Die Würde des Menschen... Memoiren einer schreibenden Putzfrau

Nein, so hatte es sich nicht abgespielt! Es ist alles frei erfunden, glauben Sie nur! So etwas ist nicht möglich! Oder doch?
In unserer Demokratie wird Würde gewahrt. Das steht schon im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, was von den Gesetzgebern gut ausgedacht ist, doch eigentlich müsste es heißen: „Die Würde des Menschen SOLLTE unantastbar sein.“
Dass dies nicht immer und überall Realität ist und immer wieder kleine oder große Diskriminierungen geschehen, gerade auch bei den sogenannten Reichen der Gesellschaft, ist eine Tatsache, die überall in der Welt in weit größerem Ausmaß passiert als einer Putzfrau in Deutschland…
Ich war also Putzfrau. Es gab nichts, was ich nicht putzte, vom Boden bis zum Wintergarten, von der Dusche bis zur Sauna. Ich bezog Betten, wusch die Wäsche und bügelte.
Manchmal kochte ich auch Essen. Meine erste Stelle in dieser Laufbahn war ganz okay. Ein großes Walmdachhaus in einem besseren Stadtteil. Ich wurde gut bezahlt und staubte Buchattrappen auf der ausladenden Eiche - Schrankwand ab. Und eine Madonnen- Figur zwischen der Kamin- und Wohnzimmerecke.
Solch ein Badezimmer hatte ich noch nicht gesehen: Circa 50 qm mit vergoldeten verschnörkelten Wasserhähnen, einer riesigen Badewanne mit Whirlpoolfunktion. Schwer zu reinigen. Doch das Zimmer des Sohnes war dagegen so winzig wie ein Studentenwohnheimzimmer, eine winzige Hucke. Viele Jahre später ergab es sich, dass ich auf eine Annonce in das gleiche Haus kam. Die Besitzer hatten gewechselt und die neuen Besitzer schimpften über ihre Vorgänger, die sie sie betrogen und alles im schlechten Zustand hinterlassen hätten. Ihre Firma war Pleite gegangen und sie waren genötigt gewesen, auszuziehen. Das tat mir leid, denn die alten Besitzer hatten mich nicht schlecht behandelt, aber unter diesen Umständen nahm ich jetzt die Stelle nicht an.
Welche Stelle kam dann? Die mit dem riesigen Hovawart, einem Kalb von Hund, größer als ein Bernhardiner? Die Besitzerin wies beim ersten Kontakt streng darauf hin, dass der Hund keine Fremden ungebeten herein ließe und versuchte, mir Angst zu machen. Ich mag aber Hunde und teilte mein Pausenbrot mit ihm, was mir dann strengstens verboten wurde. In diesem herrschaftlichen Haus mit Schwimmbad und Sauna war der Hund mein einziger Freund.
Die Dame war Lehrerin und einmal hatte ich gesehen, welchen Blödsinn sie zur Erläuterung ihrer Stunden schrieb. Ich musste mich profilieren und erklärte ihr anhand ihrer Kunstdrucke den Unterschied zwischen einer Kaltnadelradierung und einer Ätzung. Sie sah mich schräg von der Seite an:“ Woher wissen SIE denn das?“
Ich zuckte mit den Schultern und hielt den Mund. Man will es sich ja nicht mit seinen Arbeitgebern verderben, wenn man schlauer ist.
Das würden sie niemals akzeptieren.
Ebenso ging es mir bei einer sehr netten, einfältigen Frau in einem Nur- Holzhaus mit Solaranlage auf dem Dach, die das Schwimmbecken im Garten beheizte. Sie machte gerade in der Küche mit ihrer Tochter Schularbeiten und ich wischte den Kühlschrank aus und da die beiden mit der Materie nicht zurechtkamen, machte ich einige Vorschläge. Meine Arbeitgeberin staunte: „Ich muss mich ja schon sehr wundern über meine Putzfrau…“ Ich sagte nicht, dass ich einmal als Deutschlehrerin gearbeitet hatte. Was ging sie das an? Meine Chefin war in Ordnung, etwas dümmlich, aber nett.
