuerst mit dem Linienflugzeug nach Juba am blauen Nil (nicht Donau!), dort übernachtet und am nächsten Morgen mit einem kleinen Flieger des „World Food Program“ nach Agok in der Provinz Abyei. Der Pilot saß direkt vor mir und ich konnte ihn genau beobachten. Einmal kam eine klare Flüssigkeit durchs Dach, roch aber nicht nach Benzin, wahrscheinlich Wasser. Never ask to much.

Ordnungsgemäß wurde ich von Pfarrer Janosz abgeholt, der mehr als sein halbes Leben in Afrika verbracht hat. Wir schafften es sogar rechtzeitig ins Krankenhaus zu kommen, um die Leute zu begrüßen: den Administrator aus Uganda, Matrone =(Krankenschwesterleitung) aus Eritrea, Anästhesietechniker aus Kenia und ein Kurzzeitchirurg (2 Monate) aus dem Südsudan, der ursprünglich aus Abyei kommt. Pflegedienst gibt es hier nicht, das machen die Angehörigen. Wurde gleich zum nächsten Outreach eingeladen, morgen früh: ein Toyota voll mit Leuten, die in einem Health Center die Leute aus dem Dorf behandeln. Fängt ja gut an.

Wir waren 14 Leute im Auto, Kisten und Stühle oben. Nachdem die Impfungen abgeholt und das Reserverad zur Reparatur abgegeben wurde, ab ins „Veld“. Das ist einfach freies /nicht durchzäuntes Land: man fährt links oder rechts, mal geradeaus, mal richtet man sich nach den Fährten, mal nicht. Einige Sümpfe sollte man umfahren, bei anderen geradeaus durch: Chicago, der Fahrer, Fahrlehrer aus Khartoum, - ich weiß warum er es NICHT mehr ist - fand, dass Slalomfahren mehr Spaß macht, wenn man auf 2 Rädern fährt. Manchmal mussten wir wegen der Rinder anhalten, der Reichtum (oder auch Armut!) jedes Dinka. Dazu gesungen und gelacht, Witze erzählt und sonstigen Krach gemacht oder Musik gehört.

In Ajong war alles vorbereitet, nur die Leute fehlten. Zwei elektrische Handlautsprecher wurden mit lustiger Musik gefüttert, aufgedreht, und nach 10 Minuten waren die ersten da. In 4 Behandlungspfaden (ich liebe das Word, kommt aus der Dschungelsprache) wurden sie behandelt: Status der Ernährung bei Kleinkindern, Impfungen, Pränataldiagnostik und dann noch der Clinical Officer für die allgemeine Sprechstunde. „White man magic“ wollte ich nicht anwenden. Ein Knie habe ich punktiert, ein paar unterstützt, Patienten festgehalten, mich mit den Leuten unterhalten; aber die Arbeit wurde von unserem Personal gemacht: etwas oberflächlich und vielleicht auch wenig sinnvoll (viele Patienten gingen mit einem Beutel Paracetamol, Eisen, und irgendwelchen Tropfen nach Hause), aber die Impfungen konnten durchgeführt werden, ein paar wurden für das Zusatzernährungsprogramm herausgefiltert und ein paar wurden ans Krankenhaus verwiesen. Das Organisieren der einzelnen Schlangen, die mühsame und aufwändige Dokumentation der Vorgänge, das detaillierte Aufschreiben der genauen Medikation auf den Beuteln (auch wenn die Patienten Analphabeten sind!), all das lehrt mich immer wieder: Afrika braucht nicht unbedingt Ärzte, es werden Verwalter und Organisatoren benötigt. Freiwillige vor.

Gegen 15 Uhr war Mittag vorbereitet, in einem einheimischen Livingroom. Können Sie sich noch an die Cone-Heads erinnern? Mit den verschiedenen Zahnreihen? So sehen die Dächer aus. Rundhütte, und dann mehrere Schichten Heu stufenförmig nach oben. Sehr geräumig innen, für unsere ganze Truppe. Gab Brotfladen mit Hühnersoße, Ziegensoße und Leber/Nieren/? Geschnetzeltes. Vorher ordentlich die Hände mit Seife gewaschen – einer gießt es für den anderen, Besteck fehlt - gebetet und dann kräftig zugeschlagen. Es bleibt nie etwas übrig.

Es wurden nochmal 45 Minuten angesetzt, dann das Unternehmen abgebrochen. Die lokale Apotheke hatte nur leere Regale – kenne ich von irgendwoher – und jetzt waren auch die mitgebrachten Medikamente alle. Also alles wieder einpacken, einsteigen und zurückfahren. Die Stimmung war bombig. Ca. 350 Leute waren gesehen worden, etwa 100 weggeschickt. Zweimal im Monat wird das gemacht, und es gibt 4 oder 5 Stellen, die man besucht. Es erinnert mich an meine Studentenzeit, vor 30 Jahren in Paraguay, als wir mit der dortigen Studentenmission das gleiche gemacht haben. Ein paar Leuten haben wir sicherlich damit geholfen. Und wir waren da.

LG aus Turalei, Südsudan

Dr. Alfred Klassen

Visite

Es ist Montagmorgen und Zeit für die allgemeine Visite. Chef gibt es hier nicht. Der Clinical Officer ist schon in der Sprechstunde (falsches Wort; vielleicht Sprechtag?, es warten etwa 250 bis 300 Patienten). Jedes Zimmer wird von einer RN (Registered Nurse) vorgestellt, am besten kennt sich der Anästhesietechniker aus, der schon ein paar Jahre im Haus ist. Er sorgt auch dafür, dass die Blätter zu den Patienten passen und hat einen Kugelschreiber. Der chirurgische Kollege ist zur Vertretung hier; normalerweise unterrichtet er in Juba Physiologie im Lehrkrankenhaus, aber in den Ferien verdient er sich ein Zubrot. Von Südamerika habe er schon mal gehört, sogar ein Buch von Gabriel Garcia Marquez gelesen, auf Arabisch: Cien años de soledad (Hundert Jahre Einsamkeit).Ich auch, bin damals bis zur Seite 50 gekommen, entsetzlich langweilig das Leben von Sr. Bueno (habe ich ihm aber nicht gesagt).

Die Zimmer sind jeweils für 6 Betten ausgelegt, eines steht meist leer. Das chirurgische Männerzimmer mit einer Peritonitis von vor 3 Tagen, immer noch platt aber ohne Fieber. Zwei mit Durchfall und alle irgendwie Malaria (nur klinisch, nicht getestet; der Labormensch war am Wochenende nicht da oder es fehlten die Reagenzien für die Färbung.)

In der gynäkologischen / Wöchnerinnenabteilung dann die beiden Sectios von gestern, die erste noch schwach aber auf gutem Weg; die zweite von heute Nacht, bei der der zweite Zwilling zu früh gewunken hat, wohlauf. Die drei Babys auch. Morgen werden sie entlassen, bevor sie im Krankenhaus krank werden. Richtiges Konzept. Eine Präeklampsie in der 27. Woche wird ihr Kind wohl verlieren. Zurzeit mit normalen Drücken aber geschwollenem Gesicht und Beinen. Eigentlich gehört sie in ein Mutterhaus, d.h. in der Nähe des Krankenhauses bleibend, so dass schnell gehandelt werden kann. Werde es dem Bischof als nächstes Projekt vorschlagen.

In der Frauenabteilung dann eine terminale Herzinsuffizienz, für die wir nicht mehr viel tun können, zwei Mal Durchfall und eine Pneumonie, und irgendwie auch alle mit Malaria. Im letzten Zimmer dann ein ca. 40jähriger mit einer Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall, ein älterer Herr mit Decubitus, der nicht mehr essen will; dazwischen liegen auch immer wieder Kinder, meist mit Malaria, einige (eigentlich alle) mit einer Mangelernährung.

In der Abteilung für Unterernährte dann wieder die Bleistiftarme und die tiefliegenden Augen gesehen, 5 kg schwer mit 5 Monaten, und einen weiteren, ca. 5jährigen, der wohl einen Starrkrampf überlebt hat aber nun nicht genug essen kann, weil er den Mund nicht mehr aufkriegt und die Sonden nicht hinuntergehen. Er ist am Abend gestorben.

Jedes der Betten hat ein Moskitonetz. Alle Betten haben Matratzen. Alle Zimmer sind gut belüftet, alle Fluchtwege frei, es steht fast nichts rum. Weder Patienten noch Angehörige werden angeschrien, das Personal geht pfleglich miteinander um. Wenn jemand schlucken kann, wird die i.v. Behandlung beendet und der Patient mit oraler Medikation entlassen. Neuer geräumiger OP, sogar glatt verfliest und mit vernünftigem Licht. Der Hof wird draußen von einem Dutzend Angestellten gefegt. Das war die Habenseite.