Scharf dagegen war eine andere Frau. Als ich sie anrief dachte ich, ich hätte einen Mann am Apparat, so tief war ihre Stimme. Ich war gespannt. Eine langhaarige Wasserstoffblonde machte mir die Tür auf. Von hinten hatte sie immer noch eine unglaubliche Figur, von vorne sah sie verlebt und verbraucht aus. Sie hatte einen jungen reichen Mann geheiratet und mit ihm eine sechsjährige Tochter. Die Tochter ging in die erste Klasse, war dicklich und dümmlich und nuckelte immer noch am Fläschchen.
Meine Chefin war jetzt Wahrsagerin und hatte ab und zu Kunden, zum Beispiel einen Mann, der nachweisen wollte, dass seine Frau fremdging, und sogar ihre Slips auf mögliche Spermien untersuchen ließ, dem dann meine Chefin die Karten legte.
Am ersten Tag wollte ich einen Lippenstift von einem Waschmittelkarton wegräumen – aber er war festgeklebt. Ich wunderte mich, sagte aber nichts.
War das eine Falle?
Sie hatte die Angewohnheit, ihr Liebesleben vor mir auszubreiten, auch im Beisein ihrer Tochter und nahm kein Blatt vor den Mund. so dass ich mitunter dachte, sie habe früher ein anderes Gewerbe betrieben. Im Salon glänzte und glitzerte es von Messing, Glas und Spiegeln. Viel zu putzen. Eines Tages glaubte sie, ich hätte ihr ein wertvolles Kristallglas gestohlen. Was sollte ich damit? Sie ließ sich nicht davon abbringen. Also beendete ich diese Erfahrung.
Um bei den sexuellen Vorlieben der Reichen zu bleiben, befand ich mich in der nächsten Stelle in einer wunderschönen alten Jugendstilvilla am Stadtpark. Hohe Wände und Fenster und riesige Ölgemälde zierten die Wände. Die junge hübsche Frau war vor kurzem ausgezogen gewesen und nun reumütig zum Gatten zurückgekehrt. Sie hatten zwei Kinder, einen Jungen von acht Jahren, und ein Mädchen von Drei.
Beide Kinder hatten in ihren Zimmern einen Fernseher und ein Videogerät. Wundersamer Weise war der Junge eines Nachmittags mit seinen Freunden sehr ruhig in seinem Zimmer verschwunden. Es war merkwürdig still. Ich schaute. Die Jungen hatten Papas Pornos gefunden und sahen sich diese genüsslich an. Die Mutter legte später die Pornos auf den Küchenschrank.
Irgendwie hatte das Thema Sex in dieser Familie Priorität. Oftmals kam meine Chefin von ihrem angeblichen Studium angetrunken nach Hause und einmal, als ich etwas früher dort war und mit meinem Schlüssel die Tür aufschloss, vergnügte sie sich mit einem jungen Mann am Esszimmertisch. Ihr Gatte machte immer sarkastische Bemerkungen über das Liebesleben seiner Frau.
Als dann die kleine Dreijährige auch noch anfing… Es war so: Ich bügelte, und da ihr langweilig war, begann ich zu singen: Wenn sich die Igel küssen, dann müssen, müssen, müssen, sie ganz, ganz fein behutsam sein… Plötzlich sagte dieses kleine dreijährige Mädchen: „Wenn du meinen Bruder küsst, schmeißen meine Eltern dich raus!“ Ich dachte, ich hörte nicht richtig! Was ging denn hier ab? Ich kündigte.