Das Röntgengerät steht unausgepackt seit 6 Monaten im Röntgenhaus. Es ist eine indische Mobilette - fahrbares Gerät - die Entwicklungsbehälter, Filme und sonstiges Zubehör noch in der Transportkiste. Im Labor fehlen die Färbstoffe, ins besonders für die Malariadiagnostik; und mehr Fachpersonal. Es gibt nicht durchgehend guten Strom, deshalb auch nur ein Kühlschrank für das Labor und eine Fach darin als Blutbank. Generator fällt öfter aus; Sonogerät ist da, keiner kennt sich aus. Ein Wehenschreiber Fehlanzeige. Sicherlich das größte Problem ist, dass viele Medikamente und Verbandsmaterial nicht vorhanden sind (man kann sie manchmal teuer auf dem Markt kaufen), selbst Chinin für die Malariabehandlung. Auch sonst fehlt es immer an diesem und jenem. So unterliegt jede medizinische Entscheidung den wirtschaftlichen und logistischen Zwängen, die man sich in Deutschland oder auch Paraguay gar nicht vorstellen kann. Das Mother Teresa Hospital in Turalei gehört aber eindeutig zu den besseren Krankenhäusern im Südsudan.

Dr. Alfred Klassen

LG aus Turalei, Südsudan

Sonntagsruhe

Es war eine gute Nacht. Zwar mit Vollmond, aber weder eine Moschee in der Nähe noch ein Trupp Esel, die morgens zum Wasserholen animiert werden müssen. Ausschlafen. Ich bin trotzdem um kurz nach 6 wach und genieße die Stille, die Hahnenschreie in der Ferne und ein paar Vögel in den Zweigen. Alles ist friedlich.

Doch dann, kurz nach 7 geht es los. Glockengebimmel, erst eine, dann zwei, dann ein ganzes Glockenspiel. Laut und anhaltend. Ich frage mich, wo denn die Kirche und der Glockenturm über Nacht hergekommen sind. Sie sind es nicht. Pater Janosz war zu lange bei den Moslems und hat einfach einen Lautsprecherturm draußen neben der „Kirche im Grünen“ installiert. Eigentlich sollten es 7 Meter werden, aber der kenianische Schweißer hatte nach 5 Metern keine Lust mehr und ist nach Hause gefahren. Immerhin kann man es ca. 4 km weit hören, Hochleistungslautsprecher. Letzte Weihnachten kamen kurz nach Mitternacht noch ein paar Besucher, die wissen wollten, was denn für ein Spektakel vor ein paar Stunden begonnen hatte. Tja, und mein Bett steht etwa 100 m Luftlinie im Innenhof der Pfarrei.

So langsam gewöhnt man sich an den ungewöhnlichen Krach. Doch jetzt mischen sich andere Laute dazwischen, die ich leider auch kenne. Ich habe sie noch im Ohr, aus dem Krankenhaus in Mosambik, jede Woche ein paar Mal: die gellenden Schreie der Angehörigen, wenn jemand gestorben ist. Selbstverständlich werden zur Beerdigung einige Klageweiber angestellt, damit es einen offiziellen Charakter hat. Aber die ersten Schreie sind echt, die Trauer auch, das Wehklagen. Und der Verlust ist auch echt. Ob es Kinder sind (Kindersterblichkeit ca. 20 % bis zum 5. Lebensjahr), Mütter (ca. 1 % pro Schwangerschaft) oder – wie heute – Erwachsene nach einem Verkehrsunfall, trotz intensivmedizinischer Betreuung in der Hauptstadt.

Aber es ist Sonntagmorgen, und ich will mir darüber nicht weiter den Kopf zerbrechen. Im Esszimmer der Pfarrei weiß ich, wo der Pulverkaffee steht und die Pulvermilch, und natürlich eine große Tasse. Mit einer kleineren gehe ich draußen an das Feuer, wo in einem Topf schon das Wasser köchelt, schöpfe zweimal, rühre ordentlich und genieße mit einer heißen Tasse Kaffee die Sonne, die sich langsam und majestätisch aus den Ästen der Akazien erhebt. Es ist Tag. Sonntag.

Dr. Alfred Klassen

Turalei, Südsudan

Kirche im Grünen

Am Samstagmorgen war ich pflichtgemäß in der Kapelle zur Messe, aber so richtig geräumig sah das da nicht aus. Wenn hier noch ein paar mehr Besucher kommen, dann wird es eng. Vielleicht sollte man über ein Gemeindezentrum nachdenken.

Aber ich werde schnell beruhigt. Am Sonntagmorgen versammelt sich alles draußen. Bin gespannt. Dem Glockengebimmel nach leben die meisten also in „walking distance“, d.h. man kann zu Fuß gehen (ein eher unbestimmtes Wegemaß, da ja Zeit keine Rolle spielt).

Die Kirche ist ein Baum. Große und ausladende Äste mit viel Laub. Um den Baum herum ist im Rechteck ein Mattenzaun aufgerichtet: durchflochtene Pfosten und Strohmatten. Vorne bildet ein querstehender Container die Sakristei für die Stühle, daran angeschlossen ein Zinkblechdach von ca. 4 x 6 m über dem Altarraum mit allen katholischen Symbolen; auf dem Boden ausgelegte Teppiche, an den Seiten grün, in der Mitte rot, einen Steg zum Publikum bildend. Es sind etwa 400 Plastikstühle gestellt, mit Lehnen, keiner kaputt. Will mich vor den Stamm in die Mitte setzten, werde aber verscheucht. Ehrengäste sitzen rechts vorne in der queren Loge unter dem Blechdach.

Die Instrumente werden gestimmt (d.h. die drei kleineren Trommeln werden auf einem Gestell mehrmals an- und abgehängt) und nun kann es losgehen. Die Reihen füllen sich, zuerst vorne in der Mitte. Dort sitzen die jungen Sänger und werden wohl kräftig singen. Und dann beginnt der Gottesdienst. Messdiener und Pfarrer kommen hereingeschritten. Es beginnt mit dem Glaubensbekenntnis, es wird Rede und Antwort gegeben, Lesung aus Daniel, 1. Korinther und dem Markusevangelium. Dazwischen mehrfach aufgestanden, gesungen, 2 x Kollekte gegeben (einmal in lange tiefe Beutel, einmal in einen runden Topf). Father Emanuel leitet das Programm, weist auf die wöchentlich stattfindenden Unterweisungen hin (mit Uhrzeit; seit jeder hier ein Handy hat, kann er das machen) und sogar ich werde öffentlich begrüßt. Der Übersetzer kommt kurz aus dem Konzept, als ich mich auf Arabisch bedanke (shukran; das Wort sollte man sich übrigens merken, kann man immer brauchen). Er möchte auch für die Taufvorbereitungen die Eltern dabeihaben (in der Vergangenheit war das für die Dinkas ein magischer Schutz vor Krankheiten) und vor allem bei der Erstkommunion muss ein Elternteil dabei sein. Sie sollen schließlich die Kinder erziehen. Auf die Beichte am Samstagnachmittag wird besonders hingewiesen. Und wir sollen – bittschön - richtig sorry sein.

Die Reihen füllen sich mehr und mehr. Nur die „besten Plätze“ vorne links bleiben frei (als am Ende des zweistündigen Gottesdienstes die Sonne dort immer noch hin scheint, und alle anderen Plätze im Schatten sind, weiß ich warum). So langsam geht es hin zur Predigt. Wir werden willkommen geheißen im neuen Kirchenjahr, der erste Advent. Jesus ist ja einmal gekommen, er wird wiederkommen und dazwischen kommt er noch einmal, zu einem jeden von uns. So hatte ich das noch nicht gesehen, klingt aber logisch, sein „drittes“ Kommen vor dem zweiten. Are you ready to receive him? Mit dem Lied: „Maranatha, Come, Lord Jesus, come“ wird dieser Teil abgeschlossen.

Es folgt die Eucharistiefeier. Die Trommeln schweigen, alle gehen einzeln nach vorne. Es werden noch ein paar Lieder gesungen, dann folgen die Fürbitten – bitte nicht zu lang! – und mit dem Vaterunser das Programm beendet. Alle Stühle waren am Ende besetzt, von klein und bis groß, keiner hat gestört, keiner ist heruntergefallen. Wir geben jedem der um uns herum Sitzenden die Hand und verabschieden uns. Der Clinical Officer, der Anästhesietechniker und der Vertretungsarzt sitzen genau hinter mir. Ich solle mir noch eine kindliche Oberarmfraktur ansehen. Habe ich dann auch gemacht. Dann kam noch ein Kaiserschnitt dazwischen, aber es reichte gerade noch für das Mittagessen bei den Fathers.

Grüße am Sonntag in Turalei.

Dr. Alfred Klassen, Südsudan

Autor:

Eberhard Franken aus Bochum

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