Eine ganz andere Erfahrung machte ich auf dem Land auf einem ehemaligen Bauernhof mit einem dickbäuchigen Anwalt und seiner kuhäugigen blonden Frau, die ein Kind nach dem anderen in die Welt setzte. Sie bekam den Haushalt überhaupt nicht geregelt. Einmal säuberte ich die Teller im Schrank und schrie auf. Alles war voller schwarzer ekeliger Küchenschaben! Meine Chefin stillte das Baby, telefonierte und sah mich vorwurfsvoll an. Beim nächsten Teller entsorgte ich schweigend die lieben Viecher.
Dann kam Weihnachten und die Weihnachtsferien. Die Hausfrau hatte mich unter fadenscheinigen Gründen nicht ausgezahlt. Also ging ich in die Kanzlei und sagte laut und vernehmlich: „Ihre Frau hat mir kein Geld gegeben. Und Weihnachtsgeld auch nicht.“ Ich bekam nur meinen Lohn. Nach diesen Ferien riefen sie mich nicht mehr an.

In einer Arztfamilie sprach die schlanke, hübsche Mutter, die bei ihrem Mann als Sprechstundenhilfe arbeitete, von ihren Kindern als „die Monster“. Der Junge war sprachbehindert und psychisch auffällig. Er war äußerst aggressiv und initiierte merkwürdige Spiele. Eines Tages wollten die Kinder mich fesseln. Als ich das ablehnte, wurde der Junge noch aggressiver und fuchtelte mir beim Mittagessen mit einer Gabel vor den Augen herum. Sein Blick flößte mir Angst ein. Diese Familie war nicht zumutbar.
Eine andere Familie bezahlte mich sehr gut. Wie sich später herausstellte, hatten sie von vorne herein nur einen Übergang von drei Monaten geplant gehabt, was sie mir nicht gesagt hatten. Daher die gute Bezahlung. Der achtjährige Junge war aus erster Ehe, das zweijährige Mädchen aus der jetzigen. Die Kleine war das Engelchen und wurde nach Strich und Faden verwöhnt. Der Junge war hasserfüllt auf seinen Stiefvater, seine Mutter, aber ich konnte ihm in der kurzen Zeit leider nicht helfen.

Treppenhäuser habe ich auch geputzt. Einmal ein achtstöckiges Haus mit Eigentumswohnungen. Ich sollte von einigen Parteien aus die Treppenstufen vom Hausflur glänzern, was bedeutete, auf den Knien zu rutschen. Beim nächsten Mal aber hatten sich andere Parteien beschwert, dass dies zu glatt und rutschig sei. Die Frau, die das Ganze organisiert hatte, war sehr nett, aber letztendlich stellten wir fest, dass man es nicht allen recht machen konnte. Es tat ihr leid, aber sie musste mir absagen.
Das andere Treppenhaus war klein, drei Stockwerke. Die obere Etage wollte die Treppenstufen nicht geglänzert haben, die mittlere schon, die untere wieder nicht. Nach einer Weile rechnete mir die alte Dame vom dritten Stock vor, wie hoch mein tatsächlicher Stundenlohn sei. Sie hatte die Zeit auf die Minute gestoppt, wann ich kam, wann ich ging und wie lange ich putzte.

Eine Stelle liebte ich. Ich liebte die ganze Familie. Der Mann sah aus wie Richard Gere, mit einem Brillanten im Ohr, schlank und schön, doch seine Frau war unförmig dick. Wenn sie als Lehrerin in die Schule kam, sagten die Schüler: “Der Sumo Ringer kommt.“ erzählte sie lachend. Sie hatte einen krausen Lockenkopf zu einem runden Gesicht, was ihre Erscheinung noch betonte. Ich liebte den kleinen Vierjährigen, ein schönes dunkles Kind, aber auch seine blonde Schwester. Auch, als sie mich nicht mehr benötigten, hatte ich noch Kontakt und erfuhr das weitere Schicksal der Familie. Der Mann hatte sich in eine Neunzehnjährige verliebt und die Familie verlassen. Seine Frau verstand die Welt nicht mehr: „Die ist doch kaum älter als seine Tochter!“ Meine Chefin war immer gut zu mir gewesen und hatte mich oft aufgebaut. Sie war ein guter Mensch. Schade für sie, doch vielleicht nicht vermeidbar.

Ich putze nicht mehr. Ich bin in Rente. Auch meinen Haushalt putze ich nur, wenn es unbedingt sein muss.
In meiner Tätigkeit befand ich mich fast nur beim gehobenen Mittelstand. Und doch kam es mir manchmal vor, als hätten diese Leute zuweilen mehr Probleme als die Armen und dass ihr Reichtum sie auch nicht zum Glück führte. Ihr Stolz, ihr Hochmut, ihre Dekadenz ließen sie diskriminierend auf andere herabschauen und sie sahen nicht, dass auch diese anderen sie in ihren Eigentümlichkeiten wahrnahmen. Wenn man hinter die Fassaden schauen konnte – und das habe ich getan – stellte sich dort etwas ganz anderes dar, als reiche Leute nach außen hin zu vertreten suchen, manchmal auch eine Zerrüttung sozialer Beziehungen.
Meine vielen Kolleginnen auf der gesamten Welt werden das bestätigen können, werden weitaus schlimmere Geschichten erzählen als ich, die sich gutbezahlt in angenehmen Häusern aufhielt.
Was erhebt Reiche nach ihrer Meinung in einen besonderen Stand, wenn sie privat die gleichen menschlichen Probleme haben?
Wenn sie „keinen Deut besser sind“ als alle anderen?
Ihr Hochmut ist unberechtigt und unüberlegt, denn der Schein berechtigt in keiner Weise zum arroganten Verhalten.
„Die Würde des Menschen“ sollte nicht angetastet werden, nicht hier, nicht in den kriminellen Verhältnissen von Bediensteten anderswo
- nirgendwo auf der Welt!

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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